Выбрать главу

Doch sie gab ihn frei und sagte: »Nehmt von meinem Land und von mir, was Ihr braucht.«

Er blieb stehen, während sie durch den Gang schritt, ihre Hand unter dem Ellenbogen Yrths. Bedienstete kamen, rissen ihn aus seinen Gedanken. Während sie Feuer machten und Wasser erhitzten, unterhielt er sich mit gesenkter Stimme mit Rendel.

»Ich werde mich jetzt von dir trennen. Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleiben werde. Keiner von uns kann sich in Sicherheit wiegen, doch wenigstens sind Yrth und Iff hier; und Yrth — er will mich lebend. Das wenigstens weiß ich.«

Ihre Hand glitt auf seine Schulter, und sie sah in voller Unruhe und Sorge an.

»Morgon, du hast dich an ihn gebunden, als ihr flogt. Ich spüre es.«

»Ich weiß.« Er hob ihre Hand hoch und drückte sie gegen seine Brust. »Ich weiß«, wiederholte er. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Er lockt mich mit meinen eigenen Kräften. Ich habe dir ja gesagt, wenn ich mit ihm spielte, würde ich verlieren.«

»Vielleicht.«

»Wache über die Morgol. Ich weiß nicht, was ich ihr ins Haus gebracht habe.«

»Er würde ihr niemals weh tun.«

»Er hat sie belegen, und er hat sie schon einmal verraten. Einmal ist genug. Wenn du mich brauchst, dann frag die Morgol, wo ich bin. Sie wird es wissen.«

»Gut. Morgon —«

»Was?«

»Ich weiß nicht«, antwortete sie wie schon häufig in den letzten Tagen. »Nur, weißt du, manchmal fällt mir ein, was Yrth darüber sagte, daß das Feuer und die Nacht so einfache Dinge sind, wenn man sie nur klar sieht. Ich muß dauernd denken, daß du nur deshalb nicht weißt, was Yrth ist, weil du ihn niemals siehst. Du siehst nur die dunklen Erinnerungen.«

»Was, in Hels Namen, erwartest du denn, daß ich sehe? Er ist mehr als ein Harfner, mehr als ein Zauberer. Rendel, ich versuche ja zu sehen. Ich —«

Sie legte ihm eine Hand auf den Mund, als die Bediensteten neugierige Blicke auf sie warfen.

»Ich weiß.« Sie drückte ihn plötzlich sehr fest an sich, und er spürte, daß er zitterte. »Ich wollte dich nicht beunruhigen. Aber — sei still und hör zu. Ich versuche nachzudenken. Man versteht das Feuer erst dann, wenn man sich selbst vergißt und zu Feuer wird. Du hast gelernt, im Dunkeln zu sehen, als du zu einem mächtigen Berg wurdest, dessen Herz aus Dunkelheit bestand. Du bekamst dein Wissen um Ghisteslohm, indem du seine Macht und seine Kräfte in dich aufnahmst. Deshalb wirst du den Harfner vielleicht nur dann verstehen, wenn du ihm erlaubst, dich so weit in den Bannkreis seiner Macht zu ziehen, bis du ein Teil seines Herzens bist und anfängst, die Welt aus seinen Augen zu sehen.«

»Es kann sein, daß ich auf diese Weise das Reich zerstöre.«

»Vielleicht. Aber wenn er gefährlich ist, wie kannst du dann gegen ihn kämpfen, ohne ihn zu Aerstehen? Und wenn er nicht gefährlich ist?«

»Wenn er nicht —« Er brach ab. Es war, als veränderte sich die Welt um ihn herum, als rückten ganz Herun, die Königreiche in den Bergen, die südlichen Regionen, das gesamte Reich unter dem Blick von Falkenaugen an den ihnen gebührenden Platz. Er sah den Schatten des Falken in kraftvollem, lautlosem Flug das Reich überspannen und spürte, wie dieser Schatten über seinen Rücken glitt. Die Vision erlosch. Der Schatten wurde zu einer Erinnerung an die Nacht, und seine Hände verkrampften sich. »Er ist gefährlich«, flüsterte er. »Er war es immer. Warum bin ich so unentrinnbar an ihn gebunden?«

