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»Ja, ich werde es beantworten«, erwiderte er müde. »Es scheint, daß ich keine Wahl habe.«

»Ihr seid viel zu lange hiergeblieben«, bemerkte Mathom.

»Ich weiß. Ich konnte nicht fort. Jetzt werde ich gehen...«: Er warf einen Blick auf Duac. »Morgen? Sind die Schiffe bis morgen bereit?«

Duac nickte. »Bri Corvett sagte mir, daß sie mit der Ebbe um Mitternacht auslaufen werden. Er hat noch eine Menge mehr zu mir gesagt, als ich ihm erklärte, was Ihr wollt. Aber er kennt Männer, die gegen Gold bereit sind, selbst eine Ladung von Toten zu befördern.«

»Morgen«, murmelte Mathom.

Er blickte zuerst auf Morgon und dann auf Rendel, die schweigend in das Licht einer tropfenden Kerze starrte. Ihr Gesicht war trotzig, als bereitete sie sich auf eine Auseinandersetzung vor. Mathom schien hinter seinen schwarzen, unergründlichen Augen seine eigenen Vermutungen anzustellen. Sie hob langsam den Blick, als spürte sie seine Gedanken.

»Ich reise mit Morgon, und ich bitte dich nicht, uns zu verheiraten. Willst du nicht einmal Widerspruch erheben?«

Er schüttelte seufzend den Kopf.

»Ich bin zu alt und zu müde, um zu streiten, und das einzige, was ich für euch beide wünsche, ist, daß ihr irgendwo in diesem von Unrast geschüttelten Reich euren Frieden findet.«

Sie starrte ihn an. Ihr Gesicht begann plötzlich zu beben, und sie streckte die Arme nach ihm aus, während Tränen ihr über die Wangen liefen.

»Oh, warum warst du nur so lange fort?« flüsterte sie, als er sie fest an sich drückte. »Ich brauchte dich.«

Er sprach mit ihr und mit Morgon, bis die Kerzen in ihren Haltern heruntergebrannt waren und die Fenster bleich wurden vom grauen Licht der Morgendämmerung. Sie schliefen fast den ganzen folgenden Tag, und spät am Abend, als die Welt wieder still war, führte Morgon sein Heer von Toten zum Hafen von Anuin.

Sieben Handelsschiffe lagen im Mondlicht vertäut, beladen mit feinen Tuchen und Gewürzen. Morgon, in dessen Geist eine wirre Masse von Namen, Gesichtern und Erinnerungen aus den Gehirnen der Toten brodelte, sah zu, wie die Krieger langsam im dunklen Hafen schattenhaft Gestalt annahmen. Bewaffnet und gepanzert warteten sie schweigend auf ihren Pferden. Die Stadt hinter ihnen lag im Dunklen; die schwarzen Finger der Masten im Hafen hoben sich mit der Dünung, um die Sterne zu berühren, und sanken wieder nieder. In traumhafter Stille hatten sich die Toten unter den Augen Duacs und Bri Corvetts und der schaudernden Seeleute auf den Schiffen versammelt. Gerade wollten sie an Bord gehen, als ein Pferd das Dock heruntergaloppierte und Morgon aus seiner Konzentration riß. Wie benommen starrte er auf Rendel, als diese vom Pferd sprang, konnte nicht verstehen, wieso sie nicht noch schlafend auf ihrem Lager lag. Während sein Geist sich mit ihrer unerwarteten Anwesenheit herumschlug, wurde er langsam wieder in die Nacht der Lebenden zurückgezogen. Nicht weit von ihnen brannte eine einsame Fackel; ihr Licht übergoß Rendels Haar, das sich aus den mit Edelsteinen besetzten Nadeln löste, mit einem feurigen Glanz. Ihr Gesicht konnte er nicht gut sehen.

»Ich komme mit dir nach Hed«, sagte sie.

Er hob die Hand, um ihr Gesicht dem Licht zuzuwenden. Die Verärgerung darin holte ihn in die Gegenwart zurück.

»Wir haben das doch besprochen«, versetzte er. »Nicht auf diesen Schiffen, die voll sind von den Geistern der Toten.«

»Du hast es mit meinem Vater besprochen. Du hast vergessen, mit mir darüber zu sprechen.«

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, merkte, daß er schwitzte. Bri Corvett stand nicht weit von ihnen über die Reling gelehnt, sein Ohr auf ihre Stimmen gerichtet, sein Auge aufs Wasser.

