Auch er beobachtete die Tür.
Die Zeit stand still. Sie schwiegen.
Josh ließ die Tür nicht aus den Augen.
Als sich der Griff bewegte, merkte Josh es sofort. Er richtete sich etwas auf und spürte, wie das Adrenalin heiß durch seinen Körper schoß.
Der Türgriff senkte sich, das Schloß klickte, und die Tür ging auf.
Zwei Männer kamen herein. Der Mann, der das Essen brachte, war nicht dabei.
Einer der beiden Männer war ein haole, der andere ein Japaner.
Beide trugen Anzüge. Auch wenn Josh den Japaner noch nie gesehen hatte, strahlte er doch eine solche Autorität aus, dass er sofort wusste, um wen es sich handelte.
Takeo Yoshihara.
Josh zog die Augen zusammen und spannte die Muskeln an.
»Sind sie gefährlich, Dr. Jameson?« fragte Takeo Yoshihara. Er schien die Frage jedoch nicht aus Angst, sondern lediglich aus beiläufigem Interesse zu stellen. Schließlich war auch das Plexiglas zwischen ihnen.
»Eher nein«, antwortete Jameson. »Sie sind beide nervös und erschöpft, aber keiner der beiden hat bislang wirklich aggressives Verhalten gezeigt. Es scheint eher so, als wären einige ihrer Sinne besonders angeregt.«
»Interessant«, murmelte Yoshihara. Er ging um die Box herum, und Josh folgte ihm mit seinem Blick und drehte sich dabei mit dem Mann, bis dieser seinen Kreis abgeschritten hatte. »Sehr interessant«, sagte Yoshihara anschließend. »Ich habe vor Jahren in Indien einen Tiger im Käfig gesehen. Er hat mich mit der gleichen Intensität angesehen.« Er lächelte, aber es war ein kaltes Lächeln. »Ich nehme an, er wollte mich verspeisen.« Sein Blick fiel wieder auf Josh. »Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit für psychologische Studien. Aber vielleicht erfahren die Ärzte ja auch bei der Autopsie eine ganze Menge. Sie sollen der Hirnstruktur besondere Aufmerksamkeit zuwenden.«
Als die Worte bis zu Josh durchdrangen, traf es ihn wie einen Schlag. Er zitterte am ganzen Körper.
Aber dann sah er zu Jeff hinüber und wusste, dass auch sein Freund die Worte verstanden hatte. Wut verzerrte sein Gesicht, und seine Muskeln traten hervor. Mit einem heiseren Schrei warf er sich gegen das Plexiglas, so kraftvoll, dass der Kasten erzitterte. Mit blutender Nase sackte er auf dem Boden zusammen. Doch sofort rappelte er sich wieder auf und warf sich gegen die durchsichtige Barriere.
»Nein!« schrie Josh. Blut quoll aus dem Mund seines Freundes. »Jeff, laß es sein!«
In seiner Raserei hörte ihn Jeff nicht mehr. Wieder stürzte er zu Boden, nur um ein drittes Mal gegen die Wand anzurennen. Er fuhr mit den Fingernägeln an dem Plexiglas entlang, hinterließ aber kaum sichtbare Spuren. Schließlich trat er mit bloßen Füßen gegen die Wand und stieß einen verzweifelten Schrei aus, als der Schmerz von seinen gebrochenen Zehen durch seinen Körper schoß.
»Hör auf, Jeff!« Josh warf sich auf seinen Freund und versuchte ihn auf den Boden zu ziehen.
Jeff schüttelte ihn ab wie ein Kind und warf sich erneut gegen die Wand.
Takeo Yoshihara und Stephen Jameson standen vor dem Käfig und beobachteten ihn.
Schließlich sagte Yoshihara: »Spülen Sie den Käfig.«
Josh, dem Jeffs nicht einmal allzu heftiger Schlag den Atem genommen hatte, lag auf dem Boden und schnappte nach Luft. Jeff warf sich noch immer gegen die Wände. Seine blutenden Hände hinterließen schmierige, rotbraune Flecken auf dem Glas. Plötzlich veränderte sich die Luft in der Box.
Der braune Nebel klarte auf.
Und Josh Malani spürte den Schmerz in seiner Brust.
Er versuchte sich aufzurappeln, schaffte es aber nicht. Er kroch über den Boden und streckte eine Hand nach den Männern aus, die vor dem Käfig standen und sie ansahen. »Helfen Sie uns«, flehte er. »Bitte, helfen Sie uns doch ...«
Jeff Kina wand sich auf dem Boden. Er hielt sich den Hals und versuchte die sauerstoffreiche Luft einzuatmen, die nun in die Box strömte statt der giftigen Dämpfe, die ihr Gefängnis eben noch erfüllt hatten. Josh kroch auf ihn zu und umklammerte seine Hände.
