Das Knacken des Feuers wurde lauter, aber jetzt hörte er noch etwas anderes. Ein seltsames Stöhnen, als leide jemand große Schmerzen. Doch es war kein Stöhnen, sondern das Geräusch des Feuers, das immer stärker wurde, während es durch das Zuckerrohr raste. Es nährte sich von allem, was ihm in den Weg kam, und wuchs aus sich selbst. Es hatte sich in eine lebende Kraft verwandelt, es trampelte über die Erde und erzeugte einen wirbelnden, heulenden Aufwärtswind, der jedes verfügbare Luftmolekül verschlang. Das stetig wachsende Monster ernährte sich davon, es war bereits riesig und wurde immer riesiger, und es breitete sich aus.
Doch noch immer sah er keine Flammen.
Aber dann kamen sie endlich.
Zuerst sah er nur die Spitzen, ein kaum sichtbares orangefarbenes Flackern, wie von Schlangen, die durch das Zuckerrohrdickicht züngelten.
Er fühlte die Hitze des Feuers auf seiner Haut, eine Hitze, wie er sie nie zuvor gespürt hatte.
Das Feuer schien ihn zu beleben, seine Kräfte zu verstärken, anstatt sie zu verschlingen. Sein ganzes Ich blühte bei dem Gedanken an den nahen hechelnden Atem des Ungeheuers auf. Nun begann das Blattwerk um ihn herum vor dem wilden Tier zu weichen. Wohin er auch sah, überall schrumpften Blätter und Zweige durch die Hitze zusammen, um sich dann dem wütenden Monster zu ergeben und in Flammen aufzugehen.
Die Fühler aus Rauch verwandelten sich in feiste Schlangen, die sich um seinen Körper wanden und ihn fest umschlangen, aber anstatt sich gegen ihren Griff zu wehren, genoß er das Gefühl und schöpfte aus den sich zusammenziehenden Rauchspiralen ebenso viel Kraft wie aus dem Feuer selbst.
Das Heulen des Mahlstroms erfüllte seine Ohren, und die Dunkelheit der Nacht wurde von Funkenschauern vertrieben. Rauch und Flammen taten sich zusammen und wirbelten wie ein lebendiges Wesen um ihn herum.
Wie in Trance streckte er den Arm aus, als wolle er die Kraft des Feuersturms in sich aufnehmen. Er stieß einen lauten, ekstatischen Schrei aus.
Nun war er nicht länger der Gejagte, sondern wurde eins mit dem Inferno um ihn herum und fühlte, wie der Geist des Feuers seine Seele betrat.
Er reckte sich zu voller Höhe auf, er streckte seine Gliedmaßen, und der Schrei des Jägers drang aus seinem tiefsten Inneren ...
Jeff Kina wand sich zuckend. Der Schrei, den er ausgestoßen hatte, hatte ihn aus dem Bann des Traumes gerissen. Doch obwohl er erwachte, blieb der Traum bei ihm. Das Feuer, das er eben noch gespürt hatte, war verschwunden. Aber als er die Augen öffnete, sah er, dass der Rauch weiterhin um ihn herum wirbelte, ein so dichter grau-brauner Nebel, dass er instinktiv die Augen wieder schloß.
Er lag mit zusammengekniffenen Augen da. Sein Herz pochte, aber nicht mehr, weil ihn sein Traum so erregt hatte.
Es pochte vor Angst.
Der Traum war so real gewesen, als befände er sich wieder im Zuckerrohrfeld, im Strudel des Feuers, kurz bevor die Männer aus dem gelben Laster ihn gepackt hatten und Josh Malani in seinem Pick-up davongefahren war.
In diesen Sekunden, als er neben Joshs Wagen stand, hatte ein nie gekanntes Gefühl ihn durchströmt.
Zum Teil war es das Feuer selbst gewesen. Etwas an der Art und Weise, wie die Flammen heranströmten, verebbten und tanzten, hatte sein Innerstes berührt, fast so, als hätten die Flammen ihn hypnotisiert. Und als der Rauch ihm in die Nase gestiegen war, hatte er noch etwas anderes gespürt.
Die Unruhe, die ihn den ganzen Abend gequält hatte, verschwand, und sein Körper kribbelte, als habe er bei einem Laufwettbewerb seine Aufwärmübungen beendet und warte auf den Startschuß.
Dann stürzten sich die Männer aus dem gelben Truck auf ihn. Sie brüllten ihn an, packten ihn und versuchten ihn vom Feuer fortzuziehen.
