Zimmer und Säle stanken nach einem vertrauten Namen. In vielen fand er Skelette, die unter den Trümmern eingestürzter Wände begraben waren. Erinnerungen an Hoffnung und Kraft und Verzweiflung sammelten sich um ihn wie Gespenster. Er begann leicht zu schwitzen, während Schatten einer alles verheerenden, hoffnungslosen Schlacht sich fein und leicht wie Staub über ihn senkten. Als er den großen, runden Saal im Herzen des Gebäudes betrat, spürte er im Inneren seiner Mauern noch immer den donnernden Widerhall einer entsetzlichen Explosion von Haß und Verzweiflung. Er hörte, wie die Krähe auf seiner Schulter einen rauhen, kehligen Laut ausstieß; ihre Krallen bissen in seine Schulter. Er stieg über die Zimmerdecke hinweg, die in unzählige Teile zerschmettert auf dem Boden lag, und gelangte zu einer Tür im Hintergrund des Saales. Die Tür, die nur noch in Splittern in ihren Angeln hing, führte in eine weiträumige Bibliothek. Ein unermeßlicher Schatz an Büchern lag zerfetzt und verkohlt auf dem Boden. Unerbittlich hatte das Feuer in den Regalen gewütet und wenig mehr zurückgelassen als die Rücken und Skelette der Zauberbücher, die so alt waren wie das Reich oder älter. Der Geruch von verbranntem Leder hing noch immer im Raum, als hätte in sieben Jahrhunderten nichts die Luft bewegt.
Er wanderte von Gemach zu Gemach. In einem fand er geschmolzene Pfützen von Gold und Silber, wertvolle Metalle und geborstene Edelsteine, mit denen die Schüler gearbeitet hatten; in einem anderen die Gebeine kleiner Tiere. In einem dritten fand er Betten. Das Skelett eines Kindes lag zusammengekrümmt unter den Decken eines dieser Betten. Da drehte er um und suchte sich seinen Weg durch die geborstene Mauer zurück in den Abend. Doch die Luft war erfüllt von stummen Schreien, und die Erde unter seinen Füßen war tot.
Er hockte sich auf einem Haufen Steine nieder, die aus einer Ecke des Gebäudes herausgerissen waren. Von der kahlen Höhe des Hügels abwärts dehnte sich das Gewirr von Dächern zu den verfallenden Mauern hin. Sie waren alle aus Holz. Lebhaft sah er vor sich ein Meer von Feuer, das sich über die ganze Stadt ausbreitete, Felder und Obstpflanzungen niederbrannte, am Seeufer entlang in die Wälder hineinwogte, über denen sich ein heißer Sommerhimmel spannte, ohne Hoffnung auf Regen, der das Feuer hätte ersticken können. Er ließ sein Gesicht in die Hände sinken und flüsterte: »Was, in Hels Namen, tue ich hier? Er hat Lungold einmal zerstört; und jetzt werden er und ich es wieder zerstören. Die Zauberer sind nicht hierher zurückgekehrt, um ihm den Kampf anzusagen; sie sind hierher zurückgekehrt, um zu sterben.«
Die Krähe murmelte etwas. Er stand wieder auf, blickte auf die massige Ruine des Hauses, die sich dunkel vor dem leuchtenden Abglanz der untergehenden Sonne abhob. Er warf seinen Geist aus und berührte nur Erinnerungen. Er lauschte und hörte nur das Echo eines Namens, der seit Jahrhunderten verflucht wurde. Entmutigt ließ er die Schultern sinken.
»Wenn sie hier sind, dann hüten sie sich wohl... Ich weiß nicht, wie ich sie suchen soll.«
Rendels Stimme brach mit einer kurzen, nur im Geist gesprochenen Bemerkung durch das Wesen der Krähe. Er drehte den Kopf und blickte in die schwarzen, forschenden Augen.
