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»Seid Ihr — seid Ihr verheiratet?«

Sie schüttelte den Kopf, während sie kaute. »Nein.«

»Warum seid Ihr dann — seid Ihr hierhergekommen, um zu warten?« Ungläubigkeit lag auf seinem Gesicht, doch seine Stimme war warm. »Ihr wärt uns hochwillkommen.«

»Nein.« Sie sprach mit Eliard, doch Morgon schien es, als gäbe sie ihm Antwort auf seine eigenen Hoffnungen. »Ich habe genug gewartet.«

»Was wollt Ihr dann tun?« fragte Eliard verwirrt. »Wo wollt Ihr leben?« Sein Blick wanderte zu Morgon. »Was hast du vor? Ich meine, wenn du beim Morgengrauen von hier fortgehst? Hast du schon eine Ahnung?«

Morgon nickte. »Eine verschwommene Ahnung, ja. Ich brauche Hilfe. Und ich brauche Antworten. Es wird gemunkelt, daß die letzten der Zauberer sich in Lungold versammeln, um Ghisteslohm zum Kampf zu fordern. Von den Zauberern kann ich Hilfe bekommen. Vom Gründer kann ich einige Antworten bekommen.«

Fassungslos starrte Eliard ihn an. Mit einer plötzlichen Bewegung sprang er auf.

»Warum hast du ihm deine Fragen nicht gestellt, als du im Erlenstern-Berg warst? Damit hättest du dir die Mühe erspart, nach Lungold ziehen zu müssen. Du willst ihm Fragen stellen. Morgon, ich schwöre, ein Korken in einem Bierfaß hat mehr Verstand als du. Was glaubst du wohl, was er tun wird? Meinst du vielleicht, er stellt sich ganz höflich vor dich hin und beantwortet dir deine Fragen?«

»Was soll ich denn tun?«

Jetzt war auch Morgon aufgesprungen. In seiner Stimme mischten sich Zorn und Bekümmerung. Er stellte sich die Frage, ob er hier nur mit Eliard stritt oder mit der unerbittlichen Verbohrtheit der Insel, auf der es plötzlich keinen Platz mehr für ihn gab.

»Soll ich hier sitzen bleiben und warten, bis er an deine Tür klopft, um mich zu holen? Willst du wohl endlich deine Augen aufmachen und mich so sehen, wie ich jetzt bin, statt so, wie du mich in Erinnerung hast? Ich bin gebrandmarkt; ich trage Sterne auf meinem Gesicht und Vesta-Narben auf meinen Händen. Ich kann beinahe jede Gestalt annehmen, für die es einen Namen gibt. Ich habe gekämpft, ich habe getötet, ich beabsichtige, wieder zu töten. Ich trage einen Namen, der älter ist als dieses Reich, und ich habe keine Heimat außer in der Erinnerung. Vor zwei Jahren habe ich eine Rätselfrage gestellt, und jetzt bin ich in einem Irrgarten von Rätseln gefangen, aus dem ich kaum mehr herausfinde. Im Herzen dieses Irrgartens liegt der Krieg. Blick doch einmal in deinem Leben über Hed hinaus. Versuch, mit diesem Bier etwas Furcht zu trinken. Dieses Reich steht am Rande des Krieges. Es gibt keinen Schutz für Hed.«

»Krieg! Was redest du da? Gewiß, in Ymris wird gekämpft, aber Ymris liegt immer im Krieg.«

»Hast du eine Ahnung davon, gegen wen Heureu Ymris kämpft?«

»Nein.«

»Und er selbst auch nicht. Eliard, ich habe das Heer der Rebellen gesehen, als ich’ durch Ymris kam. Männer sind in diesem Heer, die längst gestorben sind und dennoch weiter kämpfen. Nichts Menschliches wohnt in ihren Körpern. Wenn sie es sich einfallen lassen, Hed anzugreifen, welchen Schutz habt ihr dann gegen sie?«

Eliard stieß einen unartikulierten Laut aus. »Den Erhabenen«, erwiderte er dann. Doch plötzlich wich ihm alles Blut aus dem Gesicht. »Morgon«, flüsterte er, und Morgon krampfte die Hände zusammen.

»Ja. Tote Kinder haben mich einen Mann des Friedens genannt, aber ich glaube, ich habe nichts als Chaos gebracht. Eliard, in Anuin habe ich mit Duac darüber beraten, wie Hed zu schützen ist. Er erbot sich, Krieger und einige Schiffe zu entsenden.«

»Und die hast du mitgebracht?«

Er sagte mit ruhiger, fester Stimme: »Das Handelsschiff, das uns nach Tol gebracht hat, führt neben seiner regulären Fracht bewaffnete Könige und Edle, große Krieger der Drei Teile —«

Eliards Finger schlössen sich um seinen Arm.

