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Das Problem war allerdings, dass Rob Silver sie bereits zum Ersten des kommenden Monats brauchte. Länger konnte er den Posten nicht unbesetzt lassen. Sie würde Michael von der Schule nehmen müssen - und damit aus dem Leichtathletikteam, für das er in letzter Zeit eine solche Begeisterung entwickelt hatte -, und das würde ihm wahrscheinlich gar nicht gefallen. Nun, vielleicht würden sich seine Einwände in Luft auflösen, wenn sie ihm erzählte, wohin sie gehen sollten.

Sie griff zum Hörer und rief den Direktor an. »Ich möchte Urlaub nehmen«, sagte sie. »Für drei Monate.« Sie zögerte kurz. »Unbezahlten, natürlich.« Als sie fünf Minuten später wieder auflegte, fragte sie sich, ob Michael genauso leicht wie der Direktor zu überreden war.

Aber als sie am Nachmittag nach Hause kam und die Wunde am Arm ihres Sohnes sah sowie den hässlichen gelb-blauen Fleck, der sein schmerzhaft geschwollenes linkes Auge umgab, wusste Katharine, dass die Entscheidung gefallen war. New York für drei Monate hinter sich zu lassen war genau das, was sie beide brauchten.

KAPITEL 2

Als die 747 bei ihrem Anflug auf Honolulu langsam tiefer ging, schreckte Pedro Santiago hoch. Er hatte nicht vorgehabt, während des Fluges zu schlafen. Seit ihm der verschlossene Louis-Vitton-Kosmetikkoffer von dem Mann in Manila übergeben worden war, hatte er fest vorgehabt, während der Reise nach Hawaii äußerst wachsam zu bleiben. Eigentlich hatte er ja auch nicht richtig geschlafen, sagte er sich. Vielleicht hatte er die Augen geschlossen, und vielleicht hatte er sich in dem Zustand äußerster Entspannung befunden, der fast noch erfrischender als Schlaf ist, aber er hatte die ganze Zeit mitbekommen, was um ihn herum geschah.

Er hatte gehört, wie die Frau auf der anderen Seite des Mittelgangs einen dritten Mai-Tai bestellt hatte, dann einen vierten und vor ein paar Minuten einen fünften.

Er hatte den Mann in der Reihe vor sich schnarchen hören.

Er hatte seine Füße auf den Kosmetikkoffer gestellt, den er unter den Sitz vor ihm geschoben hatte, so dass der schnarchende Mann ihn von vorn ebenso gut bewachte wie er selbst von seiner Seite.

Für die Reise hatte er zwei Tickets erster Klasse gekauft, weil er keine Lust hatte, sich während des Fluges mit fremden Leuten zu unterhalten, vor allem aber, weil ein leerer Sitz neben ihm eine weitere Pufferzone in seinem ausgeklügelt diskreten Sicherheitssystem darstellte.

Wenn jemand neben ihm saß - ein Mann oder sicherlich auch eine Frau -, der oder die besonders clever war, dann mochte es der betreffenden Person vielleicht gelingen, ihn in falsche Sicherheit zu wiegen, um ihn dann ...

Ja, was eigentlich?

Zu töten?

Vielleicht. Solche Dinge waren schon passiert. In den letzten beiden Jahren waren zwei Mitglieder seiner Bruderschaft gestorben, angeblich an Herzattacken, die sie während eines Fluges erlitten hatten. Niemand außer ihren Mördern hatte etwas bemerkt, bis das Flugzeug zur Landung ansetzte. Gift konnte man auf viele verschiedene Arten verabreichen.

Ein Drink, den die Stewardeß im Gang zubereitet und der für kurze Zeit unbeobachtet bleibt, als ein überfreundlicher Fluggast sie anspricht.

Eine winzige Nadel, geschickt in den Nacken gestoßen von einem Passagier, der auf dem Weg zur Toilette ins Straucheln gerät.

Pedro Santiago buchte nur Fensterplätze und trank nur aus Behältern, die er selbst mit an Bord gebracht hatte.

Aber sein Instinkt sagte ihm, dass dieser Teil der Reise sowieso keine Probleme verursachen würde. Wenn überhaupt Gefahr lauerte, dann auf der Rückfahrt, nachdem er seine Ware abgeliefert und seinen Lohn kassiert hatte.