»Ja, gut. Ich weiß, daß ich sie finden kann. Ich kann ihre Trugbilder durchschauen und ihre geistigen Fesseln durchbrechen. Aber, Rendel — sie sind große Zauberer. Sie gelangten durch Neugier, Disziplin, Integrität — vielleicht sogar Freude an ihre Macht. Sie eroberten sie sich nicht, indem sie schreiend auf dem Grund des Erlenstern-Bergs lagen. Niemals haben sie in das Landrecht eingegriffen oder einen Harfner von einem Ende des Reichs zum anderen gehetzt, um ihn zu töten. Mag sein, daß sie mich hier brauchen, um mit ihnen zu kämpfen, aber ich frage mich, ob sie mir vertrauen werden.« Die Krähe schwieg; er streichelte mit einem Finger ihre Brust. »Ich weiß. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«
Er wanderte wieder zurück in die Ruine. Diesmal öffnete er sich ganz und gar all der Qual der Zerstörung und den noch umherirrenden Erinnerungen an einen vergessenen Frieden. Wie ein facettenreicher Edelstein reflektierte sein Geist alle Farben und Tönungen verbliebener geistiger Macht, wie sie aus geborstenen Steinen, aus der unberührten Seite eines Zauberbuchs, aus vielen uralten Geräten aufstieg, die er bei den Toten fand — aus Ringen, seltsam geschnitzten Stäben, Kristallen, in denen erstarrtes Licht eingeschlossen war, Skelette geflügelter Tiere, denen er keinen Namen geben konnte. Er tastete all die verschiedenen Nuancen der Macht ab, fand all ihre Quellen. Einmal, als er ein schwelendes Feuer zu seinem Ursprung tief in einem Tümpel geschmolzenen Eisens verfolgte, sprengte er das Becken versehentlich und erkannte, daß das Eisen selbst ein Schmelztiegel des Wissens gewesen war. Die Druckwelle warf die Krähe hoch in die Luft und riß Steine aus der Decke. Er selbst war wie in einem Reflex mit dem Kraftstoß verschmolzen, hatte sich nicht gegen ihn aufgelehnt; die Krähe, die ängstlich krächzend umherflatterte, sah, wie er aus starrem Stein wieder zum Menschen wurde. Er hielt sie in seinen Händen, um sie zu beruhigen, während er voll Verwunderung und Staunen über die Geheimnisse der alten Zauberkunst nachdachte. Alles, was sein Geist berührte — Holz, Glas, Gold, Pergament, Knochen —, barg in sich ein Aschestäubchen von geistiger Kraft. Er forschte geduldig, nichts auslassend, entzündete einen Holzspan, den er von einem Dachbalken abriß, als es so dunkel wurde, daß er nichts mehr sehen konnte. Gegen Mitternacht schließlich, als die Krähe auf seiner Schulter schlummerte, wanderte sein Geist durch eine Tür, die es nicht gab.
Es war ein machtvoller Trug; er hatte zuvor schon auf die Tür geblickt und nicht durch sie hindurchgesehen, keinen Drang verspürt, sie zu öffnen. Sie war aus Eichenholz und aus Eisen, vergittert und verriegelt. Er mußte über einen Haufen zertrümmerter Steine und verkohlten Holzes hinwegsteigen, wenn er sie öffnen wollte. Rund um die Tür herum waren die Mauern fast bis zum Boden abgebröckelt; nichts schien hinter ihr zu liegen als die von der Schlacht verwüstete Erde zwischen zwei verfallenen Gebäuden. Doch sie war zu einem ganz bestimmten Zweck von einer lebenden Kraft geschaffen worden. Er kletterte über die Trümmer, um zu ihr zu gelangen, und legte seine Hand flach gegen sie. Ein fremder Geist versperrte ihm den Zutritt, ließ ihn Holzmaserung unter seinen Fingern fühlen. Er hielt inne, ehe er sie durchbrach, verwirrt, wie schon früher, durch das Ungewisse Ausmaß seiner eigenen Kräfte. Dann schritt er vorwärts, wurde einen Herzschlag lang zu wurmstichiger Eiche und verrosteten Schlössern, faßte in sich die Kraft, die all dies dort festhielt.
Abrupt ging es abwärts in schwarze Finsternis. Stufen, die unter einem Trugbild versengter Erde verborgen waren, führten in die Tiefe. Seine Flamme flackerte, wurde kleiner und kleiner, bis er gewahr wurde, was das für eine Kraft war, die gegen das Feuer kämpfte. Er speiste die Flamme mit einem Feuer, das tief im Verborgenen seines Geistes loderte, und sie brannte ruhig und klar.
Die ausgetretenen Stufen führten steil abwärts durch einen schmalen Gang. Allmählich wurden sie flacher, und schließlich hatte Morgon ebenen Boden unter den Füßen. Ein schwarzes, undurchdringliches Gesicht von Dunkelheit blickte ihm entgegen. Es roch nach verfaulendem Holz und feuchtem Stein. Er ließ seine Fackel heller brennen; mit zaghaften Fingern erforschte die Flamme die Finsternis. Eisige Kälte, wie hoch oben auf einem Berggipfel, machte ihn frösteln. Die Krähe stieß wieder ein heiseres Krächzen aus. Er spürte, daß sie die Gestalt wechseln wollte, und hastig schüttelte er den Kopf. Sie kroch wieder unter sein Haar. Während er sein Feuer heller und heller aufflammen ließ und nach einer Grenze der Dunkelheit suchte, kroch langsam etwas in seine Gedanken. Er spürte sehr nahe eine Kraft, die mit einem unendlich weiten, unterirdischen Gewölbe nichts zu tun hatte. Verwundert fragte er sich, ob der Schacht selbst Blendwerk war.