»Nun, es sieht ganz so aus, als wollte euer Boß nicht, dass wir in dieses Verzeichnis eindringen«, stimmte Howell ihr zu. »Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass es nur durch ein Paßwort geschützt sein soll. Der Mann operiert weltweit, und ich wette, dass er vieles macht, wobei ihm niemand zusehen soll. Und selbst wenn all seine Geschäfte vollkommen legal sein sollten - was ich bezweifle -, müssen in diesen Datenbanken riesige Mengen an Geschäftsdaten zu finden sein.«
»Vergiß nicht, dass dieser Computer nur für den Forschungsbereich bestimmt ist«, erinnerte ihn Rob. »Das Geschäftszeug ist woanders. Wahrscheinlich in Japan.«
»Vermutlich eher auf den Kaiman-Inseln, wenn du mich fragst«, brummte Phil, gab »Kaiman« als Paßwort ein und drückte die Eingabetaste. Augenblicklich erschien wieder der bekannte Kasten mit der gleichen Nachricht auf dem Bildschirm. »Ich gebe auf«, seufzte er. »Für dieses Ding braucht ihr einen besseren Hacker als mich.«
»Wenn ich einen wüßte, würde ich ihn sofort anrufen«, sagte Rob. »Weißt du keinen?«
Howell dachte kurz nach. »Nein«, sagte er schließlich düster. Sein Blick wanderte zu dem Fenster auf dem Monitor, das sein eigenes Projekt zeigte, aber dessen Stand schien sich nicht verändert zu haben, und er spürte plötzlich ein unangenehmes Gefühl im Bauch, das ihm sagte, dass er völlig vergessen hatte, etwas zu essen. »Wir wär's, wenn wir eine Pause machen und irgendwas zu uns nehmen? Dann kommen wir zurück und versuchen es noch einmal.«
Katharine wollte schon protestieren, aber als sie die Ringe unter Phils Augen und seine eingefallenen Wangen sah, wurde ihr klar, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. »Vielleicht ist das besser«, sagte sie und rieb sich den Nacken, der vom dauernden Starren auf den Monitor ganz steif geworden war. »Ich will nur eben mal hören, was Michael so macht... Hast du dein Handy dabei?« fragte sie Rob.
Rob holte das flache Telefon aus seiner Tasche. »Wir könnten irgendwo in Makawao essen gehen und Michael mitnehmen«, sagte er.
Als sich nach dem ersten Läuten der Anrufbeantworter einschaltete und anzeigte, dass Nachrichten hinterlassen worden waren, nahm Katharine an, dass Michael auf das Band gesprochen hatte, um ihr zu sagen, was er am Abend vorhatte. Doch als Katharine die Codenummer eingegeben hatte, meldete die unpersönliche elektronische Stimme: »Sechs - neue - Nachrichten.« Panik stieg in ihr auf.
Auf dem Anrufbeantworter waren nur selten Nachrichten, und schon gar nicht sechs an einem Tag. Hastig tippte sie den Code zum Abspielen der Nachrichten ein.
Kaum hörte sie die Stimme des ersten Anrufers, da wusste sie, dass es um Michael ging.
Und es war nichts Gutes.
»Dr. Sundquist, hier ist Jack Peters, der Leichtathletiktrainer der Bailey High. Ich ... ich wünschte, ich müsste nicht auf den Anrufbeantworter sprechen, sondern könnte mit Ihnen persönlich reden, aber ...« Er zögerte kurz. »Michael ist heute nachmittag auf der Laufbahn zusammengebrochen. Ich weiß nicht genau, was ihm fehlte, aber ich habe sofort die Ambulanz angerufen. Kurz bevor der Krankenwagen eintraf, tauchte Dr. Jameson in Takeo Yoshiharas Hubschrauber auf. Ich bin davon ausgegangen, dass sie ihn ins Maui Memorial Hospital bringen würden, aber ich habe vorhin dort angerufen, und er ist bis jetzt nicht eingeliefert worden. Ich versuche es später noch einmal, aber wenn Sie diese Nachricht hören, können Sie mich unter 555-3568 erreichen. Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Ich meine, er lief besser als je zuvor, und dann ...« Wieder brach er den Satz ab. »Jedenfalls werde ich es weiter im Krankenhaus versuchen«, fuhr er fort. »Wenn ich etwas erfahre, rufe ich noch mal an. Ich ... äh ... Herrgott, ich hasse diese Apparate.«
Als die nächste Nachricht begann, stand Rob an Katharines Seite. Er hatte den leisen Schrei gehört, den sie ausgestoßen hatte, als sie die schreckliche Botschaft von Peters vernahm. Sie stellte den Ton lauter, und sie hörten die Stimme eines verängstigt klingenden Jungen.