Er war größer als sie - viel größer -, und er hatte sich losgerissen und einem der Männer seine Faust ins Gesicht geschlagen. Er erinnerte sich daran, wie das Blut aus der Nase des Mannes schoß, wie überrascht er ihn angesehen und wie wütend er geschrien hatte. Jeffs Augen waren noch immer geschlossen.
Danach verschwammen die Ereignisse. Scheinwerfer, gleißendes Licht hatte ihn geblendet, als hätte ihm jemand einen Sack über den Kopf gestülpt.
Danach nur noch Erinnerungsfetzen.
Scheinwerfer.
Motorengeräusch, Schreie.
Er wurde niedergerissen, lag auf dem Boden, und jemand kniete auf seiner Brust, ein anderer auf seinen Beinen.
Irgend etwas wurde auf sein Gesicht gedrückt, und er versuchte sich zu wehren, aber es gelang ihm nicht.
Dann hatte sich um ihn herum Dunkelheit ausgebreitet, und er hatte geglaubt, er müsse sterben.
Aber jetzt war er wach. Er lebte.
Bewegungslos lag er da und lauschte.
Er hörte Geräusche, die er nie zuvor vernommen hatte.
Er hörte sein Herz, das Blut durch die Venen pumpte. Er glaubte sogar sein Blut zu hören - auch wenn das unmöglich war -, das durch seine Arterien floß und mit jedem Zusammenziehen der Herzkammern seinen Klang änderte.
Er machte eine Bestandsaufnahme seines Körpers und testete jeden Muskel, ohne sich dabei zu bewegen.
Nichts war gebrochen. Er schien nicht einmal verletzt.
Und er war nackt.
Er wandte seine Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Auch wenn er die Augen noch immer geschlossen hatte, spürte er doch, dass er von Wänden umgeben war, die nicht weit entfernt waren.
Und er war allein.
Die Luft um ihn herum bewegte sich, und unbekannte Gerüche drangen in seine Nase.
Keine unangenehmen Gerüche - vertraute.
Schließlich öffnete er sein rechtes Auge - nur einen Spalt breit und so vorsichtig, dass es keinem Beobachter aufgefallen wäre.
Nebel.
Der gleiche braune Nebel.
Aber es war kein Nebel, denn er spürte keine kühle Feuchtigkeit auf seiner Haut.
Seine Augen bewegten sich unter den Lidern und suchten die Umgebung ab. Er hatte zuviel Angst vor der Entdeckung, wo er sein oder was in seiner Nähe sein könnte, um sich durch eine schnelle Bewegung zu verraten.
Doch er sah nichts.
Schließlich wagte er es. Er öffnete beide Augen und blickte starr nach oben.
Sein Gehirn verarbeitete die Daten, die seine Augen, seine Ohren und seine Nase sammelten, und suchte nach dem unbekannten Feind, der möglicherweise in diesem Brodem lauerte.
Warum schmerzten seine Augen nicht?
Warum brannten sie nicht, warum tränten sie nicht, obwohl er von Rauch umhüllt war?
Er wusste es nicht.
Er lag da, ohne sich zu rühren, und bewegte nur die Augen.
Nichts, was er sah, hörte oder roch, deutete auf die Anwesenheit eines anderen Lebewesens hin.
Und doch fühlte er sich beobachtet.
Er wusste es genau, selbst ohne dieses Gefühl zu kennen. Auch wenn ihm seine Sinne nichts verrieten, das Kitzeln auf seiner Haut und seine angespannten Nerven verrieten es ihm.
Dann sah er es.
Es befand sich hoch über ihm, rechts von ihm.
Eine Kamera.
Er starrte in die Linse wie ein Wolf in das Zielfernrohr eines Gewehrs.
Während er die Kamera im Auge behielt, machte er sich langsam bereit. Jede Bewegung vollzog sich so geschmeidig, dass sie kaum wahrnehmbar schien.
Hätte er im Gras gelegen, so hätte sich kaum ein Halm bewegt.
Er blickte auf die Kamera und wartete. Er spannte die Muskeln an.
Dann sprang er, stieß sich wie eine Katze vom Boden ab und streckte die Arme aus. Seine langen Beine katapultierten ihn in die Höhe.
Den Bruchteil einer Sekunde später prallte er gegen eine unsichtbare Mauer.
Er stöhnte auf und fiel zurück auf den Boden. Schmerzen schossen durch seine rechte Hüfte und sein linkes Knie, als er auf die ebene Fläche unter ihm schlug.
Regungslos wartete er, bis der Schmerz nachließ. Dann richtete er sich langsam auf und begann sich vorsichtig zu bewegen. Er streckte die Hände aus und tastete.