»Sie bringen uns um, Jeff«, flüsterte er. »O Gott, sie töten uns!«
Noch einmal wollte Jeff sich aufrichten, um sich noch einmal zu wehren, aber er spürte bereits, wie seine Kräfte ihn verließen und Dunkelheit ihn umgab. »Mama ...«, flüsterte er. »Mama ...« Seine Stimme erstarb, er zuckte hin und her und lag dann völlig regungslos da.
Josh Malani hörte noch, wie Takeo Yoshihara sagte: »Interessant, dass der Größere zuerst stirbt.« Dann hüllte auch ihn Dunkelheit ein.
KAPITEL 28
»Ich verstehe noch immer nicht, warum sie ihn hierher gebracht haben«, sagte Rob, als er den Explorer durch die Einfahrt zu Takeo Yoshiharas Anwesen steuerte.
»Ich weiß es auch nicht«, sagte Katharine. Sie saß auf dem Beifahrersitz und hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, als könne sie so die Furcht in ihrem Innern bändigen. Sie sah Michael vor sich, gefangen in einem der unterirdischen Räume, eingesperrt wie der kleine Hund, der in ihren Armen gestorben war. »Yolanda Umiki hat nur gesagt, dass ich in Yoshiharas Büro kommen soll.«
Kaum hatte Rob den Wagen geparkt, da sprang Katharine hinaus und lief durch die Gärten, die den Forschungspavillon von Yoshiharas persönlicher Residenz trennten. Rob folgte ihr. Plötzlich blieb sie stehen. Sie war ja noch nie in Yoshiharas Büro gewesen und wusste nicht genau, wo es sich befand. Verwirrt sah sie sich um. In diesem Augenblick tauchte ein Diener auf und verbeugte sich respektvoll vor ihr.
»Mr. Yoshihara erwartet Sie in seinem Büro. Hier entlang, bitte.«
Über eine kleine Brücke ging es zu einem Gebäude in asiatisch beeinflusstem Stil, das wie ein vollkommenes Teehaus aussah. Es lag in einem Teich und bestand aus zwei Räumen, die Yoshihara als Büro dienten, wenn er sich auf dem Anwesen aufhielt. In dem kleineren, ziemlich vollgestopften Vorzimmer standen Yolanda Umikis Schreibtisch, zwei reich verzierte Teakstühle, ein Tonsu und mehrere Aktenschränke. In Takeo Yoshiharas Büro befand sich lediglich ein einfacher Tisch aus glänzend poliertem Holz, der als Schreibtisch diente und auf dem nur ein Telefon stand. Ein einziger Stuhl stand davor. Auf dem Boden lagen mehrere Kissen verstreut. Takeo Yoshihara betrat den Raum durch eine Schiebetür, die auf eine Veranda führte, welche Ausblick auf den spiegelgleichen Teich sowie auf den dahinter gelegenen, sorgfältig gepflegten Garten mit Bonsai-Koniferen bot. Yoshihara schob die Tür zu und trat mit ausgestreckter Hand auf Katharine zu, wobei er sie ernst ansah.
Katharine hätte ihm den Handschlag fast verweigert, überlegte es sich jedoch in letzter Sekunde anders.
Besser, er ahnte nichts von ihrem Verdacht.
»Dr. Sundquist, die Sache mit Ihrem Sohn tut mir wirklich leid.«
»Wo ist er?« fragte Katharine. »Ich will ihn sehen.«
»Ich werde Sie persönlich in einigen Minuten zu ihm bringen.«
»In einigen Minuten?« Katharines Stimme wurde lauter. »Mr. Yoshihara, wir reden hier von meinem Sohn! Soweit ich weiß, ist er auf dem Sportplatz der Bailey High zusammengebrochen. Warum wurde er nicht ins Maui Memorial Hospital gebracht?«
Takeo Yoshihara deutete auf die Sitzkissen, aber als Katharine keinerlei Anstalten machte, sich zu setzen, blieb auch er stehen. »Er wurde auf meine Anweisung hierher gebracht«, sagte er.
»Auf Ihre Anweisung?« fuhr Katharine ihn an. »Wer sind Sie, dass Sie Anweisungen darüber erteilen, was mit meinem Sohn geschieht? Und woher wussten Sie überhaupt, dass ihm etwas zugestoßen war? Haben Sie ihn etwa beobachten lassen?«
Falls sie erwartet hatte, dass ihm die Anschuldigung peinlich war, sah sie sich getäuscht. Im Gegenteil, Takeo Yoshihara schien die Frage bereitwillig zu beantworten. »In der Tat, das haben wir«, sagte er. »Und zwar seit dem Tod von Kioki Santoya. Seitdem habe ich mir nicht nur um Michael Sorgen gemacht, sondern auch um seine Freunde Josh Malani und Jeff Kina.« Er zögerte und fügte hinzu: »Ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen sagen soll, Dr. Sundquist, aber Josh Malani ist gestern nachmittag am Strand von Sprecklesville gestorben.«