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Er stieß einen Schrei aus, als er von der Seite des Falken wich und abwärts glitt, den sanften Hügelketten unter sich entgegen. Er konnte kaum noch seine Schwingen bewegen; er ließ sich von den Luftströmungen abwärts tragen, bis er die Erde berührte. Dort wechselte er die Gestalt. Das hohe Gras fing ihn auf. Mit ausgestreckten Armen blieb er liegen, die Hände in die Erde gekrallt, bis das schreckliche Dröhnen seines Herzens nachließ und er wieder Luft statt Feuer zu atmen begann. Langsam rollte er sich auf den Rücken und stand auf. Der Falke schwebte über ihm. Reglos betrachtete er ihn, bis das wilde Gefühl seiner eigenen Kraft wieder über ihn hereinbrach. Sehnsüchtig hob sich seine Hand dem Falken entgegen. Wie ein Stein fiel der Vogel zu ihm hinunter. Er ließ ihn kommen. Er landete auf seiner Schulter, blieb dort sitzen, die blinden Augen verhüllt. Er war noch immer in seiner grimmigen Umklammerung, in seiner Macht und in seinem Stolz gefangen.

Drei Falken schliefen in dieser Nacht in den Hügeln von Herun. Drei Krähen flogen beim Morgengrauen nach Westen, über Dörfer und steiniges Weideland, wo wirbelnde Winde hier und dort einen knorrigen Baum oder eine einsame Felsspitze enthüllten. Die Dunstschleier verschmolzen zu sanftem Regen, der sie bis nach Kronstadt begleitete.

Die Morgol, deren Augen sonst alles sahen, hatte sie nicht kommen sehen. Doch der Zauberer Iff stand in geduldiger Erwartung im Hof, und die Morgol gesellte sich dort zu ihm. Neugierig blickte sie auf die drei schwarzen, regennassen Vögel, die vor ihrem Haus landeten. Und die Neugier wandelte sich in ungläubiges Staunen, nachdem die drei ihre natürliche Gestalt angenommen hatten.

»Morgon!« Als sie sein schmales Gesicht sanft mit ihren Händen umschloß, erkannte er, wer jener war, den er mit in ihr Haus gebracht hatte.

Yrth stand ruhig und schweigend da. Er schien in seine eigenen Gedanken vertieft, als sähe er durch ihrer aller Augen und müßte das Gewirr von Bildern ordnen.

Die Morgol strich Rendel das nasse Haar aus dem Gesicht.

»Ihr seid das große Rätsel von An geworden«, sagte sie, und Rendel wandte rasch den Blick von ihr ab, senkte die Augen zu Boden. Doch die Morgol hob ihren Kopf und küßte sie lächelnd. Dann wandte sie sich den Zauberern zu.

Iff legte seine Hand auf Yrths Schulter und sagte mit ruhiger Stimme: »El, das ist Yrth; ich glaube, Ihr kennt Euch noch nicht.«

»Nein.« Sie neigte den Kopf. »Euer Besuch ist meinem Haus eine Ehre, Sternenbildner. Tretet ein, drinnen ist es trocken und warm. Im allgemeinen kann ich sehen, wer meine Hügel überquert, und kann mich auf den Empfang meiner Gäste vorbereiten; aber drei müden Krähen schenkte ich keine Beachtung.« Sie legte ihre Hand leicht auf Yrths Arm, um ihn zu führen. »Woher kommt Ihr?«

»Aus Isig und Osterland«, antwortete der Zauberer. Seine Stimme klang rauher als sonst. Die Wachen im Gewirr der Gänge blickten auf die Besucher, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, doch in ihren Augen spiegelten sich Verwunderung und Nachdenklichkeit.

Morgon, der Yrth beobachtete, wie er neben der Morgol herging, den Kopf leicht ihrer Stimme zugeneigt, merkte erst nach einiger Zeit, daß Iff zurückgeblieben war und mit ihm sprach.

»Die Nachricht von dem Angriff auf Hed erreichte uns wenige Tage, nachdem er sich zugetragen hatte — so schnell verbreitete sich der Vorfall im Reich. Er löste Angst und großen Schrecken aus. Die meisten Menschen sind aus Caithnard geflohen, aber wohin können sie sich wenden? Nach Ymris? Nach An, das Mathom beinahe ohne Verteidigung zurückläßt, wenn er sein Heer nach Norden führt? Nach Lungold? Diese Stadt muß sich selbst erst noch von den entsetzlichen Kämpfen erholen. Nirgends mehr im Reich können die Menschen Zuflucht finden.«

»Haben die Rätselmeister Caithnard verlassen?« fragte Rendel.

