»Mathom.« Seine Kehle war trocken. Er neigte den Kopf vor dem König, den er aus der Nacht von An hervorgerufen hatte. »Ihr müßt — Ihr wundert Euch gewiß, was ich tue.«
»Nein. Ihr habt es ja deutlich kundgetan, als Ihr es dem Heer, das Ihr zusammengerufen habt, erklärtet. Ihr vollbringt erstaunliche Dinge in meinem Land.«
»Ich habe mir Duacs Erlaubnis geholt.«
»Ich bin überzeugt, Duac war dankbar über Euren Vorschlag. Ihr wollt sie zu Schiff nach Hed bringen? Habe ich da richtig gehört?«
»Ich — ich hatte vor, mit Rendel nach Caithnard zu reiten und dort auf die Schiffe zu warten, jetzt aber glaube ich, daß es vielleicht besser ist, wenn ich mit den Toten segle. Es würde den Lebenden ihre Aufgabe erleichtern, wenn ich an ihrer Seite bin.«
»Ihr nehmt Rendel mit Euch nach Hed?«
»Sie — sie läßt nicht mit sich reden.«
Der König brummte. »Eine seltsame Frau.« Seine Augen waren so scharf und neugierig wie die eines Vogels, während sie sich mühten, hinter Morgons Worte zu blicken.
Morgon fragte ihn unvermittelt: »Was von mir habt Ihr in Euren Träumen gesehen?«
»Bruchstücke. Fetzen. Wenig, was Euch helfen wird, und weit mehr, als für mich gut ist. Vor langer Zeit träumte mir, Ihr kämt mit einer Krone in Euren Händen und drei Sternen auf Eurem Gesicht aus einem Turm. Aber der Name träumte mir nicht. Ich sah Euch mit einer schönen jungen Frau, von der ich wußte, daß sie meine Tochter war, aber noch immer blieb mir verborgen, wer Ihr wart. Ich sah.« Er schüttelte den Kopf und wandte den Blick von irgendeinem verwirrenden, gefährlichen Bild.
»Was?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Mathom.« Ihm war plötzlich kalt in der warmen Sommernacht. »Seid vorsichtig. Es sind Dinge in Eurem Geist, die Euch das Leben kosten könnten.«
»Oder mein Landrecht?« Seine magere Hand umschloß Morgons Schulter. »Vielleicht. Das ist der Grund, weshalb ich selten meine Gedanken erkläre. Kommt mit ins Haus. Es wird ein Donnerwetter geben, wenn ich zurückkehre, doch wenn Ihr das geduldig ertragen könnt, dann haben wir später Zeit, miteinander zu reden.« Er setzte sich in Bewegung, doch Morgon folgte ihm nicht. »Was ist?«
Morgon schluckte. »Ich muß Euch etwas sagen. Bevor ich mit Euch in Euren großen Saal gehe. Vor sieben Tagen stürzte ich dort hinein, um einen Harfner zu töten.«
Er hörte, wie der König scharf Atem holte.
»Thod kam hierher.«
»Ich habe ihn nicht getötet.«
»Aus irgendeinem Grund überrascht mich das nicht.« Seine Stimme klang hohl, als käme sie aus der Tiefe einer Gruft. Er zog Morgon mit sich zu dem mächtigen Haus, das weiß im Mondlicht stand. »Berichtet mir.«
Morgon berichtete ihm noch viel mehr, ehe sie den Saal erreichten. Er sprach sogar ein wenig von den vergangenen sieben Tagen, die ihm so kostbar waren, daß er sich manchmal fragte, ob es sie wirklich gegeben hatte. Mathom sagte wenig, ließ nur hin und wieder einen undeutlichen, kehligen Laut hören, der wie das Murmeln einer Amsel klang. Als sie in den Innenhof gelangten, sahen sie schnaubende, schwitzende Pferde, die zu den Stallungen geführt wurden. Ihre Statteldecken, purpurn und blau, trugen die Farben der königlichen Wache. Mathom fluchte leise.
»Rood scheint zurück zu sein. Mit leeren Händen, wütend und ungewaschen, von Geistern gejagt.«
Sie betraten den Saal, der im strahlenden Licht unzähliger Fackeln lag, und Rood, der zusammengesunken über einem Becher Wein saß, starrte seinen Vater fassungslos an. Duac und Rendel waren an seiner Seite. Sie drehten die Köpfe, doch er war als erster auf den Füßen, und seine Stimme übertönte die ihren.
»Wo, in Hels Namen, bist du gewesen?«
»Schrei mich nicht an«, gab der König gereizt zurück. »Wenn du nicht mehr Verstand hast, als in diesem Chaos auf der Jagd nach diesem Harfner herumzuirren, dann bekommst du von mir kein Mitleid.«
Er wandte seinen Blick zu Duac, während Rood, noch immer offenen Mundes, sich wieder in seinen Sessel fallen ließ. Duac blickte den König mit Kälte an, doch seine Stimme war beherrscht.
