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»Er machte mir eine Harfe, da Ihr die meine zerstört hattet und ich keine hatte.« Ein Licht flackerte in den Augen des Harfners, wie eine Erinnerung an Schmerz oder wie distanzierte, kalte Erheiterung. Das Licht trübte sich, und er neigte leicht den Kopf, so daß sein Gesicht im Schatten war. Gelassen fuhr er fort: »Die Harfe war aus schwarzem Feuer. Auf ihrer Front waren drei brennende, weißglühende Sterne.«

Morgons Kehle zog sich zusammen. »Ihr habt darauf gespielt«, flüsterte er.

»Er befahl es mir. Solange ich noch bei Bewußtsein war, spürte ich, wie sein Geist aus dem meinen die Erinnerungen an die Ereignisse in Anuin heraussog, Erinnerungen an die Monate meiner Wanderschaft mit Euch, an die Jahre und Jahrhunderte meines Dienstes für ihn, und an die Zeit davor. Die Harfe hatte eine befremdende, gequälte Stimme wie die Stimmen, die ich des Nachts hörte, als ich durch Hel ritt.«

»Er ließ Euch das Leben.«

Der Harfner lehnte seinen Kopf an den Baumstamm und erwiderte Morgons Blick.

»Er fand keinen Grund, es mir nicht zu lassen.«

Morgon schwieg. Die Flammen des Feuers vor ihm brachen knisternd dürres Holz wie kleine Knochen. Ihm war plötzlich kalt, selbst in der warmen Sommernacht, und er rückte näher ans Feuer. Ein Tier, vom Licht aus den Bäumen gelockt, richtete glühende Augen auf ihn, zwinkerte und verschwand wieder. Das Schweigen um ihn herum war beladen mit tausend Rätselfragen, die er hätte stellen sollen, und er wußte, daß der Harfner sie nur mit neuen Rätselfragen beantworten würde. Einen Moment lang rastete er in der Schwerelosigkeit der Stille.

»Ein trauriger Lohn für sechs Jahrhunderte«, sagte er schließlich. »Was habt Ihr eigentlich von ihm erwartet, als Ihr in seinen Dienst tratet?«

»Ich sagte ihm, daß ich einen Herrn brauchte, und daß kein König, der sich durch seine Lügen täuschen ließ, mir genügen könne. Wir entsprachen einander. Er schuf eine Täuschung; ich erhielt sie aufrecht.«

»Das war eine gefährliche Täuschung. Hat er nie den Erhabenen gefürchtet?«

»Hat ihm der Erhabene denn Anlaß gegeben, ihnAzu fürchten?«

Morgon schob ein Blatt ins Feuer.

»Nein.«

Er ließ seine Hand flach im Feuer liegen, ließ sie im Herzen der Flammen brennen, während Erinnerungen auf ihn einstürmten. »Nein«, flüsterte er wieder. Das Feuer loderte plötzlich unter seiner Hand auf, als er es einen Moment lang aus seiner Bewußtheit entließ. Er fuhr zurück, und Tränen sprangen ihm in die Augen. Wie durch einen Schleier sah er die knorrigen, flammenlodernden Hände des Harfners, der selbst in höchster Qual an seinem Schweigen festhielt. Er krümmte sich über seine eigene Hand und schluckte die Flüche hinunter.

»Das war unvorsichtig.«

»Morgon, ich habe kein Wasser —«

»Das ist mir schon aufgefallen.« Seine Stimme war hart vor Schmerz. »Ihr habt nichts zu essen, und Ihr habt nichts zu trinken, Ihr habt keine Gesetzesgewalt und keinen Reichtum, Ihr seid nicht einmal Zauberer genug, Euch selbst vor dem Verbranntwerden zu schützen. Ihr könnt kaum noch das eine, das Ihr besitzt, gebrauchen. Für einen Mann, der innerhalb von sieben Tagen zweimal dem Tod entronnen ist, erzeugt Ihr eine großartige Täuschung von Machtlosigkeit.«

Er zog seine Knie hoch und ließ seinen Kopf auf sie niedersinken. Eine Zeitlang war er still, er wartete nicht, daß der Harfner sprechen würde. Es kümmerte ihn nicht mehr. Das Feuer sprach zwischen ihnen in einer uralten Sprache, die keine Rätsel brauchte. Er dachte an Rendel und wußte, daß er hätte gehen sollen, doch er rührte sich nicht. Der Harfner saß in gelassener Ruhe, so still wie uralte Wurzeln oder verwitterter Stein. Das Feuer, das Morgon aus seiner Gewalt entlassen hatte, erstarb. Durch die Bögen seiner Arme hindurch sah er zu, wie das Licht immer schwächer wurde. Schließlich hob er den Kopf. Die Flamme lag zuckend in ihrer Asche; das Gesicht des Harfners war dunkel.