»Herr«, rief er leise, »wenn wir nicht bald auslaufen, sitzen hier sieben Schiffe voller Toter bis zum Morgen fest.«

»Gut.« Er reckte sich, um die stechenden Knoten der Anspannung in seinem Rücken zu lockern. Rendel verschränkte die Arme. Er fing eine Nadel auf, die ihr aus dem Haar fiel. »Es wäre das beste, wenn du durch Hel nach Caithnard hinaufreitest und dort auf mich wartest.«

»Du wolltest mit mir reiten. Nicht mir einer Ladung von Geistern nach Hed segeln.«

»Ich kann nicht ein Heer von Toten über Land nach Caithnard führen und sie dort aufs Schiff bringen, wo sämtliche Händler —

«

»Darum geht es nicht. Der springende Punkt ist: Ganz gleich, auf welchem Weg du nach Hed reist, ich komme mit dir. Der springende Punkt ist: Du wolltest direkt nach Hed segeln und mich in Caithnard auf dich warten lassen.«

Zornig blickte er sie an. »Das ist nicht wahr«, erwiderte er empört.

»Aber es wäre dir schon noch eingefallen«, gab sie kurz zurück. »Unterwegs wäre es dir bestimmt eingefallen, mich sicher und wohlbehalten wie ein braves Bräutchen in Caithnard warten zu lassen. Ich habe ein Bündel auf meinem Pferd. Ich kann jederzeit abreisen.«

»Nein. Vier Tage lang mit mir und den Toten von An auf hoher See, das kommt nicht in Frage.«

»Doch.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein!«

Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Schatten verdunkelten sein hageres Gesicht, während er sie betrachtete. Das Fackellicht streichelte ihr Gesicht, so wie er es in den vergangenen Tagen gestreichelt hatte. Licht sammelte sich in ihren Augen, und ihm fiel ein, daß sie in die Augen eines Totenschädels geblickt und toten Königen Trotz geboten hatte.

»Nein«, sagte er nochmals mit Härte. »Ich weiß nicht, was für Spuren die Toten auf dem Wasser zurücklassen werden. Ich weiß nicht —«

»Du weißt nicht, was du tust. Du weißt nicht, ob dir irgendwo Sicherheit beschieden ist, ob dir nicht auch in Hed Gefahr droht.«

»Und genau das ist der Grund, weshalb ich dich nicht auf diese Schiffe lassen werde.«

»Und genau das ist der Grund, weshalb ich an deiner Seite sein werde. Mir wenigstens wurde bei der Geburt ein Wissen um das Meer mitgegeben.«

»Und wenn es das Holz unter deinen Füßen zertrümmert und Planken und Gewürze und die Toten in die Wellen schleudert, was willst du dann tun? Du wirst ertrinken, weil ich dich nicht werde retten können, ganz gleich, welche Gestalt ich annehme, und was werde ich dann tun?«

Sie schwieg. Die Toten, die hinter ihr aufgereiht standen, schienen ihn mit dem gleichen unzugänglichen, unversöhnlichen Ausdruck anzusehen. Langsam wandte er sich um. Seine Hände öffneten sich und schlössen sich wieder. Er fing den spöttischen Blick eines der Könige auf und ließ seinen Geist still werden. Ein Name rührte Schatten der Erinnerung hinter den toten Augen auf. Gleich darauf regte sich der Geist des Toten, verschwamm mit der Luft und der Dunkelheit und ging aufs Schiff.

Wieder verlor er alles Zeitgefühl, während die sieben Handelsschiffe sich langsam füllten. Die Stimmen von Jahrhunderten murmelten in ihm und vermischten sich mit dem Plätschern des Wassers und dem Klang der Stimmen von Duac und Rendel, die in irgendeinem fernen Land miteinander sprachen. Endlich gelangte er zum letzten Namen und begann zu sehen.

Die dunklen, stillen Schiffe schaukelten unruhig auf dem Wasser. Kapitäne gaben mit gedämpften Stimmen ihre Befehle, als fürchteten sie, sie könnten die Toten wecken, wenn sie zu laut sprächen. Auf leisen Sohlen huschten Seeleute über die Decks. Rendel und Duac standen allein und schweigend auf dem Pier und ließen Morgon nicht aus den Augen. Er ging zu ihnen. Ein salziger Wind, der vorher nicht geblasen hatte, trocknete den Schweiß auf seinem Gesicht.

»Ich danke Euch«, sagte er zu Duac. »Ich weiß nicht, wie dankbar Eliard sein wird, aber es ist der beste Schutz, den ich mir für Hed denken kann, und das ist mir eine Beruhigung. Sagt Mathom. Sagt ihm —« Er brach ab und suchte nach den rechten Worten.