»So, so. Was hat dich nach Hause zurückgeführt? Fällst da plötzlich aus dem Himmel nieder wie ein böser Zauber! Doch nicht etwa die Bekümmerung über das Unheil, das du durch deine Abwesenheit hier angerichtet hast!«
»Nein«, antwortete Mathom unerschüttert, während er sich Wein eingoß. »Du und Rood habt eure Sache ohne mich sehr gut gemacht.«
»Was haben wir ohne dich sehr gut gemacht?« stieß Rood zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ist dir klar, daß wir am Rande eines Krieges stehen?«
»Ja. Und An hat sich in bemerkenswert kurzer Zeit dafür gerüstet. Selbst du hast dich in weniger als drei Monaten vom Gelehrten zum Krieger gewandelt.«
Rood holte tief Luft, um eine heftige Erwiderung zu geben. Duacs Hand schlug plötzlich hart auf seinen Arm und brachte ihn zum Schweigen.
»Krieg?« Duacs Gesicht hatte alle Farbe verloren. »Mit wem?«
»Wer steht noch unter Waffen?«
»Ymris?« Er wiederholte es ungläubig. »Ymris?«
Mathom trank von seinem Wein. Sein Gesicht sah älter aus als zuvor im Schein des Mondlichts, hager und von Müdigkeit gezeichnet. Er setzte sich neben Rendel nieder.
»Ich habe den Krieg in Ymris gesehen«, sagte er leise. »Die Hälfte der Küstengebiete ist in der Hand der Rebellen. Es ist ein geheimnisvoller, blutiger, erbarmungsloser Krieg, und er wird die Kräfte von Heureu Ymris erschöpfen. Er hat keine Hoffnung, ihn auf sein eigenes Land zu beschränken, wenn jene, gegen die er kämpft, beschließen, den Krieg über die Grenzen von Ymris hinauszutragen. Diesen Verdacht hatte ich schon früher, doch selbst ich konnte von den Drei Teilen nicht verlangen, sich zu bewaffnen, ohne einen Grund anzugeben. Und hätte ich einen Grund angegeben, so hätte das vielleicht einen Angriff noch heraufbeschworen.«
»Du bist absichtlich verschwunden?« flüsterte Duac. »Du hast uns im Stich gelassen, damit wir uns bewaffnen würden?«
»Es war eine extreme Maßnahme«, bekannte Mathom, »aber sie hat gewirkt.«
Er warf wieder einen Blick auf Rood, als dieser den Mund öffnete und mit gesenkter Stimme sprach.
»Wo warst du? Und hast du jetzt vor, eine Weile zu Hause zu bleiben?«
»Ich war hier und dort, bin den Neigungen meiner Neugier gefolgt. Und ja, ich denke, ich werde jetzt hier bleiben. Wenn du es dir verkneifen kannst, mich anzuschreien.«
»Wenn du nicht so starrköpfig wärst, würde ich nicht schreien.«
Mathom machte ein skeptisches Gesicht.
»Du hast sogar den Dickschädel eines Kriegers. Was wolltest du eigentlich mit Thod anfangen, wenn du seiner habhaft geworden wärst?«
Ein kurzes Schweigen trat ein.
»Ich hätte ihn früher oder später zu Schiff nach Caithnard gesandt«, erklärte Duac, »und es den Rätselmeistern überlassen, ihn zu befragen.«
»Die Schule in Caithnard ist kein Gerichtshof.«
Duac sah ihn an, und in seinen Augen blitzte Zorn.
»Dann sag du mir, was du getan hättest? Wenn du statt meiner hier gewesen wärst und erlebt hättest, wie Morgon — wie Morgon allein auf sich gestellt um Gerechtigkeit kämpfen mußte gegen einen Mann, der an kein Gesetz des Reiches gebunden ist, der jeden im Reich verraten hat — was hättest du dann getan?«
»Gerechtigkeit«, wiederholte Mathom leise. Morgon blickte ihn an, während er auf seine Antwort wartete. Er sah den fernen Widerschein von Schmerz in den dunklen, müden Augen. »Er ist der Harfner des Erhabenen. Ich würde es dem Erhabenen überlassen, ihn zu richten.«
»Mathom?« sagte Morgon, den die Frage bedrängte, was der König in seinem Geiste sah.
Doch Mathom antwortete ihm nicht. Auch Rendel sah ihn wartend an. Der König strich ihr leicht über das Haar, doch keiner von beiden sprach.
»Der Erhabene!« sagte Rood. Nichts von der Härte des Kriegers lag mehr in seiner Stimme. Die Worte waren ein Rätsel voller Bitterkeit und Verzweiflung, ein Flehen um eine Antwort. Seine Augen trafen die von Morgon, mit einem vertrauten Aufblitzen von Selbstironie. »Du hast meinen Vater gehört. Ich bin kein Rätselmeister mehr. Dieses Rätsel wirst du beantworten müssen, Rätselmeister.«