Er stand auf, die verbrannte Hand mit der anderen umschlössen. Er hörte das schwache Rascheln, als der Harfner sich bewegte, und wußte, daß der Harfner, schweigend und schlaflos, auch bei Morgengrauen noch dagewesen wäre, wenn er die ganze Nacht an diesem Feuer geblieben wäre. Er schüttelte den Kopf, sprachlos über die Verwirrung seiner eigenen Impulse.

»Ihr reißt mich mit Eurem Harfenspiel aus meinen Träumen, und ich komme und kauere wie ein Hund in Eurer Stille. Ich wünschte, ich wüßte, ob ich Euch trauen soll oder ob ich Euch töten soll, oder ob ich vor Euch fliehen soll, weil Ihr ein Spiel treibt, das tödlich ist. Braucht Ihr Nahrung? Wir können etwas von unserem Proviant entbehren.«

Es dauerte lange, ehe Thod ihm antwortete; die Antwort selbst war beinahe unhörbar.

»Nein.«

»Gut.« Immer noch verharrte er, beide Hände zu Fäusten geballt, immer noch hoffte er auf ein einziges markloses Knöchelchen der Wahrheit. Schließlich jedoch drehte er sich mit einer heftigen Bewegung um. Der Rauch, der vom verkohlten Holz aufstieg, brannte ihm in den Augen. Er ging drei Schritt in die Dunkelheit hinein, und beim vierten trat er in blauen Feuerschein, der aus dem Nichts hervorsprang und heller und heller wurde, ihn einhüllte und durchdrang, bis er aufschrie und stürzte.

Beim Morgengrauen erwachte er, an jener Stelle auf dem Boden liegend, wo er gestürzt war. Sein Gesicht war verklebt von Schmutz und zerfetzten dürren Blättern. Jemand schob ihm einen Fuß unter die Schulter und wälzte ihn auf den Rücken. Er sah wieder den Harfner, der noch immer unter dem Baum saß, vor sich einen Kreis von Asche. Und dann sah er, wer sich da über ihn beugte, um ihn beim Kragen seines Kittels zu packen und emporzureißen.

Er sog Luft ein, um aufzuschreien in Qual und Wut; Ghisteslohms Hand schlug ihm scharf auf den Mund und brachte ihn zum Schweigen. Im selben Augenblick sah er die Augen des Harfners, nachtfinster, still wie das schwarze, unbewegte Wasser auf dem Grund des Erlenstern-Bergs, und irgend etwas in ihnen war ihm eine Herausforderung, die Bitterkeit, die in ihm aufstieg, hinunterzuschlucken. Mit steifen, ungelenken Bewegungen, die Morgon verrieten, daß er die ganze Nacht dort gesessen hatte, stand der Harfner auf. Mit einer merkwürdigen Bedachtsamkeit legte er seine Harfe über die Asche ihres Feuers. Dann wandte er den Kopf, und Morgon folgte seinem Blick und sah Rendel, die weiß und stumm im Auge der aufgehenden Sonne stand.

Ein lautloser, verzweifelter Schrei schwoll in Morgons Brust an und zerschellte. Sie hörte ihn; sie erwiderte seinen Blick mit der gleichen Verzweiflung. Ihr Haar war zerzaust, und sie sah sehr müde aus, doch es schien ihr nichts geschehen zu sein.

Ghisteslohm sagte brüsk: »Wenn Ihr meinen Geist berührt, werde ich sie töten. Versteht Ihr mich?« Er schüttelte Morgon grob, um seinen Blick von Rendel zu lösen. »Habt Ihr verstanden?«

»Ja«, antwortete Morgon.

Und sogleich griff er den Gründer mit den Fäusten an. Ein weißes Feuer schlug ihm entgegen, fraß sich sengend durch seine Knochen, und er rutschte über den Boden, während er den Schweiß der Anstrengung aus seinen Augen zwinkerte, sich an Steinen und Ästen festklammerte, um nur ja keinen Laut aus seinem Inneren herauszulassen, Rendel war zu ihm gelaufen; er spürte ihren Arm um seinen Körper. Sie half ihm auf die Füße.

Er schüttelte den Kopf, versuchte, sie aus dem Feuerstrahl des Zauberers hinauszustoßen, doch sie hielt ihn nur noch fester und sagte: »Hör auf.«

»Ein vernünftiger Rat«, bemerkte der Gründer. »Nehmt ihn Euch zu Herzen.«

Er sah matt und abgekämpft aus im plötzlichen heißen Licht. Morgon sah dunkle Schatten und scharfe Kanten in der Maske heiterer Gelassenheit, die er jahrhundertelang getragen hatte. Er war ärmlich gekleidet in eine grobes, formloses Gewand, das ihn trügerisch gebrechlich erscheinen ließ. Das Gewand war sehr staubig, als wäre auch er zu Fuß die Handelsstraße hinuntergewandert.

Morgon, der sich abmühte, an der Wut und dem Schmerz, die in ihm tobten, Worte vorbeizuzwängen, sagte: »Konntet Ihr das SpielEures Harfners nicht hören, daß Ihr raten mußtet, wo Ihr mich an dieser Straße finden würdet?«