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Sie stand langsam auf, kletterte stolpernd die Böschung herauf. Dicht vor dem Feuer ließ sie sich nieder und zog ihren feuchten Rock fest unter ihren Füßen zusammen. Im Flammenschein sah er sie lange an und vergaß, den Spieß zu drehen. Ihr Gesicht war sehr still; unter ihren Augen sah er winzige Linien des Schmerzes. Er holte plötzlich Atem; ihre Augen trafen die seinen, und eine klare, eindeutige Warnung stand in ihnen. Doch seine Sorge um sie mußte sich trotz ihrer Warnung Luft machen.

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du solche Schmerzen hast? Laß mich deine Füße sehen.« »Laß mich in Ruhe!« Die Heftigkeit ihrer Stimme erschreckte ihn. Sie hockte zusammengekrümmt da. »Ich hab’ dir gesagt, daß ich zu Fuß nach Lungold wandern werde, und das werde ich auch tun.«

»Wie denn?« Er sprang auf, und Zorn gegen sich selbst hämmerte in seinem Hals. »Ich besorge dir ein Pferd.«

»Womit denn? Wir konnten ja nicht einmal die Sättel verkaufen.«

»Ich verwandle mich in eines. Du kannst auf mir reiten.«

»Nein.« Ihre Stimme zitterte mit dem gleichen, seltsamen Zorn. »Das wirst du nicht tun. Ich werde nicht auf deinem Rücken bis nach Lungold reiten. Ich habe gesagt, daß ich zu Fuß gehe.«

»Du kannst ja kaum noch zehn Schritt gehen!«

»Ich tu’ es trotzdem. Wenn du den Spieß nicht umdrehst, brennt unser Abendessen an.«

Er rührte sich nicht; sie beugte sich vor und drehte den Spieß selbst. Ihre Hand zitterte. Während Licht und Schatten über sie hinspielten, fragte er sich plötzlich, ob er sie überhaupt kannte.

»Rendel«, sagte er flehend, »was, in Hels Namen, willst du denn tun? Du kannst doch so nicht laufen. Du willst nicht reiten. Du willst dich nicht verwandeln. Willst du nach Anuin zurückkehren?«

»Nein.« Schmerz lag in ihrer Stimme, als hätte er sie mit seiner Frage verletzt. »Ich kann vielleicht mit Rätseln nicht viel anfangen, aber Gelöbnisse, die ich einmal gemacht habe, breche ich nicht.«

»Wie kannst du Ylons Namen Ehre zuteil werden lassen, wenn du für ihn und sein Erbe nichts übrig hast als Haß?«

Sie beugte sich wieder vor, um den Spieß zu drehen, glaubte er, doch statt dessen nahm sie eine Handvoll Feuer. »Er war einmal König von An. Das gibt ihm eine gewisse Ehre.« Ihre Stimme zitterte stark. Sie formte einen Keil aus Feuer, wob mit den Fingern fadendünne Saiten. »Ich hab’ in seinem Namen geschworen, daß ich niemals zulassen werde, daß du mich verläßt.«

Er sah plötzlich, was sie aus dem Feuer formte. Sie hatte es fertig und hielt es ihm hin: eine Harfe aus Feuer, die die Dunkelheit rund um ihre Hand verzehrte.

»Du bist der Rätselmeister. Wenn du solchen Glauben an Rätsel hast, dann beweise es mir. Du kannst ja nicht einmal deinem eigenen Haß ins Auge blicken, und du willst mir Rätsel aufgeben. Für einen Menschen wie dich gibt es einen Namen.«

»Na«, sagte er, ohne die Harfe zu berühren. Sein Blick folgte dem Licht, das geräuschlos über die Saiten sprang. »Wenigstens weiß ich meinen Namen.«

»Du bist der Sternenträger. Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Warum kannst du mich nicht meine eigenen Entscheidungen treffen lassen? Was ich bin, spielt keine Rolle.«

Über die flammende Harfe hinweg blickte er sie an. Etwas, das er sagte oder dachte, ohne sich dessen bewußt zu sein, zerriß die Harfe in ihrer Hand. Er griff über das Feuer hinweg, umfaßte ihre Schultern und zog sie auf die Füße. »Wie kannst du das zu mir sagen? Wovor, in Hels Namen, hast du Angst?«

»Morgon —«

»Du wirst dich nicht in etwas verwandeln, das keiner von uns beiden mehr wiedererkennen würde!«

»Morgon!« Sie schüttelte ihn plötzlich, in dem Bemühen, ihn sehend zu machen. »Muß ich es denn aussprechen? Ich fliehe nicht vor etwas, das ich hasse, sondern vor etwas, nach dem mich verlangt. Ich fliehe vor der Macht dieses belasteten Erbes. Ich begehre sie. Jene Macht, die Ymris verschlingt, die das Reich und dich vernichten will — nach ihr verlangt mich. Ich bin unlösbar an sie gefesselt. Und ich liebe dich. Den Rätselmeister, den Mann, der alles, was zu diesem Erbe gehört, bekämpfen muß. Du verlangst Dinge von mir, die du nur hassen wirst.«

»Nein«, flüsterte er.

