Выбрать главу

Er zwinkerte die Finsternis weg, sah wieder die Welt, den Staub und das schmutzige Grün der Bäume, das Licht der Sonne, das in den Messingkesseln auf dem Wagen eines Trödlers rhythmisch auf und nieder tanzte. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Und endlicL schlug Rendel selbst eine Kerbe in die Mauer ihres Schweigens.

»Was habe ich falsch gemacht? Ich habe dir doch genau zugehört.«

Er antwortete müde: »Mit deiner Stimme hast du ›ja‹ gesagt, und ›nein‹ mit deinem Geist. Aber es ist der Geist, der die Arbeit tut.«

Sie schwieg wieder, während sie ihn stirnrunzelnd anblickte.

»Was ist mit dir?«

»Nichts.«

»Es tut dir leid, daß ich mit dir gekommen bin.«

Er riß an seinen Zügeln. »Hör auf! Du drückst mir das Herz ab. Du bist doch diejenige, der es leid tut.«

Jetzt hielt auch sie ihr Pferd an; er sah die plötzliche schmerzliche Verzweiflung in ihrem Gesicht. Bestürzt und hilflos sahen sie einander an. Ein Maultier wieherte hinter ihnen, und sie ritten wieder, eingeschlossen in das vertraute, drückende Schweigen, aus dem es, wie es schien, keinen Ausweg gab, so wenig wie aus einem Turm ohne Tür.

Nach einer Weile hielt Morgon ihre beiden Pferde plötzlich an und führte sie von der Straße weg, um sie trinken zu lassen. Das Getöse von der Straße verhallte; die Luft war klar und rein, von Vogelgesang erfüllt. Am Flußufer kniete er nieder und trank von dem kalten, flinken Wasser, benetzte sein Haar und Gesicht. Rendel stand neben ihm, und das Spiegelbild ihrer Gestalt wirkte selbst im bewegten Wasser steif und starr. Er ließ sich auf die Fersen zurückfallen und betrachtete die verschwommenen Linien und Farben. Langsam drehte er den Kopf und blickte zu ihrem Gesicht hinauf.

Er wußte nicht, wie lange er sie so ansah. Plötzlich jedoch begann ihr Gesicht zu zucken, und sie kniete neben ihm nieder und umklammerte ihn.

»Wie kannst du mich so ansehen!«

»Es waren nur Erinnerungen«, sagte er. Ihr Hut fiel herunter; er streichelte ihr Haar. »Ich hab’ in den letzten zwei Jahren so häufig an dich gedacht. Jetzt brauch’ ich nur den Kopf zu drehen, um dich neben mir zu sehen. Es erstaunt mich manchmal immer noch, wie ein Stück Zauberei, von dem ich nicht wußte, daß ich es vollbringen kann.«

»Morgon, was wollen wir nur tun? Ich habe Angst — ich habe solche Angst vor dieser Kraft, die ich besitze.«

»Vertrau dir selbst.«

»Das kann ich nicht. Du hast gesehen, was ich mit dieser Kraft in Anuin angestellt habe. Ich war ja kaum noch ich selbst; ich war der Schatten eines anderen Erbes — eines Erbes, das dich zerstören will.«

Er drückte sie fest an sich.

»Du hast mir Gestalt gegeben«, flüsterte er. Lange hielt er sie schweigend in den Armen. Dann sagte er ein wenig zaghaft: »Kannst du es aushaken, wenn ich dir eine Rätselgeschichte erzähle?«

Sie rückte ein wenig von ihm ab, um ihn anzusehen, und lächelte leicht. »Vielleicht.«

»In Herun war mal eine Frau, eine Frau, die in den Bergen lebte. Sie hieß Arya und sammelte Tiere. Eines Tages fand sie ein winziges schwarzes Tier, dem sie keinen Namen geben konnte. Sie nahm es in ihr Haus, fütterte es, hegte und pflegte es. Und es wuchs. Und es wuchs. Es wurde so groß, bis all ihre anderen Tiere aus dem Haus flohen, und dann lebte es allein mit ihr, schwarz, von ungeheurer Größe, namenlos. Von Zimmer zu Zimmer wanderte es mit ihr, während sie in ständiger Angst lebte, unfrei, nicht wußte, was sie mit diesem Tier tun sollte, nicht wagte, es herauszufordern —«

Sie hob die Hand und preßte sie auf seinen Mund. Dann senkte sie wieder ihren Kopf an seine Schulter. Er spürte ihren Herzschlag.