Er hob die Jalousie an und sah in den hellen Morgen hinaus. Weit unter ihm, durchbrochen nur von den Gipfeln der drei großen Vulkane, verbarg eine dichte Wolkendecke das Meer. Pedro blieb unbeeindruckt. Die Schönheit Hawaiis interessierte ihn nicht. Als die kurz bevorstehende Landung über die Sprechanlage angekündigt wurde, hob Santiago den Kosmetikkoffer auf und nahm ihn auf den Schoß.

»Handgepäck muss unter dem Sitz vor Ihnen oder in der Gepäckablage verstaut werden, Mr. Santiago«, ermahnte ihn die Stewardeß, als sie mit dem letzten Tablett voll leerer Gläser an ihm vorbeikam.

Er lächelte, nickte und stellte den Koffer wieder unter den Sitz.

Das Flugzeug landete, wurde langsamer und steuerte auf das Gate zu.

Pedro Santiago verließ das Flugzeug über die Gangway und betrat den Zollbereich. Er ignorierte das Schild, das ihn zur Kontrolle wies.

Eines hatte er in seiner ganzen Profikarriere nie getan: Er hatte nie versucht, eine Lieferung an einem Zollbeamten vorbei ins Land zu bringen. So etwas war den Packeseln vorbehalten - den dummen Collegestudenten, die viele Jahre Gefängnis riskierten, und zwar für weniger Geld, als er an einem Abend mit einer Amsterdamer Hure ausgab.

Während die anderen Fluggäste zur Zollkontrolle strömten, ging Santiago auf einen Mann in blauer Uniform zu, der ein paar Meter neben dem Arrival-Gate stand. »Könnte es sein, dass Sie auf mich warten?« fragte er in einem Englisch, das ebenso akzentfrei wie sein Spanisch, Portugiesisch und Türkisch war.

»Möglicherweise, Mr. ...« Der Mann beendete den Satz nicht.

»Jennings«, ergänzte Santiago. Es handelt sich um den unschuldig klingenden Code, den er bei den Verhandlungen um die Übergabe des Koffers vereinbart hatte.

»Wenn Sie mir folgen wollen.«

Der Mann in Uniform führte Santiago zu einer verschlossenen Tür, tippte eine Reihe von Zahlen in einem Nummernfeld ein und hielt dem Kurier schließlich die Tür auf, damit dieser vor ihm hindurchgehen konnte.

Am Ende einer kurzen Treppe wartete ein elektrischer Golfkarren auf sie. Der Mann in der blauen Uniform fuhr sie zu einem Hubschrauber, der vierhundert Meter entfernt auf seinem Landeplatz stand. Der Mann stieg aus, und Santiago folgte ihm in den Helikopter, schloß die Tür und schnallte sich auf einem Sitz an. Ein oder zwei Sekunden lang ächzte die Maschine, dann sprang sie fauchend an. Über ihnen begannen sich die riesigen Rotorblätter zu drehen.

Der Pilot drehte den Motor auf, die Rotoren wurden beschleunigt, und der Hubschrauber stieg auf, neigte sich leicht nach vorn und flog über das Feld davon. In geringer Höhe ging es aufs Meer hinaus. Dann änderte der Pilot leicht den Kurs, folgte kurz der Küste nach Honolulu, um dann nach Südost abzudrehen, auf Molokai und Maui zu.

Vierzig Minuten später spähte Pedro Santiago durch die Plexiglaskuppel hinab, während der Helikopter über die zerklüftete Südwestküste Mauis hinwegflog und die dunkelblaue Meeresfläche plötzlich dem undurchdringlichen grünen Dach des Regenwaldes wich. Der Helikopter ging herunter, bis es Santiago so vorkam, als würde er gleich die Baumgipfel berühren. Dann teilten sich die Bäume und gaben eine Lichtung frei, auf der mehrere Häuser mit grünen Dächern standen. Wäre der Hubschrauber nicht so niedrig geflogen, hätte man die Ansiedlung aus der Luft kaum bemerkt.

Schnell und geschickt landete der Pilot auf einem Rasenstück, das von Gebäuden umgeben war. Als Santiago seinen Gurt löste und die Tür neben sich öffnete, trat ein Mann aus einem der Gebäude, kam jedoch nicht auf den Hubschrauber zu.

Santiago erkannte in dem Mann sofort seinen Auftraggeber, auch wenn er ihn nie zuvor gesehen hatte. Er zog den Kopf ein, als er unter dem Luftwirbel der Rotorblätter über den Rasen lief. Den Louis-Vitton-Koffer hielt er mit beiden Händen fest.