«Verpiß dich.«
«Denk an Bardamen.«
Ich zog die Decke und das Bettuch fort, mit denen er zugedeckt war, und machte Aufnahmen von seinen sichtbaren Verletzungen, vorn und auf dem Rücken — die unsichtbaren ließen sich nicht dokumentieren. Dann deckte ich ihn wieder zu.
«Tut mir leid«, sagte ich.
Er antwortete nicht, und ich fragte mich, ob meine Entschuldigung eigentlich der Tatsache gegolten hatte, daß ich ihn gestört, oder eher der, daß ich ihn mit so schlimmen Folgen in mein Leben hineingezogen hatte. Wir würden bei dieser Syndikatsgeschichte eins draufkriegen, hatte er gesagt, und er hatte recht gehabt.
Ich verließ sein Zimmer und gab Charles seine Kamera zurück.»Bitte sie, uns bis morgen früh Vergrößerungen anzufertigen«, sagte ich.»Sag ihnen, daß sie für polizeiliche Ermittlungen gebraucht würden.«
«Aber du hast doch gesagt, die Polizei sollte nicht…«:, warf Charles ein.
«Ja, stimmt. Aber wenn die hören, daß die Bilder für die Polizei sind, dann kommen sie nicht auf die Idee, selber hinzugehen, wenn sie sehen, was sie da vergrößern.«
«Ich nehme an, dir ist noch nie in den Sinn gekommen«, sagte Charles und reichte mir ein frisches Hemd,»daß deine Ansichten über dich falsch und die von Thomas Ul-laston zutreffend sein könnten?«
Ich rief Louise an und sagte ihr, daß ich es doch nicht schaffen würde, mich an diesem Tag mit ihr zu treffen. Es sei etwas dazwischen gekommen, entschuldigte ich mich unter Rückgriff auf diese schon klassische Ausflucht, und sie antwortete mir mit der Desillusioniertheit, die das verdiente.
«Na ja, ist ja auch egal.«
«Mir ist es aber nicht egal«, sagte ich.»Wie wär's also heute in einer Woche? Und was hast du in den Tagen danach vor?«
«Tagen?«
«Und Nächten.«
Ihre Stimme klang jetzt schon wieder sehr viel fröhlicher.
«Arbeit an meiner Dissertation.«
«Wie lautet denn das Thema?«
«Zur Erscheinungsform und Häufigkeit von Wolken, Rosen und Sternen im Leben der emanzipierten Durchschnittsfrau.«
«Ach, Louise«, sagte ich,»ich werde dir. äh. dabei helfen, so gut ich kann.«
Sie lachte und legte auf, und ich ging in mein Zimmer und zog mein schmutziges, durchgeschwitztes Hemd aus. Besah mir kurz mein Abbild im Spiegel, was mir aber keinerlei Freude bereitete. Zog mir das weiche Baumwoll-hemd von Charles an und legte mich aufs Bett. Ich lag auf der Seite, wie Chico, und spürte, was er spürte. Irgendwann schlief ich ein.
Am Abend ging ich wieder nach unten und setzte mich wie zuvor aufs Sofa, um auf Charles zu warten. Wer jedoch kam, war Jenny.
Sie kam herein, sah mich und war sofort verärgert. Dann betrachtete sie mich etwas eingehender und sagte:»O nein, nicht schon wieder!«
Ich sagte nur:»Hallo.«
«Was ist’s denn diesmal? Wieder die Rippen?«
«Nichts.«
«Dazu kenne ich dich zu gut. «Sie setzte sich ans andere Ende des Sofas, neben meine Füße.»Was machst du hier?«
«Auf deinen Vater warten.«
Sie sah mich mürrisch an.»Ich werde die Wohnung in Oxford verkaufen«, sagte sie.
«So?«
«Ich mag sie nicht mehr. Louise McInnes ist ausgezogen, und alles da erinnert mich zu sehr an Nicky.«
Sie brach ab, und ich fragte nach kurzem Schweigen:»Erinnere ich dich an Nicky?«
Sie hob erstaunt den Kopf und sagte schnelclass="underline" »Natürlich nicht!«Und dann langsamer:»Aber er…«Sie verstummte wieder.
«Ich habe ihn gesehen«, sagte ich.»Vor drei Tagen in Bristol. Und er sieht mir ähnlich, ein bißchen jedenfalls.«
Sie war wie vor den Kopf gestoßen und sprachlos.