Am selben Abend verließ er die Stadt der Kreise und hielt sich Tage und Nächte, die er nicht zählte, von der Welt und beinah vor sich selbst verborgen, versunken in die Gesetze des Landrechts von Herun. Gestaltlos glitt er in die Nebelschwaden hinein, versank in den stillen, gefährlichen Sümpfen und spürte, wie der Morgenfrost sein Gesicht versilberte, als er über Schlamm und Binsen und zähem Sumpfgras erhärtete. Er schrie den schrillen, einsamen Schrei der Sumpfvögel und blickte aus starrem Stein zum Himmel und den Sternen auf. Er schweifte durch das flache Hügelland und senkte seinen Geist in Felsen, Bäume, Bäche, erkundete die von Eisen und Kupfer und ungeschliffenen Edelsteinen schweren Berge. Er spann ein riesiges Netz über die schlafenden Felder und die üppigen Weiden, von denen Nebelschleier aufstiegen, kroch in die Stoppeln des toten Wurzelwerks, in frosterstarrte Ackerfurchen und in die Halme des Grases ein, das die Schafe nährte. Die sanfte Anmut des Landes erinnerte ihn an Hed, doch in seinem Inneren wohnte eine dunkle, rastlose Gestalt, die hier und dort in Gestalt von einsam stehenden Felsnadeln hervorgebrochen war. Er flog dem Geist der Morgol sehr nahe, wäh-rend er dieses Land erkundete; er spürte, daß ihre Wachsamkeit und ihre Intelligenz aus Notwendigkeit geboren waren, daß das Erbe eines Landes, dessen Sümpfe und plötzlich einfallende Nebel jenen, die es besiedelt hatten, immer gefährlich werden konnten. Sein seltsames Gestein barg Geheimnisse, seine Hügel bargen Reichtum; auch diese Dinge waren im Geist der Morgol verankert. Während Morgon sich tief in die Gesetze des Landes versenkte, fühlte er, wie sein eigener Geist beinahe Frieden fand, von der Notwendigkeit zu klarem Sehen und Erkennen gezwungen. Als er schließlich soweit war, daß er wie die Morgol in die Dinge hinein- und durch sie hindurchsehen konnte, kehrte er in die Stadt der Kreise zurück.

Er kam so, wie er gegangen war — eine Nebelschwade, die aus der stillen, kalten Nacht von Herun hereinwehte. Nachdem er wieder seine natürliche Gestalt angenommen hatte, folgte er dem Klang der Stimme der Morgol, und schließlich stand er im feurigen Spiel von Licht und Schatten in ihrem kleinen, kostbaren Herrschersaal.

Die Morgol sprach mit Yrth, als er auftauchte; er fühlte sich der ruhigen Gelassenheit ihres Geistes noch immer verbunden. Er bemühte sich nicht, die Verbundenheit zu brechen. Er fühlte sich geborgen und ruhig in diesem Frieden. Lyra saß neben ihr; Rendel hatte sich näher ans Feuer gesetzt. Sie hatten zu Abend gegessen. Nur ihre Weinbecher und die Karaffen standen noch auf der Tafel.

Rendel drehte den Kopf und sah Morgon; sie lächelte über einen Ausdruck in seinen Augen und ließ ihn ungestört. Dann zog Lyra seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie trug ein leichtes, fließendes, feuerfarbenes Gewand; ihr Haar war geflochten und unter einem Netz aus Goldfäden zu einem kunstvollen Knoten gedreht. Nichts mehr von der vertrauten stolzen Selbstsicherheit war in ihrem Gesicht; ihre Augen wirkten älter, so als wäre sie verletzlicher geworden, als wollten die Erinnerungen an die schrecklichen Tage in Lungold, als sie hatte zusehen müssen, wie die Wachen unter ihrem Befehl gefallen waren, sie nie wieder loslassen. Sie sagte etwas zu Morgol, das Morgon nicht hörte.

»Nein«, antwortete ihr die Morgol kurz und einfach.

»Ich reise nach Ymris.« Eigensinnig starrten ihre dunklen Augen die Morgol an, doch ihre Stimme war ruhig. »Wenn nicht mit den Wachen, dann an deiner Seite.«

»Nein.«

»Mutter, ich gehöre nicht mehr deiner Wache an. Ich schied aus, als ich aus Lungold heimkehrte, du kannst also von mir nicht erwarten, daß ich dir ohne Überlegung gehorche. Ymris ist ein schreckliches Schlachtfeld — schrecklicher noch als Lungold. Ich gehe hin —«

»Du bist meine Landerbin«, fiel ihr die Morgol ins Wort. Ihr Gesicht war noch immer ruhig, doch Morgon spürte die Furcht, die erbarmungslos und kalt wie die Nebel von Herun tief in ihrem Geist wirbelte. »Ich führe die gesamte Wache aus Herun heraus und zur Ebene der Winde. Goh wird sie befehligen. Du hast selbst gesagt, du wolltest nie wieder einen Speer in die Hand nehmen, und ich war froh, daß du diese Entscheidung getroffen hattest. Es besteht keine Notwendigkeit für dich, in Ymris zu kämpfen; es besteht hingegen jede Notwendigkeit für dich, hierzubleiben.«