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»Wo seid Ihr hergekommen? Ich habe unentwegt an Euch und Heureu gedacht — nur an Euch und Heureu. Ihr seid dünn wie ein Dolch, aber wohlbehalten. Ihr seht aus — wenn ich je einen Menschen gesehen habe, der wie eine Waffe aussieht, dann seid Ihr es. Ich spüre das stumme Grollen ungeheurer Kräfte in diesem Zimmer. Woher habt Ihr sie?«

»Von überall aus dem Reich.«

Er schenkte sich Wein ein und setzte sich.

»Könnt Ihr Ymris retten?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich muß Yrth finden.«

»Yrth! Ich dachte, der wäre bei Euch.«

Morgon schüttelte den Kopf.

»Er ist davongegangen. Ich muß ihn finden. Ich brauche ihn.«

Seine Stimme war zu einem Flüstern herab gesunken. Er starrte ins Feuer, der Becher in seiner Hand erglühte golden. Astrins Stimme traf ihn wie ein Schlag, und er merkte, daß er beinahe eingeschlafen war.

»Ich habe ihn nicht gesehen, Morgon.«

»Ist Aloil hier? Sein Geist ist mit dem Yrths verbunden.«

»Nein, er ist bei Mathoms Heer. Es steht in den Wäldern an der Handelsstraße. Morgon!«

Er beugte sich vor, um Morgons Schultern zu fassen und ihn aus seiner plötzlichen, überwältigenden Verzweiflung herauszurütteln.

»Die ganze Zeit war er an meiner Seite, wenn ich nur Gespür genug gehabt hätte, mich umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen, anstatt seinen Schatten über das ganze Reich zu verfolgen. Ich habe mit ihm auf der Harfe gespielt, ich habe an seiner Seite gekämpft, ich versuchte, ihn zu töten, und ich habe ihn geliebt, und in dem Augenblick, als ich ihn erkenne, verschwindet er und läßt mich zurück, so daß mir nichts anderes übrigbleibt, als ihn von neuem zu verfolgen.«

Die Umklammerung von Astrins Händen wurde plötzlich schmerzhaft.

»Was sagt Ihr da?«

Morgon, der sich erst jetzt bewußt wurde, was er gesagt hatte, starrte ihn nur stumm an. Wieder sah er das seltsame, farblose Gesicht, das sich über ihn geneigt hatte, als er sprachlos und namenlos in einem fremden Land erwacht war. Der Krieger vor ihm mit dem dunklen, knappsitzenden Kittel und dem Kettenhemd darunter, wurde wieder der Halbzauberer, der in einer Hütte am Meer wohnte und über den Trümmern der Stadt auf der Ebene der Winde Rätseln nachspürte.

»Die Ebene der Winde.« flüsterte er. »Nein. Er kann nicht ohne mich dorthin gegangen sein. Und ich bin noch nicht bereit.«

Astrins Hand wurde schlaff. Sein Gesicht war ausdruckslos, schädelbleich.

»Wen sucht Ihr eigentlich?«

Er sprach sehr vorsichtig, reihte die Wörter aneinander wie Scherben eines kostbaren Gefäßes. In diesem Moment durchzuckte Morgon der Name des Harfners; das erste dunkle Rätsel, das der Harfner ihm vor langer Zeit an einem strahlenden Herbsttag im Hafen von Thul aufgegeben hatte. Er schluckte trocken und fragte sich plötzlich, was er eigentlich verfolgte.

Rendel drehte sich in ihrem Sessel und drückte ihr Gesicht in einen Pelzumhang, der über seine Lehne hing. Ihre Augen waren geschlossen.

»Du hast so viele Rätsel gelöst«, murmelte sie. »Wo sonst als auf der Ebene der Winde gibt es ein letztes ungelöstes Rätsel?«

Sie grub sich tiefer in den Pelz, als Morgon sie zweifelnd betrachtete. Sie regte sich nicht wieder. Astrin nahm ihren Becher, ehe er ihr aus der Hand fallen konnte.

Unvermittelt stand Morgon auf und durchquerte den kleinen Raum. Er beugte sich über Astrins Schreibpult; die Karte von Ymris lag in seinen Händen.

»Die Ebene der Winde.« Die schraffierten Gebiete auf der Karte wurden scharf unter seinem Blick. Er berührte eine Insel der Finsternis in Westruhn. »Was ist das?«

Astrin, der noch immer zusammengekauert am Feuer hockte, stand auf.