»Könige?«

»Sie wissen um die Liebe zum Land, und sie wissen um den Krieg. Das Wissen um Hed fehlt ihnen, aber sie werden für es kämpfen. Sie sind —«

»Du hast die Toten von An nach Hed gebracht?« flüsterte Eliard. »Sie sind in Tol?«

»Sechs Schiffe liegen noch in Caithnard und warten —« »Morgon von Hed, hast du völlig den Verstand verloren!« Seine Finger gruben sich bis auf den Knochen in Morgons Arm, und Morgons ganzer Körper spannte sich. Doch mit einer abrupten Bewegung wandte sich Eliard plötzlich von ihm ab. Wie ein schwerer Hammer sauste seine Faust auf das Tablett, so daß Speisen und Geschirr durcheinanderflogen, nur der Milchkrug nicht, den Tristan gerade aufgenommen hatte. Mit bleichem Gesicht saß sie da, den Krug an sich gepreßt, während Eliard brüllend seinem Zorn Luft machte.

»Morgon, ich habe Berichte über das Chaos in An gehört! Wie des Nachts die Tiere zu Tode gehetzt werden und die Ernte auf den Feldern verdirbt, weil keiner wagt, sie einzuholen. Und du verlangst von mir, daß ich das in mein Land lasse! Wie kannst du mich darum auch nur bitten?«

»Eliard, ich brauche nicht zu bitten!« Ihre Blicke verklammerten sich ineinander. Und während Morgon zusah, wie sein Abbild sich in Eliards Augen wandelte, während er spürte, wie etwas Kostbares, nicht Faßbares weiter und weiter von ihm fortglitt, fuhr er erbarmungslos fort: »Wenn ich die Landherrschaft von Hed für mich wollte, könnte ich sie mir wieder nehmen. Als Ghisteslohm sie mir Stück um Stück entriß, erkannte ich, daß die Macht des Landrechts Form und Gestalt hat, und ich kenne die Form des Landrechts von Hed bis zur feinsten Haarwurzel einer Hopfenranke. Wenn ich dir dies aufzwingen wollte, dann könnte ich es, genau wie ich lernte, die alten Toten der Drei Teile zu zwingen, hierher zu kommen —«

Eliard, der keuchend durch den offenen Mund atmete, an die Steine der Feuerstelle gelehnt, schauderte plötzlich.

»Was bist du eigentlich?«

»Ich weiß es nicht.« Morgons Stimme zitterte unkontrolliert. »Es ist Zeit, daß du danach fragst.«

Einen Moment war Stille: die friedliche, ungebrochene Stille der Nacht von Hed. Dann stemmte sich Eliard mit einem Achselzucken von der Herdstelle ab, lief an Morgon vorbei, während er mit den Füßen Scherben aus seinem Weg schleuderte. Er beugte sich zu einem Tisch, die Hände flach auf die Platte gelegt, den Kopf gesenkt. Seine Stimme klang erstickt, als er sprach.

»Morgon, sie sind doch tot.«

Morgon ließ seinen Arm auf den Kaminsims sinken und legte sein Gesicht darauf.

»Dann sind sie den Lebenden in einer Schlacht wenigstens in diesem Punkt voraus.«

»Hättest du nicht einfach mit einem Heer von Lebenden kommen können? Das wäre einfacher gewesen.«

»Wenn du ein Heer von Bewaffneten auf diese Insel führst, dann forderst du einen Angriff heraus und wirst ihn auch bekommen.«

»Bist du da so sicher? Bist du so sicher, daß sie es wagen werden, Hed anzugreifen? Es könnte doch sein, daß du Gespenster siehst.«

»Ja, das könnte sein.« Seine Worte schienen sich in den abgeschliffenen, alten Steinen zu verlieren. »Sicher bin ich mir über gar nichts mehr. Nur Angst habe ich um alles, was ich liebe. Soll ich dir sagen, was ich in all der Zeit, die ich im Erlenstern-Berg gefangen war, nicht von Ghisteslohm lernen konnte? Es ist eine einfache, aber lebenswichtige Kunst. Ich konnte nicht lernen, im Dunklen zu sehen.«

Eliard drehte sich um. Er weinte wieder, als er Morgon vom Herd wegzog.

»Verzeih mir. Morgon, ich mag dich anschreien, aber wenn du mir die Landherrschaft bei den Wurzeln entrissest, würde ich dir dennoch blind vertrauen. Willst du nicht hier bleiben? Bitte, willst du nicht bleiben? Sollen die Zauberer zu dir kommen. Soll Ghistlohm kommen. Wenn du Hed wieder verläßt, wirst du getötet werden.«

»Nein. Ich werde nicht sterben.« Er winkelte einen Arm um Eliards Hals und drückte ihn fest an sich. »Ich bin zu neugierig. Die Toten werden deine Bauern nicht belästigen. Das schwöre ich. Du wirst sie kaum bemerken. Sie sind an mich gebunden. Ich habe ihnen die Geschichte und den Frieden von Hed vor Augen geführt, und sie haben einen Eid geleistet, diesen Frieden zu verteidigen.«