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Langsam setzte er sich auf, während er versuchte, sich zu erinnern, wo er war.

»Caithnard«, sagte sie.

Sie hatte die Arme um ihre Knie geschlungen; auf ihrer Wange war ein Abdruck des Gewebes der Sackleinwand. In ihren Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, den zu deuten ihm Schwierigkeiten machte, bis ihm klarwurde, daß es ganz einfach Angst war.

»Und jetzt?« fragte sie leise.

Er lehnte sich nach rückwärts gegen die Planken, umfaßte flüchtig mit leichter Hand ihren Arm und rieb sich dann die Augen.

»Bri Corvett sagte, er würde uns Pferde besorgen. Du mußt aber diex Nadeln aus deinem Haar nehmen.«

»Was? Morgon, schläfst du noch?«

»Nein.« Sein Blick fiel auf ihre Füße. »Und sieh dir deine Schuhe an.«

Sie sah hinunter. »Was ist denn mit ihnen?«

»Sie sind sehr schön. Wie du. Kannst du dich verwandeln?«

»In was?« fragte sie verwirrt. »Eine scheußliche alte Hexe?«

»Nein. In deinen Adern fließt das Blut von Gestaltwandlern; du müßtest eigentlich —«

Er hielt inne, als er den Ausdruck in ihren Augen sah, eine Mischung aus Angst, Schmerz und Ekel.

»Nein«, sagte sie klar und deutlich.

Er verwünschte sich im stillen. Der Gedanke an den langen Weg quer durch das Reich, in gerader Linie der untergehenden Sonne entgegen, löste in diesem Augenblick auch in ihm einen Anflug von Panik aus. Er schwieg still, versuchte zu denken, doch die abgestandene Luft im Laderaum schien sein Hirn mit Stroh zu füllen.

»Wir werden lange auf der Straße nach Lungold wandern«, sagte er, »wenn wir reiten. Ich hatte die Absicht, die Pferde nur so lange zu behalten, bis ich dich lehren könnte, die eine oder andere fremde Gestalt anzunehmen.«

»Nimm du fremde Gestalten an. Ich reite.«

»Rendel, sieh dich doch an«, entgegnete er hilflos. »Auf dieser Straße ziehen Händler aus allen Teilen des Reiches. Mich haben sie länger als ein Jahr nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber dich werden sie erkennen, und dann brauchen sie nicht zu fragen, wer der Mann an deiner Seite ist.«

»Na schön.« Sie schleuderte die Schuhe von den Füßen, zog sich die Nadeln aus dem Haar. »Dann besorg mir ein anderes Paar Schuhe.«

Wortlos blickte er sie an, wie sie da in einer Wolke zerknitterter, reichbestickter Gewänder vor ihm saß. Die üppigen Wellen ihres feinen Haares umrahmten eine schmales, nobel geschnittenes Gesicht, das, selbst müde und bleich, wie ein Antlitz aus einer alten Ballade schien. Seufzend stand er auf.

»Also gut. Warte auf mich.«

Ihre Stimme ließ ihn kurz innehalten, als er schon die Leiter hinaufkletterte.

»Aber nur diesmal.«

Er sprach mit Bri Corvett, der den ganzen Tag lang geduldig darauf gewartet hatte, daß sie erwachen würden. Die Pferde, die er ihnen besorgt hatte, standen am Dock bereit, schon mit Proviant bepackt. Es waren friedliche, schwerfällige Arbeitspferde, die allmählich unruhig zu werden begannen, weil sie so lange angepflockt waren. Bri, dem erst jetzt die ganze Tragweite und Gefährlichkeit der langen Wanderung aufging, versuchte Morgon mit allen möglichen, hitzig vorgetragenen Argumenten zurückzuhalten, die Morgon geduldig widerlegte. Am Ende erbot sich Bri, sie zu begleiten.

»Nur, wenn ihr die Gestalt wechseln könnt«, entgegnete Morgon müde.

Da gab Bri auf. Er ging von Bord, kehrte eine Stunde später mit einem Bündel Kleider zurück, das er durch die Luke zu Morgon hinunterwarf. Rendel besah sich die Sachen mit einem ausdruckslosen Gesicht und zog sie dann an. Ein dunkler Rock, ein leinenes Hemd und ein formloser Kittel darüber, der ihr bis zu den Knien ging. Die Stiefel waren aus weichem Leder, gut, aber einfach. Ihr Haar schob sie unter einen breitkrempigen Strohhut. Dann stellte sie sich resigniert vor Morgon hin, um sich von ihm begutachten zu lassen.