Der Zauberer schüttelte den Kopf.

»Nein. Sie weigern sich fortzugehen.« Seine Stimme klang leicht gereizt. »Die Morgol bat mich, zu ihnen zu reisen und zu fragen, ob sie Hilfe, Schiffe für sich selbst und ihre Bücher brauchen. Sie sagten, die Lehrsätze der Zauberei enthielten vielleicht das Geheimnis, dem Tod auszuweichen. Die Lehrsätze der Rätselkunst jedoch besagen, daß es vergeblich ist, dem Tod den Rücken zu kehren, da man ihn, sobald man sich umdreht, nur wieder vor Augen haben wird. Ich flehte sie an, ausnahmsweise einmal praktisch zu denken. Sie meinten, Lösungen auf unbeantwortete Fragen wären ihnen jetzt eine größere Hilfe als Schiffe. Ich hielt ihnen vor, daß sie vielleicht in ihrer Schule umkommen würden. Darauf fragten sie mich, ob der Tod denn das Schrecklichste sei. Und da begann ich, die Rätselkunst ein klein wenig zu verstehen. Aber mir fehlte die Fertigkeit, mit ihnen zu rätseln.«

»Der Weise«, meinte Morgon, »geht einem Rätsel so hartnäckig nach wie ein Geizkragen einer Münze, die einem Spalt in den Dielenbrettern zurollt.«

»Offenbar. Hätte ich etwas tun können? Sie scheinen mir sehr verwundbar zu sein und sehr kostbar für das Reich.«

Das schwache Lächeln in Morgons Augen erlosch.

»Es gibt nur ein Mittel, ihnen zu helfen: Wir müssen ihnen das geben, was sie wünschen.«

Die Morgol blieb vor einem großen, hellen Raum stehen. Auf dem Boden lagen dicke, braune Teppiche, die Wände waren mit kostbaren, golddurchwirkten Stoffen bespannt.

»Meine Bediensteten werden Euch alles bringen, was Ihr braucht«, sagte sie zu Morgon und Rendel. »Im ganzen Haus stehen Wachen. Wir erwarten Euch in Iffs Studierzimmer. Dort können wir miteinander sprechen.«

»El«, erwiderte Morgon leise. »Ich kann nicht bleiben. Ich bin nicht gekommen, um mit Euch zu sprechen.«

Sie schwieg still, dachte wohl über seine Worte nach, wenn auch ihr Gesicht kaum eine Regung zeigte. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Ich habe alle Wachen aus den Städten und an den Grenzen abgezogen. Goh bildet sie hier aus, damit sie nach Süden abreisen können, falls es das ist, was Ihr braucht.«

»Nein«, entgegnete er leidenschaftlich. »Ich habe in Lungold schon zu viele von Euren Wachen sterben sehen.«

»Morgon, wir müssen alle unsere Kräfte einsetzen.«

»Herun birgt weit größere Kräfte als ein Heer von Wachen.«

Da erst sah er eine Veränderung in ihrem Gesicht. Still wie ein Schatten stand der Zauberer hinter ihr, und Morgon fragte sich, ohne Hoffnung auf eine Antwort, ob er die Kräfte aus eigenem Antrieb sammelte oder auf Geheiß des Falken.

»Die zu holen bin ich gekommen. Ich brauche sie.«

Ihre Finger schlössen sich sehr fest um seinen Arm.

»Die Kräfte des Landrechts?« flüsterte sie ungläubig. Er nickte stumm, wohl wissend, daß das erste Anzeichen von Mißtrauen in ihr in seinem Herzen eine ewige Wunde zurücklassen würde. »Über solche Kräfte verfügt Ihr? Euch das Landrecht anzueignen?«

»Ja. Ich brauche das Wissen um das Landrecht. Ich werde Euren Geist nicht berühren. Ich schwöre es. Ich bin mit Hars Erlaubnis in seinen Geist eingetreten, aber Ihr — in Eurem Geist gibt es Orte, wo ich nicht hingehöre.«

Ein Gedanke wuchs hinter ihren Augen. Sie stand ganz still, noch immer seinen Arm umfassend, und konnte nicht sprechen. Er hatte das Gefühl, als wandelte er vor ihren Augen seine Gestalt in etwas, das so alt war wie die Welt, um das sich Rätsel und Legenden und die Farben der Nacht und der Morgenröte woben wie kostbare, vergessene Schätze. Er verspürte das Verlangen, in ihren Geist einzudringen, um jenem Teil seiner wirren Vergangenheit nachzuspüren, der sie ihn in diesem Licht sehen ließ.