»Und«, flüsterte sie schließlich. »Was hat die Frau getan?«

»Was wirst du tun?«

Er wartete auf ihre Antwort, doch wenn sie ihm eine gab, so trug der Fluß sie fort, ehe er sie hörte.

Es war ruhiger auf der Straße, als sie wieder hinausritten. Abendliche Schatten lagen wie dunkle Streifen auf ihrem staubweißen Band. Die Sonne hing blitzend zwischen Eichenästen. Der Staub hatte sich gelegt; die meisten Wagen waren weit vor ihnen. Morgon verspürte einen Anflug von Unbehagen angesichts ihres Alleinseins. Er sagte nichts zu Rendel, doch er war erleichtert, als sie eine Stunde später den größeren Teil der Händler einholten. Ihre Wagen und Pferde standen draußen vor einem Gasthaus, einem windschiefen Bau, groß wie eine Scheune, mit Stallungen und einer Schmiede dabei. Nach dem Gelächter zu urteilen, das aus seinem Inneren kam, gab es dort gut zu essen und zu trinken, und das Geschäft florierte. Morgon führte die Pferde zu der Tränke vor dem Stall. Er lechzte nach einem Bier, doch er schreckte davor zurück, sich in der Gaststube zu zeigen. Die Schatten auf der Straße verblichen, als sie weiterritten; das Grau des Abends stand wie ein Geist vor ihnen.

Die Vögel wurden still; das Hufgetrappel ihrer Pferde war das einzige Geräusch auf der verödeten Straße. Zweimal ritten sie an einer Gruppe von Pferdehändlern vorüber, die um ein großes Feuer lagerten, während ihre Tiere angebunden und bewacht ruhig im Schatten der Bäume standen. In ihrer Nähe wären sie vielleicht sicher gewesen, doch Morgon verspürte einen plötzlichen Widerwillen anzuhalten. Die Stimmen verklangen hinter ihnen; sie ritten tiefer hinein in das Grau des Abends. Rendel war es nicht geheuer, das spürte er, doch er konnte nicht anhalten. Schließlich neigte sie sich zu ihm hinüber und berührte ihn, und er sah sie an. Ihr Gesicht war nach rückwärts gewandt, dem Stück Straße zu, das hinter ihnen lag, und er zügelte heftig sein Pferd.

Eine Gruppe von Reitern, die sich etwa eine Meile hinter ihnen befanden, verschwand in einer Mulde der Straße. Das Zwielicht verwischte ihre Gestalten, als sie auftauchten. Sie ritten schneller, als der späten Stunde angemessen war. Morgon beobachtete sie einen Augenblick lang. Wortlos schüttelte er den Kopf in Antwort auf Rendels stumme Frage.

»Ich weiß es nicht.«

Unvermittelt lenkte er sein Pferd von der Straße weg in die Bäume hinein. Sie folgten dem Fluß, bis es beinahe zu dunkel war, um noch etwas zu sehen. Erst da machten sie halt, entzündeten aber kein Feuer, begnügten sich zum Abendessen mit Brot und Trockenfleisch. Dort, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war der Fluß tief und strömte träge, beinahe lautlos dahin. Deutlich konnte Morgon die Geräusche der Nacht hören; die Reiter überholten sie nicht. Seine Gedanken glitten zurück zu der schattenhaften, schweigenden Gestalt, die er in den Bäumen gesehen hatte, zu dem geheimnisvollen Schrei, der zu so gelegener Zeit aus dem Nichts gekommen war. Lautlos zog er sein Schwert.

»Morgon«, sagte Rendel, »du warst fast die ganze letzte Nacht auf. Heute halte ich Wache.«

»Ich bin das gewöhnt«, erwiderte er.

Doch er gab ihr sein Schwert und streckte sich auf einer Decke aus. Er schlief nicht; er lag lauschend in der Dunkelheit, blickte zu den Sternen auf, deren Konstellationen sich im Laufe der Nacht langsam verschoben. Wieder hörte er die schwachen, stockenden Klänge der Harfe, die aus der Finsternis kamen wie eine Verhöhnung seiner Erinnerungen.

Ungläubig setzte er sich auf. Er konnte keine Lagerfeuer zwischen den Bäumen sehen; er hörte keine Stimmen, nur das ungeschickte Harfenspiel. Die Saiten waren fein gestimmt; die Harfe hatte einen sanften, weichen Ton, doch der Harfner stolperte immer wieder über seine Noten. Morgon verschränkte seine Finger vor seinen Augen.