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Morgon senkte wieder den Kopf.

»Ich wollte Euch sogar töten.«

Die Finger des Harfners berührten seine Wange, strichen ihm das Haar aus den Augen.

»Du hättest nicht auf wirksamere Art verhindern können, daß meine Feinde mir auf die Spur kamen. Aber wenn du an jenem Tag in Anuin nicht innegehalten hättest, dann weiß ich nicht, was ich getan hätte. Hätte ich meine Geisteskräfte eingesetzt, dich daran zu hindern, so hätte danach keiner von uns beiden mehr lange gelebt. Hätte ich aus der Verzweiflung heraus, daß wir uns beide in eine so ausweglose Lage hineinmanövriert hatten, zugelassen, daß du mich tötest, so hätte die Macht, die in dich übergegangen wäre, dich vernichtet. Deshalb gab ich dir ein Rätsel, in der Hoffnung, daß es dich zum Nachdenken veranlassen würde.«

»So gut kanntet Ihr mich«, flüsterte Morgon.

»Nein. Du hast mich immer von neuem überrascht — von Anfang an. Ich bin so alt wie die Steine dieser Ebene. Die prächtigen Städte, die die Erdherren erbauten, wurden von einem Krieg zerstört, den kein Mensch hätte überleben können. Dieser Krieg wurde aus einer Art Unschuld geboren. Wir besaßen unermeßliche Macht, und doch verstanden wir nicht das Wesen und die Bedeutung der Macht. Das war der Grund, weshalb mir soviel daran lag, daß du Ghisteslohm verstandest, selbst wenn du mich dafür haßtest. Du solltest erkennen, weshalb er sich selbst zerstören mußte.

Wir führten einst ein so friedvolles Leben in diesen wunderbaren Städten. Sie waren jedem Wechsel des Windes offen.

Unsere Gesichter wandelten sich mit jeder Jahreszeit. Wir zogen Wissen aus allen Dingen: aus der Stille und Einsamkeit des Hinterlandes ebenso wie aus den tosenden Schneestürmen, die über die nördlichen Einöden hinwegfegten. Erst als es zu spät war, erkannten wir, daß die Kräfte, die in jedem Stein, in jedem Wassertropfen wohnen, sowohl Leben bringen können als auch Zerstörung.«

Er schwieg einen Moment lang, sah Morgon nicht, während er von einer alten Bitterkeit kostete.

»Die Frau, die du als Eriel kennst, war die erste, die anfing, Macht zu horten. Und ich war der erste, der das Gesicht der Macht erkannte. Deshalb traf ich eine Entscheidung. Ich fing an, alle Wesen und Dinge der Erde durch ihre eigenen Gesetze an mich zu binden, und gestattete nichts und niemandem, diese Ordnung zu stören. Doch ich mußte kämpfen, um das Landrecht behalten zu können, und da lernten wir, was Krieg ist. Das Reich, so, wie du es kennst, hätte der Gewalt jener Schlachten keine zwei Tage standgehalten. Wir machten unsere eigenen Städte dem Erdboden gleich. Wir vernichteten einander. Wir vernichteten unsere Kinder, entrissen selbst ihnen die Macht. Ich hatte bereits gelernt, die Winde zu beherrschen, und das war das einzige, was mich rettete. Es gelang mir, die Kräfte der letzten Erdherren zu fesseln, so daß sie kaum andere Kräfte gebrauchen konnten als jene, die ihnen von Geburt an mitgegeben waren. Ich trieb sie ins Meer, während die Erde langsam wieder gesundete. Dann begrub ich unsere Kinder. Die Erdherren stiegen schließlich wieder aus dem Meer empor, doch sie konnten sich nicht aus meinem Bann befreien. Und sie konnten mich nicht finden, weil die Winde mich verbargen, immer.

