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Auf der Ebene fand er die Gestalt eines Fürsten von Hed mit Händen, die von Narben gezeichnet waren, und drei Sternen im Gesicht. Um ihn heru,m hallte das Getümmel einer Schlacht wider; Steine stürzten ein und lösten sich auf. Das Gras vibrierte wie die zerrissenen Saiten einer Harfe. Ein Lichtstrahl der untergehenden Sonne brannte in seinen Augen. Er wandte sich von ihm ab und sah Rendel.

Sie war in Hed, am Strand oberhalb von Tol. Sie hockte auf einem Felsen und schleuderte zersprungene Muschelschalen ins Meer, vom Gischt der Brandung umsprüht. Ihr Antlitz schien ein Spiegel der Gefühle, die in seinem Herzen waren, eine Mischung aus Ratlosigkeit und Traurigkeit. Es zog an ihm wie eine Hand. Er flog über das Wasser und nahm vor ihr seine natürliche Gestalt an.

Sprachlos, eine Muschel in der Hand, blickte sie zu ihm auf. Auch er fand keine Worte. Er fragte sich, ob er in den nördlichen Einöden alle Sprache vergessen hatte. Stumm setzte er sich neben sie, von dem Verlangen getrieben, in ihrer Nähe zu sein. Er nahm die Muschel aus ihrer Hand und warf sie in die Wellen.

»Du hast mich aus den Tiefen der nördlichen Einöden hierhergezogen«, sagte er. »Ich war — ich weiß nicht, was ich war. Etwas Eiskaltes.«

Sie strich ihm eine Strähne zottigen Haars aus den Augen.

»Ich war neugierig, ob du hierherkommen würdest. Ich dachte mir, du würdest schon kommen, wenn du soweit wärst.«

In ihrer Stimme lag eine Resignation, die er nicht verstand.

»Wie hätte ich kommen können? Ich wußte ja nicht, wo du warst. Du bist von der Ebene der Winde einfach verschwunden.«

Einen Moment lang starrte sie ihn verwundert an.

»Ich dachte, du wüßtest alles. Du bist der Erhabene. Du weißt sogar schon, was ich als nächstes sagen werde.«

»Nein, das weiß ich nicht«, widersprach er. Er bohrte ein Stück gesprungene Muschelschale aus einem Spalt und schleuderte es ins Wasser. »Du bist nicht in meinen Geist gebunden. Ich wäre längst zu dir gekommen, wenn ich nur gewußt hätte, wo, in Hels Namen, ich dich suchen soll.«

Sie schwieg, während sie ihn forschend ansah. Er erwiderte schließlich ihren Blick, seufzte leicht und legte seinen Arm um ihre Schultern. Ihr Haar roch nach Salz; ihr Gesicht begann, sich unter der Sonne zu bräunen.

»Ich bin von einem Geist besessen«, sagte er. »Ich glaube, mein Herz wurde in diesem steinernen Grab verschüttet.«

»Ich weiß.«

Sie küßte ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter. Eine Woge wälzte sich zu ihren Füßen hinauf und glitt wieder zurück. Der Hafen von Tol wurde wieder aufgebaut; mächtige Fichtenstämme aus den nördlichen Gebieten lagen am Strand. Sie blickte über das Meer hinweg nach Caithnard, über das sich schon die abendlichen Schatten senkten.

»Die Schule der Rätselmeister ist wieder offen«, sagte sie.

»Ich weiß.«

»Wenn du alles weißt, worüber sollen wir dann in Zukunft sprechen?«

»Ich weiß nicht. Über nichts wohl.«

Er sah ein Schiff, das von Tol aus übers Meer fuhr. Es trug einen Fürsten von Hed und einen Harfner. Das Schiff legte in Caithnard an. Beide, der Fürst von Hed und der Harfner, gingen von Bord, um eine lange Reise anzutreten. Wann sie wohl enden würde, fragte er sich.

Er zog Rendel näher an sich, seine Wange an ihrem Haar. Er hatte es geliebt, in diesem Widerschein des letzten Lichts auf seiner Harfe zu spielen, doch die gestirnte Harfe war zerbrochen, ihre Saiten vom Schmerz zerrissen. Er berührte eine Muschel, die am Fels klebte, und ihm fiel ein, daß er ihre Gestalt niemals angenommen hatte. Träge plätschernd schlug das Meer gegen die Felsen. Und in diesem Augenblick war er nahe daran, die letzten Klänge eines Liedes zu hören, das er einst geliebt hatte.

»Was hast du mit den Erdherren getan?«

»Ich habe sie nicht getötet«, antwortete er leise. »Ich habe ihnen nicht einmal ihre Kräfte genommen. Ich habe sie im Erlenstern-Berg eingeschlossen.«

Er spürte, wie sie einen lautlosen Seufzer ausstieß.