»Wie kann ich den Landherrschern, den Zauberern von Lungold gegenübertreten? Wie kann ich ihnen sagen, daß ich eine Verwandte deiner Feinde bin? Wie sollen sie mir je vertrauen? Wie kann ich mir selbst vertrauen, da ich nach so schrecklicher Macht verlange —«

»Rendel!«

Mit steifer Bewegung hob er eine Hand, streichelte ihr Gesicht, wischte das Feuer und die Tränen fort, in dem Bemühen, es klar zu sehen. Doch unruhige Schatten lagen flackernd auf ihm, so daß es wie aus Feuer und Finsternis geformt schien, das Gesicht einer Frau, das er zuvor nie recht gesehen hatte und das er auch jetzt nicht recht sehen konnte. Irgend etwas wich vor ihm zurück, löste sich unter seinen Händen auf, als er es berührte.

»Ich habe nie etwas anderes von dir verlangt als die Wahrheit.«

»Du wußtest nie, was du verlangtest —«

»So ist es immer. Ich weiß es nicht, ich frage einfach.«

Das Feuer zwischen ihnen formte sich zu der Lösung des Rätsels, nach der sein Geist haschte. Er sah sie plötzlich, und zur gleichen Zeit sah er wieder Rendel, die Frau, für die so viele Männer in Pevens Turm gestorben waren, die Erbin des Feuers, die ihn liebte und mit ihm stritt und die nach einer Macht verlangte, die ihn vielleicht vernichten würde. Einen Moment lang kämpften Fragmente des Rätsels in seinem Geist gegeneinander. Dann glitten sie ineinander, und er sah die Gesichter von Gestaltwandlern, die er kannte; er sah Eriel, den Harfner Corrig, den er getötet hatte, die Gestaltwandler, die er in Isig getötet hatte. Ein kalter Schauder der Furcht und des Staunens durchrann ihn.

»Wenn du — wenn du etwas von Wert in ihnen siehst«, flüsterte er, »was, ins Hels Namen, sind sie dann?«

Sie hielt ihn ganz fest. Ihr Gesicht war reglos, feurig von Tränen.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Doch, das hast du gesagt.«

»Nein. Ihre Macht hat nichts von Wert.«

»Doch. Du spürst es in dir selbst. Und danach verlangt dich.«

»Morgon —«

»Entweder verwandelst du dich in meinem Geist, oder sie verwandeln sich. Dich kenne ich.«

Langsam ließ sie ihn los. Sie war unsicher. Er hielt sie noch immer fest, während er sich den Kopf zerbrach, was für Worte er ihr sagen mußte, damit sie ihm vertrauen konnte. Ganz allmählich wurde ihm klar, auf welche Argumente sie hören würde.

Er ließ sie los und gab der Harfe Gestalt, die er auf seinem Rücken trug. Sie lag in seinen Händen wie eine Erinnerung. Er setzte sich nieder, während sie reglos, wortlos am Rand des Feuers stand und ihn beobachtete. Die Sterne auf der Stirnseite der Harfe, rätselhaft und voller Geheimnisse, auf die es keine Antwort gab, trafen blitzend seinen Blick. Dann drehte er sie herum und begann zu spielen. Eine ganze Weile trug er nur Rendel in seinen Gedanken, eine schattenhafte Gestalt am Rande des Lichts, die sein Harfenspiel in Bann zog. Seine Finger erinnerten sich an Rhythmen und Formen, zupften zögernd Fragmente alter Weisen aus einem Jahr des Schweigens. Die uralte, makellos schöne Stimme der Harfe, die seine Hand zum Klingen brachte, weckte wiederum ein ungeahntes Staunen der Verzauberung in ihm. Rendel kam näher zu ihm, während er spielte, näherte sich Schritt um Schritt, bis sie an seiner Seite war. Dann blieb sie wieder stillstehen. Das Feuer loderte hinter ihr, und er konnte ihr Gesicht nicht erkennen.