Aber ich bin sehr alt. Viel länger kann ich sie nicht mehr gefesselt halten. Das wissen sie. Ich war schon alt, als ich ein Zauberer namens Yrth wurde, um die Harfe und das Schwert fertigen zu können, die mein Erbe einmal brauchen würde. Ghisteslohm holte sich sein Wissen vom Sternenträger bei den Toten von Isig, und er wurde zu einem weiteren Feind, den die Verheißung ungeheurer Macht lockte. Er glaubte, wenn er den Sternenträger unter seine Gewalt bekommen könnte, dann könnte er die Macht, die der Sternenträger erben sollte, in sich aufnehmen und nicht nur dem Namen nach zum Erhabenen werden. Er wäre daran zugrunde gegangen, aber ich machte mir nicht die Mühe, ihm das zu erklären. Als ich erkannte, daß er auf dich wartete, hielt ich ihn unter ständiger Beobachtung — in Lungold zuerst und später im Erlenstern-Berg. Ich nahm die Gestalt eines Harfners an, der bei der Zerstörung umgekommen war, und trat in seinen Dienst. Er sollte dir nichts anhaben können. Als ich dich endlich fand, dort auf dem Pier in Tol, ohne eine Ahnung deiner Bestimmung, zufrieden damit, über Hed zu herrschen, eine Harfe in den Händen, auf der du kaum spielen konntest, und unter deinem Bett die Krone der Könige von Aum, erkannte ich, daß das letzte, was ich nach diesen endlosen Jahrhunderten der Einsamkeit erwartete, ein Mensch war, der Liebe in mir wecken würde.« Wieder schwieg er. Durch den Schleier seiner Tränen hindurch sah Morgon sein Gesicht nur als ein bleiches, silbern schimmerndes Oval. »Hed«, sagte er dann. »Kein Wunder, daß dieses Land den Sternenträger hervorbrachte, einen Fürsten von Hed mit liebendem Herzen, Herrscher über unwissende, starrköpfige Bauern, die an nichts glaubten als an den Erhabenen.«

»Ich bin auch jetzt nicht viel mehr als ein unwissender, starrköpfiger Bauer. Habe ich uns beide vernichtet, indem ich hierher kam, Euch zu finden?«

»Nein. Dies ist der einzige Ort, wo keiner uns sucht. Aber uns bleibt wenig Zeit. Du hast Ymris überquert, ohne an sein Landrecht zu rühren.«

Morgon senkte die Hände.

»Ich wagte es nicht«, antwortete er. »Und das einzige, woran ich denken konnte, wart Ihr. Ich mußte Euch finden, ehe die Erdherren mich fanden.«

»Ich weiß. Ich ließ dich in gefährlicher Situation zurück. Aber du hast mich gefunden, und in mir ist das Landrecht von Ymris geborgen. Du wirst das Wissen und seine Gesetze brauchen. Ymris ist ein Sitz großer Macht. Nimm das Wissen aus meinem Geist. Hab keine Angst«, fügte er hinzu, als er Morgons Gesicht sah. »Ich werde dir nur dieses Wissen geben; nichts, was du noch nicht ertragen kannst. Setz dich.«

Langsam ließ sich Morgon auf den Steinboden gleiten. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Der Wind blies die Nässe durch die Öffnungen in der Turmkammer, doch Morgon war nicht kalt.

Das Gesicht des Harfners wandelte sich; der Ausdruck grüblerischer Unruhe wich einem zeitlosen Frieden, während er sein Reich betrachtete. Morgon sah ihn an und trank gierig von diesem Frieden, bis er eingehüllt war in seine Stille und der Geist des Erhabenen sein Herz zu berühren schien. Er hörte wieder die tiefe, nachtdunkle Stimme, die Stimme des Falken.

»Ymris. Hier, auf der Ebene der Winde, wurde ich geboren. Horch auf seine Kräfte, die sich unter dem Rauschen des Regens, unter den Schreien der Toten regen. Es ist wie du, wild und voller Liebe. Sei still und hör dem Land zu.«

Er wurde so still, daß er hörte, wie sich das Gras unter der Last des Regens bog, daß er die vergangenen Namen aus frühen Jahrhunderten hörte, die hier gesprochen worden waren. Und dann wurde er zu dem Gras.

Langsam stieg er aus Ymris empor. Dröhnend hämmerte sein Herz unter dem Eindruck seiner langen und blutigen Geschichte, und sein Körper kannte seine grünen Felder, wilden Felsküsten, geheimnisvollen Wälder. Er fühlte sich so alt wie der erste Stein, der aus dem Erlenstern-Berg herausgehauen worden war, um auf dieser Erde zu liegen, und er wußte weit mehr, als er je hatte wissen wollen, von den schrecklichen Verheerungen, die der kürzliche Krieg in Ruhn angerichtet hatte. Er spürte eine große, brachliegende Macht in Ymris, vor der er zurückgeschreckt war wie vor einem weiten Meer oder mächtigen Berg, die sein Geist nicht aufnehmen konnte. Doch es barg auch friedliche Ruhe in sich, dieses Land — einen stillen, geheimnisvollen See, in dem sich vieles spiegelte; Wälder, in denen völlig schwarze Tiere lebten, die so scheu waren, daß sie starben, wenn das Auge eines Menschen auf sie fiel; seltsame Steine, die einst gesprochen hatten; weite Eichenwälder an den westlichen Grenzen, deren Bäume sich der ersten Menschen erinnerten, die nach Ymris gekommen waren. Und diese Bilder waren ihm teuer.