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Eine gewisse Düsternis hatte sich auf die Gesichter herabgesenkt, aber es gab immer noch offene Fragen, und es war Sir Thomas, der sie in Worte faßte.

«Ihre umgekehrte Betrachtung der Dinge hat offenbar aber doch eine Schwäche, Sid, nämlich die, daß diese Abschreckung… Sie nicht abgeschreckt hat.«

Nach kurzem Schweigen sagte ich:»Da bin ich nicht ganz so sicher. Denn weder Chico noch ich würden weitermachen können, wenn das bedeutete… wenn wir glaubten… etwas Derartiges könne sich wiederholen.«

«Was genau könne sich wiederholen, Sid?«

Ich antwortete nicht. Ich merkte, wie Charles mich mit seinem ausdruckslosesten Blick von der Seite ansah. Dann erhob er sich ruhig, durchquerte den Raum und gab Sir Thomas den Umschlag, in dem die Aufnahmen von Chico steckten.

«Es war eine Kette«, kommentierte ich in sachlichem Ton. Die Fotos wurden herumgereicht, niemand sagte etwas. Ich mühte mich nicht zu erraten, was sie dachten, sondern hoffte nur, daß sie die Aufforderung nicht aussprechen würden, die, da war ich mir leider sicher, kommen mußte — und Sir Thomas sagte auch prompt:»Hat man Ihnen das auch angetan?«

Ich nickte zögernd.

«Würden Sie bitte mal Ihr Hemd ausziehen, Sid?«

«Hören Sie«, sagte ich,»was bringt das denn? Ich stelle keine Strafanzeige wegen tätlichen Angriffs auf uns oder wegen schwerer Körperverletzung oder wegen sonst etwas dieser Art. Es wird keine Polizei geben, kein Gerichtsverfahren, nichts. Ich habe das alles, wie Sie wohl wissen, schon einmal durchgemacht und will es nicht, absolut nicht noch einmal erleben. Diesmal wird kein Lärm gemacht. Es ist lediglich erforderlich, Lucas davon zu unterrichten, daß ich weiß, was passiert ist, und ihn, wenn Sie das für richtig halten, aufzufordern, von seinem Posten zurückzutreten. Mit weiteren Schritten ist doch nichts zu gewinnen. Sie wollen doch wohl keinen öffentlichen Skandal, der dem gesamten Rennsport nur schaden kann.«

«Ja, aber…«

«Da ist noch dieser Peter Rammileese«, sagte ich.»Vielleicht kann ja Eddy Keith jetzt endlich Ordnung in die Syndikatsgeschichte bringen. Und dann würde es Peter Rammileese nur noch tiefer reinreiten, wenn er damit prahlte, daß er Lucas gekauft hat, weshalb ich glaube, daß er das lassen wird. Und ich bezweifle auch, daß er ein Wort über Chico und mich verlieren wird.«

Ausgenommen vielleicht, dachte ich mit einem gewissen Sarkasmus, daß er sich über die Schläge beschwert, die ich ihm verpaßt habe.

«Und was ist mit den beiden Burschen aus Glasgow?«fragte Sir Thomas.»Sollen die etwa ungeschoren davonkommen?«

«Das wäre mir lieber, als noch einmal als Opfer vor Gericht erscheinen zu müssen«, erwiderte ich. Ich lächelte matt:»Man könnte wohl sagen, daß mich die Sache mit meiner Hand für den Rest meines Lebens von Prozeduren dieser Art abgeschreckt hat.«

Ein gewisses Maß an beherrschter Erleichterung stahl sich auf die Gesichter und in die Atmosphäre unserer Verhandlung.

«Trotzdem«, sagte Sir Thomas.»Der Rücktritt eines Direktors der Sicherheitsabteilung ist keine ganz so einfache Sache. Wir alle müssen entscheiden, ob das, was Sie vorgetragen haben, ausreicht oder nicht. Die Fotos von Mr. Barnes allein tun’s nicht. Also bitte… ziehen Sie Ihr Hemd aus.«

Hol’s der Geier, dachte ich. Ich mochte nicht — und der Widerwille auf ihren Gesichtern verriet mir, daß sie es auch gar nicht sehen wollten. Mir war das Ganze zutiefst verhaßt. Mir war verhaßt, was uns da passiert war, ich empfand nur Abscheu. Ich wünschte, ich wäre nie hergekommen.

