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Der Mann hielt plötzlich eine Waffe in der Hand. Eben noch hatte er sowenig bedrohlich gewirkt wie ein neugieriger Tourist. Aber bis auf das Hawaiihemd hatte er jetzt nichts mehr mit einem Touristen gemein. Er sah Ken Richter mit kaltem Blick an, der ihm sagte, dass der Mann nicht zögern würde, seine hässliche schwarze Pistole zu benutzen, die so leicht in seiner Hand lag, als ob er damit aufgewachsen wäre.

»Hö... hören Sie«, stammelte Ken und wich zurück. »Wenn Sie Geld wollen, nehmen Sie es sich einfach, okay?«

Der Mann mit der Waffe schwieg. Der andere betrat das Hinterzimmer, um sich davon zu überzeugen, dass dort niemand war, und schloß dann die Eingangstür des Ladens ab. Er löschte die Beleuchtung, so dass nur noch das düster glühende Blau eines Neonzeichens, das die Konturen eines Tauchers mit Maske und Schwimmflossen zeigte, den Raum schwach erhellte.

Der Mann mit der Waffe sagte: »Nach hinten, bitte.«

Sie werden mich sicher nicht umbringen, dachte Ken. Sonst wären sie nicht so höflich. Er ging in das Hinterzimmer. »He, machen Sie doch einfach die Kasse auf, nehmen sich das Geld und verschwinden, okay? Hier hinten ist sowieso nichts - ich habe nicht mal einen Safe. Ich rufe auch nicht die Cops an. Ich...«

»Setzen Sie sich, bitte.« Der Mann mit der Waffe deutete auf einen Hocker, auf dem man Platz nehmen konnte, wenn man Schwimmflossen anprobierte, und auf den sich Ken sonst zu stellen pflegte, um die oberen Regalbretter zu erreichen.

Sie werden mich fesseln, dachte Ken, als er sich auf den harten Hocker setzte. Sie werden mich fesseln, und vielleicht räumen sie den Laden aus, aber sie werden mir nichts tun.

Auch der zweite Mann hatte den Lagerraum betreten. Ken sah, wie er die Regale betrachtete.

Suchten sie etwas?

»Bitte, achten Sie nicht auf ihn«, sagte der erste Mann. »Achten Sie auf mich.«

Ken wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Wenn sie etwas stehlen wollten, warum nahmen sie es nicht einfach?

Eine Weile herrschte Stille, die zweimal von einem Geräusch durchbrochen wurde, das in Kens Ohren wie das Schnappen eines Gummis klang.

Dann folgte ein metallisches Klicken, als wäre eine Tierfalle gespannt worden.

Auch wenn er nur den Mann vor sich ansah, wie der es befohlen hatte, spürte Ken, dass der andere Mann dicht hinter ihm stand.

Seine Nackenhaare sträubten sich. Er kapierte.

Aber es war zu spät. In dem Augenblick, da Ken Richter die Geräusche identifizierte, drückte der Mann hinter ihm auf den Abzug seiner Schalldämpferpistole.

Es gab ein weiches, fast angenehmes Floppen, als der Hammer das Geschoß traf und die sorgfältig gekerbte Kugel aus dem schallgedämpften Lauf flog.

Ken Richter spürte nicht, wie die Kugel in seinen Schädel eindrang, wo sie auseinanderstob und wie ein Mixer durch sein Hirn fuhr. Dann trat die Kugel wie eine explodierende Bombe aus seiner Stirn aus und riß ihm das halbe Gesicht weg. Aber da war Ken Richter bereits tot.

Katharine wollte das Anwesen nicht verlassen - sie wollte Michael nicht eine Minute allein lassen. Aber sie konnte Rob nur dort von dem nächtlichen Tauchen erzählen, wo mit Sicherheit niemand zuhörte. Takeo Yoshihara durfte auf keinen Fall herausfinden, wieviel sie bereits wusste. Sie setzte eine Maske aus Vertrauen in den Arzt und Sorge um ihren Sohn auf und teilte Stephen Jameson mit, dass sie nach Hause müsse, um einige Sachen für Michael zu besorgen. In einer Stunde, höchstens zwei würde sie zurück sein. Könnte sie die Nacht bei Michael verbringen? Er hatte schon so viele Nächte in Krankenhäusern verbracht, dass er sie regelrecht hasste, und er hatte solche Angst... Die improvisierte Geschichte ging ihr leicht und glaubwürdig von den Lippen, vor allem deshalb, weil der größte Teil davon der Wahrheit entsprach. Doch sobald sie das Anwesen mit Rob verlassen hatte, berichtete sie ihm von den Notizen, die sie mit Michael ausgetauscht hatte. Sofort rief er mit seinem Handy in Kens Taucherladen an.