»Zieh die Hutkrempe tiefer«, sagte er.

Sie riß daran. »Hör auf, mich auszulachen.«

»Ich lache dich nicht aus«, entgegnete er ernst. »Warte, bis du siehst, worauf du reiten mußt.«

»Unscheinbar bist du auch nicht gerade. Du magst ja gekleidet sein wie ein armer Bauer, aber du hast einen Gang wie ein Landherrscher, und deine Augen könnten Steine sprengen.«

»Paß auf«, sagte er. Er ließ es still werden in seinem Inneren, ließ seine Gedanken mit seiner Umgebung verschmelzen: mit Holz und Pech, mit dem unbestimmten Murmeln des Wassers und dem fernen, gedämpften Lärmen des Hafens. Sein Name schien von ihm fortzugleiten und sich in der Hitze aufzulösen.

Sein Gesicht trug keinen bestimmbaren Ausdruck; einen Moment langwaren seine Augen klar und leer wie der Sommerhimmel.

»Wenn du dir deiner selbst nicht bewußt bist, werden nur wenige Menschen dich gewahren. Dies war auf meiner Wanderung durch das Reich eines von hundert Mitteln, mich am Leben zu erhalten.«

Ihr Gesicht zeigte Bestürzung.

»Beinahe hätte ich dich nicht erkannt. Ist es Täuschung?«

»Nur zu einem geringen Teil. Es ist Überleben.«

Sie schwieg. Er las den Widerstreit ihrer Gefühle von ihrem Gesicht ab. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sie sich ab und kletterte die Leiter hinauf an Deck.

Glühend neigte sich die Sonne an den fernen Grenzen des Reiches zur Nacht, als sie Bri Lebewohl sagten und sich auf ihre Pferde schwangen. Die langen Schatten der Schiffsmasten und Warenstapel verdunkelten ihren Weg durch den Hafen. Die Stadt, über der ein Dunstschleier rotgoldenen Lichts abendlicher Schatten hing, schien Morgon plötzlich fremd, als wäre er selbst sich ein Fremder geworden, nun, da er am Anfang einer fremden Straße stand. Er führte Rendel durch das Gewirr von Gassen und Straßen, vorbei an Läden und Gasthäusern, die ihm einmal vertraut gewesen waren, hinaus zum westlichen Stadtrand, eine mit Kopfsteinen gepflasterte Straße hinunter, die breiter wurde, als sie die Stadt hinter sich ließen, sich allmählich ihrer Kopfsteine entledigte, wieder breiter wurde, tiefe Furchen zeigte, im Lauf von Jahrhunderten von zahllosen Wagenrädern in sie eingegraben, wieder breiter wurde und ihnen durch Hunderte von Meilen von Niemandsland vorauseilte, bis sie sich schließlich am Rand des erforschten Reiches nordwärts wandte, Lungold zu.

Sie hielten ihre Pferde an, um wortlos die endlose Straße hinunterzublicken. Die spielenden Schatten der Eichen verblaßten, als die Sonne langsam unterging; müde und grau dehnte sich die Straße vor ihnen in der Abenddämmerung. Das Laub der Eichen, deren Äste die Straße überdachten, raschelte über ihren Köpfen. Matt und kraftlos sahen die alten Bäume aus, deren Blätter unter dem von Wagen und Pferden aufgewirbelten Staub ihren Glanz verloren hatten. Der Abend war sehr still; die letzten Händler und Wanderer hatten schon ihren Weg in die Stadt gefunden. Grau verschwammen die Wälder in der Ferne und wurden zusehends dunkler. Und im Grau erwachte eine Eule und sang ein Rätsel.

Sie ritten weiter. Der Himmel wurde schwarz, und der Mond ging auf, überspülte den Wald mit einem milchigen Licht. Stetig ritten sie weiter, dem höhersteigenden Mond folgend, bis sich ihre Schatten schließlich unter den Bäuchen ihrer Pferde verkrochen. Da merkte Morgon, daß das Laub zu ihren Füßen unter seinen Augen zu einer einzigen weiten Finsternis verschwamm. Er zügelte sein Pferd; Rendel hielt neben ihm an.