«Ist dir das nie aufgefallen?«fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
«Du hast versucht zurückzukehren«, sagte ich.»Zu dem, was uns beide mal verbunden hat, am Anfang.«
«Das stimmt nicht!«Aber ihre Stimme verriet, daß sie es besser wußte. Sie hatte mir das ja auch selbst mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben an dem Abend, als ich nach Aynsford gekommen war, um die Suche nach Ashe zu beginnen.
«Wo willst du denn hinziehen?«erkundigte ich mich.
«Was interessiert dich das?«
Ich nahm an, daß es mich in gewissem Maße immer interessieren würde, aber das war mein Problem, nicht ihres.
«Wie hast du ihn gefunden?«wollte sie wissen.
«Er ist ein Dummkopf.«
Diese Bemerkung gefiel ihr gar nicht. Ihr feindseliger Blick ließ deutlich erkennen, wem von uns beiden sie den Vorzug gab.
«Er lebt mit einer anderen Frau zusammen«, sagte ich.
Sie sprang wütend auf, und ich erinnerte mich ein wenig zu spät daran, daß ich wirklich nicht von ihr berührt werden wollte.
«Erzählst du mir das aus purer Bosheit?«wollte sie wissen.
«Ich erzähle dir das, damit du ihn aus deinem Leben streichst, bevor er vor Gericht gestellt wird und ins Gefängnis wandert. Du wirst verdammt unglücklich werden, wenn du’s nicht tust.«
«Ich hasse dich«, sagte sie.
«Das ist nicht Haß, sondern verletzter Stolz.«
«Wie kannst du so etwas sagen!«
«Aber Jenny«, sagte ich.»Ich gestehe dir offen, daß ich immer noch viel für dich tun würde. Ich habe dich lange geliebt, und es ist mir nicht gleichgültig, was aus dir wird. Es bringt doch gar nichts, wenn wir Ashe finden und er an deiner Stelle wegen Betruges verurteilt wird, aber du nicht aufwachst und ihn endlich so siehst, wie er ist. Ich möchte dich wütend auf ihn machen. Um deinetwillen.«
«Das wird dir nicht gelingen«, stieß sie hervor.
«Dann geh«, sagte ich.
«Was?«
«Geh, ich bin müde.«
Sie stand da und sah ebenso verwirrt wie zornig aus — und in diesem Augenblick kam Charles zurück.
«Hallo«, sagte er und nahm die herrschende Atmosphäre mit Mißbilligung in sich auf.»Hallo, Jenny.«
Alter Gewohnheit folgend, ging sie zu ihm hin und küßte ihn auf die Wange.
«Hat Sid dir schon erzählt, daß er deinen Freund Ashe gefunden hat?«fragte er.
«Er konnte es gar nicht erwarten.«
Charles hatte einen großen, braunen Umschlag in der Hand. Den öffnete er jetzt, zog seinen Inhalt heraus und gab ihn mir — die drei Aufnahmen von Ashe, die ganz gut geworden waren, und den neuen Spendenaufruf.
Jenny trat mit unsicheren Schritten zu mir und blickte auf das Foto, das zuoberst lag.
«Sie heißt Elizabeth More«, sagte ich langsam.»Und sein richtiger Name ist Norris Abbot. Sie nennt ihn Ned.«
Das Foto — es war das dritte, das ich gemacht hatte — zeigte die beiden, wie sie lachend und eng umschlungen auf mich zugekommen waren, sich gerade anschauten. Das Glück auf ihren Gesichtern war in aller Deutlichkeit festgehalten.
Ich reichte Jenny wortlos den Brief. Sie entfaltete ihn, sah auf die Unterschrift und wurde sehr blaß. Sie tat mir leid, hätte aber nicht gewollt, daß ich es auch sagte.
Sie schluckte und gab den Brief an ihren Vater weiter.
«Gut«, sagte sie nach einer Weile.»Übergib die Sache der Polizei.«
Sie setzte sich wieder aufs Sofa, wobei so etwas wie emotionale Erschöpfung ihre Glieder kraftlos zu machen, ihren Rücken zu krümmen schien. Sie sah mich an.
«Soll ich dir jetzt danken?«fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
«Eines Tages werd ich’s wohl tun, denke ich.«
«Nicht nötig.«
Sie fuhr aufgebracht hoch.»Da, du machst es schon wieder!«
«Was denn?«
«Du machst mir Schuldgefühle. Ich weiß ja, daß ich manchmal ziemlich fies zu dir bin. Aber nur, weil du mir Schuldgefühle machst und ich dir das heimzahlen will.«
«Aber weswegen fühlst du dich denn schuldig?«
«Weil ich dich verlassen habe. Weil unsere Ehe schiefgegangen ist.«