»Mr. Sundquist? Hier spricht Rick Pieper.« Der Junge wiederholte mehr oder weniger das, was der Trainer gesagt hatte. Dann folgte die nächste Stimme.
»Hier ist Yolanda Umiki aus Mr. Yoshiharas Büro. Dr. Sundquist, Mr. Yoshihara hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Sohn krank ist und er so schnell wie möglich mit Ihnen sprechen möchte. Bitte, rufen Sie mich an, sobald Sie können. Ich werde Sie dann direkt mit Mr. Yoshihara verbinden.«
Die Panik, die Katharine gepackt hatte, als sie hörte, dass Michael krank sei, machte schierem Entsetzen Platz, als sie erfuhr, dass Yoshihara irgend etwas damit zu tun hatte. Und warum war Dr. Jameson in dem Hubschrauber mitgeflogen?
Yolanda Umiki hatte noch einmal angerufen, und dann ertönte noch einmal die Stimme von Rick.
»Hier ist noch mal Rick Pieper, Mrs. Sundquist. Ich bin hier im Maui Memorial. Ich bin hergekommen, um zu hören, wie es Michael geht, und er ist gar nicht hier! Ich meine, sie sagen, er sei überhaupt nie hier gewesen! Aber wo sollten sie ihn sonst hingebracht haben? O Mann, es tut mir leid, ich meine, Verzeihung, ich mache mir halt nur Sorgen. Ich meine, ich dachte, sie bringen ihn hierher und jetzt ... es tut mir wirklich leid, Mrs. Sundquist, aber Michael hat etwas gesagt, bevor er bewusstlos wurde, und ich dachte, das sollten Sie wissen. Er sagte irgendwas über Ammoniak. Ich meine, keine Ahnung, was er damit gemeint hat, er hat nur das eine Wort gesagt. Ammoniak.«
Die letzte Nachricht kam wieder von Jack Peters, und diesmal klang er fast wie ein Duplikat von Rick. »Ich verstehe das nicht, Dr. Sundquist. Wenn sie ihn nicht ins Maui Memorial gebracht haben, wohin ...« Er brach mitten im Satz ab. »Mein Gott, ich muss Sie ja zu Tode erschrecken. Wahrscheinlich ist er einfach aufgewacht, und es hat sich herausgestellt, dass es nichts Ernstes ist, und sie haben ihn gar nicht erst ins Krankenhaus gebracht. Jedenfalls wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich darüber unterrichten könnten, wie die Dinge stehen.«
Die elektronische Stimme ertönte: »Ende - der - letzten - Nachricht.«
»Er ist auf dem Anwesen von Yoshihara«, sagte Katharine. »Sie haben ihn nicht ins Krankenhaus gebracht. O Gott, Rob, was, wenn er ...« Auch wenn Rob nicht den Finger auf seine Lippen gelegt hätte, sie hätte es nicht über sich gebracht, den Satz zu Ende zu sprechen. Michael konnte einfach nicht tot sein. Niemals.
»Ruf die Frau in Yoshiharas Büro an«, sagte Rob. Als es Katharine vor lauter Nervosität nicht gelang, die Verbindung zu ihrem Anrufbeantworter zu unterbrechen, nahm Rob ihr das Telefon aus der Hand, beendete die Verbindung und gab die Nummer von Yoshiharas Büro ein, die er sich bei dem zweiten Anruf aufgeschrieben hatte. Er drückte auf die Ruftaste, dann reichte er Katharine wieder das Handy.
Die Sekretärin meldete sich, und Katharine nannte ihren Namen. »Ist mein Sohn da?« fragte sie erregt. »Ist er auf dem Anwesen?«
»Dr. Jameson dachte, dass er ihn hier besser behandeln könnte als ...«
»Nein!« unterbrach Katharine sie. »Ich möchte, dass er ins Maui Memorial Hospital gebracht wird. Oder nach Honolulu. Ich möchte nicht, dass Dr. Jameson ...«
»Ich fürchte, ich bin nicht befugt, derartiges zu veranlassen, Mrs. Sundquist«, antwortete Yolanda Umiki, und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie nur von Takeo Yoshihara Anweisungen entgegennahm. »Wenn Sie herkommen, Mrs. Sundquist, wird Mr. Yoshihara Ihnen die Situation erklären.«
Katharine zögerte. Sie wusste nicht, ob sie auf ihre nächste Frage eine ehrliche Antwort bekommen würde. Aber sie konnte das Gespräch nicht beenden, ohne diese Frage gestellt zu haben. Schließlich brachte sie die Worte hervor. »Sagen Sie mir eines, lebt Michael noch?«
Takeo Yoshiharas Assistentin antwortete nicht sofort. Doch dann sagte sie: »Ich habe nichts gegenteiliges gehört.«