»Eine alte Stadt«, antwortete er. »Sie haben fast alle Städte der Erdherren in Meremont und Tor genommen und auch in Teilen von Ruhn.«

»Ist es möglich, zur Ebene der Winde durchzukommen?«

»Morgon, ich würde allein dorthin marschieren, wenn Ihr es wollt. Aber könnt Ihr mir einen Grund nennen, den ich meinen Kriegsherren angeben kann, wenn ich das ganze Heer von Caerweddin abziehe und die Stadt unbewacht lasse, nur um für einen Haufen verfallener Ruinen in den Kampf zu ziehen?«

Morgon sah ihn an. »Kann man durchkommen?«

»Hier.« Er zog eine Linie, die von Caerweddin abwärts führte, zwischen Tor und dem dunklen Gebiet im Osten Umbers hindurch. »Allerdings nicht ganz ohne Gefahr.« Er zog die südliche Grenze von Meremont nach. »Mathoms Heer steht hier. Wenn wir nur gegen Menschen kämpften, würde ich sagen, daß sie, zwischen zwei riesigen Heeren eingeschlossen, der sicheren Niederlage entgegensehen. Aber ich kann ihre Stärke nicht berechnen, Morgon. Keiner von uns kann das. Sie erobern alles, worauf sie es abgesehen haben, gerade wie es ihnen paßt. Sie geben nicht einmal mehr vor, mit uns zu kämpfen; sie überrennen uns einfach, sobald wir ihnen in den Weg kommen. Das Reich ist ihr Schachbrett, und wir sind die Figuren, mit denen sie spielen — und die Partie, die sie spielen, scheint unbegreiflich. Gebt mir nur einen Grund, weshalb ich meine Leute nach Süden schicken soll, um bei bitterer Kälte um ein Gebiet zu kämpfen, in dem seit Jahrhunderten kein Mensch mehr gelebt hat.«

Morgon berührte einen Punkt auf der Ebene der Winde, wo vielleicht ein einsamer Turm emporragte.

»Danan zieht mit seinen Bergleuten nach Süden. Und Har mit den Vesta. Und die Morgol mit ihren Wachen. Yrth wollte sie auf der Ebene der Winde haben. Astrin, ist das gut genug? Die Landherrscher des Reiches zu schützen?« »Warum?« Seine Faust fiel krachend auf die Karte, doch Rendel rührte sich nicht einmal. »Warum?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich werde sie in Marcher aufhalten.«

»Ihr werdet sie nicht aufhalten. Es zieht sie unwiderstehlich zur Ebene der Winde, genau wie mich, und wenn Ihr auch nur einen von uns im nächsten Frühjahr lebend sehen wollt, dann marschiert mit Eurem Heer nach Süden. Ich habe die Jahreszeit nicht gewählt und auch nicht das Heer, das mir quer durch das Reich folgt. Und auch nicht den Krieg. Ich bin —« Er brach ab, als Astrins Hände sich wiederum um seine Schultern schlössen. »Astrin, ich habe keine Zeit mehr. Ich habe zuviel gesehen. Meine Möglichkeiten sind erschöpft.«

Das eine gesunde Auge hätte seinen Geist erkundet, wenn er es ihm gestattet hätte.

»Wer trifft dann Eure Entscheidungen?«

»Kommt auf die Ebene der Winde.«

Der Prinz ließ ihn los. »Ich werde kommen«, versprach er flüsternd.

Morgon wandte sich von ihm ab und setzte sich wieder.

»Ich muß fort«, sagte er müde.

»Heute nacht noch?«

»Ja. Ich will ein wenig schlafen und dann aufbrechen. Ich brauche Antworten auf viele Fragen.«

Er warf einen Blick auf Rendels Gesicht, das halb verborgen war im Pelz; nur die Konturen ihrer Wange und ihres Kinns, über das Licht hinspielte, waren unter ihrem Haar zu sehen.

»Ich werde sie schlafen lassen«, sagte er sehr leise. »Es kann sein, daß sie mir folgt, wenn sie erwacht; sagt ihr, daß sie vorsichtig sein soll, wenn sie über die Ebene der Winde fliegt.«

»Wohin geht Ihr?«

Rendels Haar verschmolz zu Feuer; seine Augen fielen ihm zu.

»Aloil suchen. einen Wind suchen.«

Er schlief traumlos und erwachte einige Stunden später. Astrin hatte Rendel zugedeckt; sie war kaum noch zu sehen unter den pelzgefütterten Decken. Astrin, der auf Fellen zwischen ihnen lag, bewachte sie. Er hatte sein Schwert gezogen, und eine Hand ruhte auf der nackten Klinge. Morgon glaubte, er wäre eingeschlafen, doch das frostige Auge öffnete sich, als Morgon aufstand. Sein Mund blieb stumm. Morgon beugte sich in wortlosem Lebewohl zu ihm hinunter. Dann flog er hinaus in die Nacht.

Die Nachtwinde umtobten ihn mit wütendem Fauchen, während er flog. Auf der Strecke zwischen Caerweddin und der Ebene der Winde wagte er nicht, seinen Geist auszusenden. Der Morgen brachte kalten, grauen Regen über Bäume und leblose Felder. Er flog den ganzen Tag, in stetigem Kampf mit den Winden. Im Zwielicht erreichte er die Ebene der Winde.