Die Schlacht, die im Herzen der Schule wütete, erschütterte die Erde. Vorsichtig suchte er sich einen Weg dorthin. Am grellen Lichtschein, der durch die schönen, zertrümmerten Fenster fiel, wußte er, daß sie sich dort konzentrierte, wo sie angefangen hatte — in der großen Rotunde, an deren Wänden sich noch immer das Echo des Namens des Gründers brach.
Sein Gespür sagte ihm, daß die Schlacht bisher nur einseitig geschlagen wurde; daß der Gründer mit den Zauberern spielte, daß ihr Leben ihm als Köder diente, Morgon anzulocken. Schon im nächsten Moment bekam Morgon den Beweis dafür, daß seine Annahme richtig gewesen war. Er fühlte, wie der Geist des Gründers über die Flammen strich wie ein schwarzes Suchfeuer. Flüchtig berührte er Morgons Geist; vor ihm gähnte ein vertrauter Abgrund ungeheurer, bedrohlicher Macht. Doch der Gründer versuchte gar nicht, Morgon festzuhalten. Sein Geist zog sich zurück, und Morgon hörte einen Schrei, der ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ.
Aloil wurde nicht weit von ihm mit Gewalt aus der Luft gerissen und in seine eigene Gestalt gezwungen. So verzweifelt und wütend er gegen die dunkle Macht, die seinen Geist gefangenhielt, ankämpfte, er konnte sich nicht befreien. Und wieder veränderte sich langsam seine Gestalt. Mächtige, von Wind und Wetter gemeißelte Äste sprangen aus seinen Schultern heraus; sein verzweifeltes Gesicht verschwamm hinter Eichenrinde, und ein dunkler Schlitz klaffte an jener Stelle im Stamm, wo sein Mund gewesen war. Wurzeln gruben sich in die tote Erde; sein Haar verwirrte sich zu blattlosen Ästchen. Eine lebende Eiche stand dort, wo seit sieben Jahrhunderten nichts mehr gewachsen war. Ein Blitzstrahl sauste zuckend auf sie zu, sie bis zu den Wurzeln zu spalten.
Morgon öffnete weit seinen Geist, fing den Blitzstrahl auf, ehe er den Baum treffen konnte. Er schleuderte ihn zurück auf Ghisteslohm und hörte, wie eine der Mauern krachend zerbarst. Dann drang er erbarmungslos in die Festung des Gründers ein und schweißte Ghisteslohms Geist mit dem seinen zusammen, so wie sie beide zuvor in der Schwärze des Erlenstern-Bergs zusammengeschweißt gewesen waren.
Er sog die Kraft in sich hinein, die wütend zuckend seine Gedanken zu zerschmettern suchte, und ließ sie auf dem Grund seines Geistes ausbrennen. Langsam gewann er an Boden,, bis schließlich der Geist des Gründers wieder so vertraut war, als befände er sich hinter seinen eigenen Augen. Er schenkte Erfahrungen, Impulsen und der langen, geheimnisvollen Lebensgeschichte des Gründers keine Beachtung, sondern konzentrierte sich allein auf die Quelle seiner Kraft, um sie bis zur Erschöpfung zu leeren. Er spürte es, als Ghisteslohm gewahrte, was er tat; er spürte es an den gewaltigen, verzweifelten Energiestößen, die ihn beinahe wieder und wieder wegrissen, bis er vergaß, daß noch anderes sein Wesen ausmachte, als ein Wille und ein Geist. Der Machtkampf endete schließlich. Er drang tiefer ein, stöberte Kraft und Energie auf und trank sie in sich hinein, bis der Gründer ihm etwas Unerwartetes überließ: Er gewahrte, daß er das Wissen um das Landrecht von Hed von neuem in sich aufsog.
Seine Umklammerung lockerte sich, zerbrach in einer Woge von Wut und Empörung über die Ironie. Ein chaotisches Gewitter der Raserei schleuderte ihn über den Boden. Benommen versuchte er, sich zu schützen, doch sein Geist konnte nichts als Feuer formen. Wieder schoß die Energie durch ihn hindurch, so daß er gegen brennend heißen Stein geworfen wurde. Jemand zog ihn weg; die Zauberer, die ihn umgaben, lenkten Ghisteslohms Aufmerksamkeit mit einem wütenden Überraschungsangriff von ihm ab, der die inneren Gebäude erzittern ließ.