»Ich hatte Angst zu fragen«, flüsterte sie’.

»Ich konnte sie nicht vernichten. Wie hätte ich das tun können? Sie waren ein Teil von dir — und von Thod. Sie sind gebannt, bis sie sterben oder bis ich sterbe — je nachdem, was zuerst eintritt.« Mit müdem Blick sah er auf die nächsten Jahrtausende. »Rätsel. War dies wirklich das letzte? Enden alle Rätsel in einem Turm ohne Tür? Mir ist, als hätte ich diesen Turm Stein um Stein, Rätsel um Rätsel aufgebaut, und als ich den letzten Stein einfügte, da zerstörte ich ihn.«

»Ich weiß es nicht. Als Duac fiel, war ich so tieftraurig. Mir war, als hätte man mir etwas aus dem Herzen gerissen. Es schien mir so ungerecht, daß er in diesem Krieg fallen mußte, da er doch der vernünftigste und geduldigste von uns war. Diese Wunde ist verheilt. Aber der Harfner. Ich ertappe mich dabei, daß ich erwarte, durch das Rauschen des Wassers, durch das Blitzen des Lichts sein Spiel zu hören. Ich weiß nicht, warum wir ihn nicht ruhen lassen können.«

Morgon zog ihr Haar aus den Fingern des Windes und glättete es. Er tauchte irgendwo in den ständigen Strom seiner Gedanken ein, der unmittelbar unter der Oberfläche seines Bewußtseins floß. Er hörte Tristan mit Eliard sprechen, während sie in Akren den Tisch deckte. In Hel sahen Nun und Raith von Hel bei der Geburt eines Schweins zu. In Lungold barg Iff Bücher aus der abgebrannten Bibliothek der Zauberer. In Kronstadt sprach Lyra mit einem jungen Edlen aus Herun und vertraute ihm Dinge über die Schlacht in Lungold an, die sie keinem ändern gesagt hatte. Auf der Ebene der Winde wurden die zersprungenen Teile eines Schwerts langsam vom Gras überwuchert.

Er roch, wie das Zwielicht des Abends Hed einhüllte, das junge Gras, die umgepflügte Erde, die sonnenwarmen Blätter der Bäume. Wieder zog die Erinnerung an ein Lied, das kein Lied war, an seinen Gedanken, und beinahe wäre es ihm gelungen, seine Melodie zu vernehmen. Rendel schien es zu hören. Sie lehnte sich an ihn, und ihr Gesicht wurde friedlich im letzten warmen Licht.

Er sagte: »In Hel kommt gerade ein sprechendes Schwein zur Welt. Nun und der Herr von Hel sind dabei.«

Sie lächelte plötzlich. »Das erste seit drei Jahrtausenden. — Morgon, während ich auf dich wartete, mußte ich etwas tun, deshalb erforschte ich das Meer. Und da habe ich etwas gefunden, das dir gehört. Es ist jetzt in Akren.«

»Was?«

»Weißt du es nicht?«

»Nein. Soll ich deine Gedanken lesen?«

»Nein. Niemals. Wie könnte ich dann mit dir streiten?«

Sein Gesichtsausdruck änderte sich plötzlich, und ihr Lächeln vertiefte sich.

»Pevens Krone?«

»Eliard sagt, sie wäre es. Ich habe sie ja nie zuvor gesehen. Sie war ganz von Seetang überwachsen. Nur der eine große Stein war klar wie ein Auge. Das Meer ist wunderschön. Vielleicht werde ich in ihm leben.«

»Und ich lebe in der Einöde«, meinte er. »Einmal alle hundert Jahre tauchst du aus dem Meer empor, und ich komme zu dir oder ich ziehe dich mit meinem Harfenspiel in die Winde hinein.«

Da endlich hörte er es — im Seufzen der Wellen, in dem Fels, auf dem sie saßen, uralt und voller Wärme. Zaghaft öffnete sich sein Herz diesem Gefühl, das er seit Jahren nicht mehr gekannt hatte.

»Was ist?«

Sie lächelte noch immer. In ihren Augen, die ihn ansahen, spiegelte sich der Glanz der versinkenden Sonne. Lange Zeit lauschte er still. Er nahm ihre Hand und stand auf. An seiner Seite schritt sie zur Küstenstraße über den Felsen. Die letzten Sonnenstrahlen ergossen sich über die grünen Felder. Die Straße vor ihnen schien schnurgerade ins Licht zu führen. Er blieb stehen, und während sein Herz aufging wie ein Samenkorn, hörte er in ganz Hed, im ganzen Reich eine vertraute Stille, die aus dem Herzen aller Dinge kam.