«Sid«, sagte Sir Thomas ernst,»Sie müssen.«

Ich knöpfte mein Hemd auf, erhob mich und zog es aus. Das einzige noch vorhandene rosa Stück an mir war der Plastikarm, der Rest bestand aus dunklen Flecken, die von roten Striemen durchzogen waren. Jetzt, wo sich die Blutergüsse erst so richtig verfärbten, sah alles sehr viel schlimmer aus, als es sich anfühlte. Ich wußte wohl, daß der Anblick ziemlich abstoßend war, an diesem Tage mehr denn je. Deshalb hatte ich auch darauf bestanden, zu diesem Zeitpunkt im Portman Square zu erscheinen. Ich hatte ihnen meine Verletzungen nicht zeigen wollen, aber auch gewußt, daß sie darauf bestehen würden und daß ich mich dem nicht würde entziehen können — und wenn das schon so war, dann würde es an diesem Tage am überzeugendsten wirken. Der menschliche Geist war von tückischer Ambivalenz, wenn es darum ging, Feinde zu besiegen.

In einer Woche oder so würden die meisten Flecken und Striemen wieder verschwunden sein, und ich bezweifelte, daß auch nur eine einzige Narbe zurückbleiben würde. Es war ja gerade darauf angekommen, die empfindlichen Nerven unter der Haut zu traktieren, aber nur vorübergehend und ohne Spuren zu hinterlassen. Wenn keine Verletzungen mehr zu sehen waren, konnten die Schotten, sollten sie denn vor Gericht gestellt werden, sicher sein, daß sie ziemlich glimpflich davonkommen würden. Bei der Hand, die nicht zu übersehen gewesen war, hatte das Urteil auf vier Jahre gelautet. Da lag der augenblickliche Kurswert von ein paar durch Schmerzen unbehaglich ge-machten Tagen wahrscheinlich bei etwa drei Monaten. Wenn es bei Raub in Verbindung mit Gewalt zu höheren Gefängnisstrafen kam, dann war es immer der Raub, der die Haftzeit verlängerte, nicht die Gewalt.

«Drehen Sie sich bitte um«, sagte Sir Thomas.

Ich drehte mich um und nach einer Weile wieder zurück. Keiner sagte ein Wort. Charles blickte so gelassen drein, wie es ihm nur möglich war. Sir Thomas erhob sich, trat zu mir und besah sich alles noch etwas eingehender. Dann nahm er mein Hemd vom Stuhl auf und hielt es mir hin, damit ich es wieder anzöge.

Ich sagte:»Danke«, fuhr hinein und knöpfte es zu. Steckte es nicht sehr ordentlich in meine Hose. Setzte mich.

Es schien sehr viel Zeit zu vergehen, bis Sir Thomas auf den Knopf der Sprechanlage drückte und zu seiner Sekretärin sagte:»Seien Sie doch so gut und bitten Sie Commander Wainwright, zu mir zu kommen.«

Wenn die versammelten Administratoren des Jockey Club noch irgendwelche Zweifel gehabt haben sollten, dann zerstreute sie Lucas selbst. Er betrat mit schwungvollem Schritt und völlig ahnungslos den mit Schweigen gefüllten Raum, und als er auch mich dort sitzen sah, blieb er ganz unvermittelt stehen, als sei die Verbindung zwischen seinem Gehirn und seinem Bewegungsapparat schlagartig unterbrochen worden.

Das Blut wich aus seinem Gesicht, und seine graubraunen Augen starrten aus einer verödeten Landschaft zu mir herüber. Mir ging durch den Kopf, daß ich in Trevor Deansgates Augen so ausgesehen haben mußte, als wir uns in der Loge der Stewards in Chester begegnet waren. Ich dachte, daß Lucas mit größter Wahrscheinlichkeit in diesem Augenblick seine Füße auf dem Teppich nicht spürte.

«Lucas«, sagte Sir Thomas.»Setzen Sie sich.«

Lucas tastete sich zu einem freien Stuhl, den Blick nach wie vor fest auf mich gerichtet, als könne er nicht glauben, daß ich wirklich da war, oder als könne er mich durch sein unverwandtes Starren zum Verschwinden bringen.

Sir Thomas räusperte sich.»Lucas, Sid Halley hier hat uns einige Dinge berichtet, die wohl einer Erklärung bedürfen.«

Lucas hörte kaum zu. Lucas sagte zu mir:»Sie können nicht hier sein.«

«Und warum nicht?«fragte ich zurück.

Alle warteten darauf, daß Lucas antwortete, aber er tat es nicht.

Sir Thomas sagte schließlich:»Sid hat schwere Anschuldigungen gegen Sie erhoben. Ich werde sie Ihnen vortragen, Lucas, und dann können Sie in der Ihnen geeignet erscheinenden Weise dazu Stellung nehmen.«

Er wiederholte mehr oder weniger das, was ich den Versammelten berichtet hatte — ohne Emphase und fehlerfrei. Die unparteiische Instanz, dachte ich, die den Dingen die Hitze nimmt, das Leidenschaftliche auf das Einleuchtende reduziert. Lucas schien zuzuhören, blickte aber die ganze Zeit immer nur mich an.