Talies schlug die Flammen aus, die an seinem Kittel züngelten, und sagte kurz: »Tötet ihn doch einfach.«
»Nein.«
»Ihr starrköpfiger Bauer von Hed, wenn ich diese Schlacht überlebe, dann werde ich die Rätselkunst studieren.« Er drehte plötzlich den Kopf. »In der Stadt wird gekämpft. Ich höre Todesschreie.«
»Dort unten ist ein Heer von Gestaltwandlern. Sie kamen durch das vordere Tor, während wir das hintere bewachten. Ich habe — ich glaube, ich habe Yrth gesehen. Kann er mit Krähen sprechen?«
Der Zauberer nickte. »Gut. Dann wird er wohl an der Seite der Händler kämpfen.«
Er half Morgon auf die Beine. Die Erde schwankte unter ihnen, so daß sie beide übereinanderstürzten. Talies stand zuerst auf, dann rappelte sich Morgon hoch und blieb stehen, den Blick auf die Mauern der Rotunde gerichtet.
»Er wird schwächer dort drinnen.«
»Ja?«
»Ich gehe jetzt hinein.«
»Wie?«
»Ich gehe einfach hinein. Aber ich muß seine Aufmerksamkeit ablenken.«
Er überlegte einen Moment, während er eine Brandwunde an seinem Handgelenk betastete. Sein Geist, der aufmerksam das ganze Gelände der Schule absuchte, verharrte in der alten, zerstörten Bibliothek, in deren Regalen Hunderte von Zauberbüchern gestanden hatten. Die halbverkohlten Seiten waren noch immer mit Kraft geladen; mit Bannformeln, die in ihre Schlösser eingewoben waren, mit unausgesprochenen Namen, mit der Energie jener, die all ihre Erfahrungen mit der Kraft des Geistes auf den Seiten niedergeschrieben hatten. Er erweckte diese schlafenden Kräfte, sammelte ihre Fäden in seinem Geist. Einen Moment lang hätte das Chaos ihn beinahe überwältigt. Laut sprechend spann er ein geisterhaftes Gewebe aus Namen, Wörtern, Sätzen grotesker Bannsprüche, die Schüler gelegt hatten, aus einem Gewirr von Wissen und geistiger Kraft, das sich im Schein der grell flackernden Lichter in seltsame Gestalten formte. Schatten, Steine, die sich bewegten und sprachen, gesichtslose Vögel mit Schwingen von der Farbe des Feuers der Zauberer, kriechende und watschelnde Geschöpfe, die sich aus der verbrannten Erde emporstießen, sandte er in großem Aufmarsch gegen Ghisteslohm. Er weckte die toten Geister der Tiere, die während der Zerstörung getötet worden waren: Fledermäuse, Krähen, Wiesel, Frettchen, Füchse, weiße Wölfe; sie schwärmten durch die Nacht um ihn herum, suchten von ihm ihr Leben zu erhalten, bis er sie der Kraftquelle entgegenschickte. Er hatte gerade begonnen, die Wurzeln toter Bäume aus der Erde zu ziehen, als die vorderste Reihe seines Heeres in die Festung des Gründers eindrang. Der Ansturm dieser vielfältigen Splitter von Kraft und Energie, schwerfällig, beinahe harmlos, dennoch zu komplex, um einfach ignoriert zu werden, zog die Aufmerksamkeit des Gründers auf sich. Eine Stille trat ein, in der der Geist eines Wolfes eine gespenstische Totenklage wimmerte. Lautlos rannte Morgon zum großen runden Saal. Er war beinahe dort, als sein Heer fluchtartig den Rückzug antrat, um ihn herum und über ihn hinweg stürzte, in die Nacht hinausstob, der Stadt entgegen.
Morgon schickte ihnen seinen Geist nach, trieb die seltsamen, mißgestalteten Wesen, die er gemacht hatte, ins Reich der Vergessenheit zurück, ehe sie Lungold in Angst und Schrecken versetzen konnten. Die Anstrengung, die Geister von Fledermäusen und anderen Geschöpfen zu finden, die aus Erdklumpen geschaffen waren, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Als er endlich fertig war, wirbelte sein Geist wieder von Namen und Wörtern, die er wieder in sich selbst hatte aufnehmen müssen. Er füllte seinen Geist mit Feuer und zerschmolz die Reste von Kraft darin, während er selbst von seiner Kraft und Klarheit trank. Und da gewahrte er, daß er in nahezu völliger Finsternis stand.