»Irgendwas stimmt da nicht«, sagte Rob, als er Katharines Explorer in eine Parkbucht direkt neben Ken Richters alten Volvo lenkte. Er schaltete den Motor aus, aber er und Katharine blieben erst einmal im Wagen sitzen und beobachteten den dunklen Laden. Es sah aus, als hätte Ken schon vor Stunden geschlossen.

»Vielleicht ist er irgendwo hin«, sagte Katharine. Sie betete, dass sie Kihei Ken finden würden und er ihnen vielleicht doch noch eine vernünftige Erklärung für das liefern könnte, was Michael beim Tauchen zugestoßen war. »Vielleicht ist er essen gegangen. Oder ins Kino?«

Rob schüttelte den Kopf. »Die Kinos sind unten an der Kukui Mall. Da hätte er sein Auto nicht hier stehen gelassen. Außerdem hätte er im Laden sein müssen, als ich ihn das erstemal angerufen habe. Ich kenne Ken Richter schon jahrelang - wir haben schon Dutzende Male zusammen getaucht -, und er ist der zuverlässigste und pünktlichste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Jeden Abend macht er seinen Laden um Punkt sieben zu, aber er ist mindestens noch bis halb acht da. Dann räumt er auf und bereitet alles für den nächsten Morgen vor. Und wenn er Tauchtermine hat, dann ist er oft bis neun oder zehn hier. Ich werde nachsehen.«

Sie stiegen aus und näherten sich dem Laden. Sie hatte zwar selbst nach vernünftigen Erklärungen dafür gesucht, dass Ken Richter nicht ans Telefon gegangen war, aber auch Katharine hatte das ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Sie stellte sich mit Rob vor das Schaufenster, hielt die Hand über die Augen und spähte hinein. In der Dunkelheit war lediglich ein blaues Neonzeichen zu erkennen.

Es schien jedoch alles wie immer zu sein, bis sie um das Gebäude herum gegangen waren. Rob deutete auf die Theke. Im bläulichen Licht des Neonzeichens lagen gut sichtbar einige Papiere verstreut.

»Ken läßt nie etwas herumliegen«, sagte Rob. »Deshalb ist er so ein großartiger Taucher. Er hasst es, wenn nicht alles seine Ordnung hat.« Sie schlichen zur Hintertür, wo Rob in die Knie ging und seine Hand unter ein großes Metallfass schob, das auf vier kleinen Holzblöcken ruhte.

»Was suchst du?« fragte Katharine.

»Dasselbe, was Michael und seine Freunde an dem Abend gesucht haben, als sie tauchen gingen: den Schlüssel.« Eine Sekunde später hatte er ihn gefunden, in derselben magnetisierten Metalldose, in der auch Josh ihn vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Rob schob den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn herum und öffnete die Tür. Er griff nach innen, suchte nach dem Lichtschalter, fand ihn und schaltete die Beleuchtung ein.

Es dauerte eine Sekunde, bis Rob erkannte, was geschehen war, so sehr hatte ihn das grelle Licht geblendet. Aber dann sah er die Blutlache, in der Ken Richters Kopf lag, und es drehte ihm fast der Magen um. »O Gott«, flüsterte er mit erstickter Stimme.

»Was ist?« fragte Katharine hinter ihm. »Was ist ...« Sie beendete die Frage nicht, als sie einen kurzen Blick auf Ken erhaschte. Einen Augenblick lang schien die Zeit zu gefrieren, während sie die scheußlich zugerichtete Leiche anstarrten. Katharine ergriff Robs Arm. »Das ist Ken, nicht wahr? Ken Richter.«

Rob konnte nichts sagen. Er machte einen Schritt auf seinen toten Freund zu.

Katharine hielt ihn fest. »Nein«, sagte sie. »Fass ihn nicht an. Fass hier gar nichts an, Rob. Wir müssen die Polizei rufen.« Rob bewegte sich nicht, aber er antwortete ihr auch nicht. Katharine fragte sich, ob er sie überhaupt gehört hatte. Als sie ihn erneut ansprechen wollte, fand er seine Stimme wieder.

»Geh zum Wagen und ruf sie über das Handy an. Dann komm zurück.«

»Sollten wir nicht draußen auf die Polizei warten?«

Rob schüttelte den Kopf. »Wenn die Polizei erst einmal hier ist, haben wir keine Möglichkeit mehr, uns umzusehen. Sie werden alles absperren, und ihre erste Frage wird lauten, was wir hier zu suchen hatten.«

»Und wenn wir ihnen einfach die Wahrheit sagen?«

Rob wandte seinen Blick von der grausigen Szene ab, die sich ihm auf dem Boden des Hinterzimmers bot. Er legte Katharine die Hand auf die Schulter und sah ihr in die Augen. »Was sollen wir ihnen denn erzählen, Kath? Die Wahrheit? Glaubst du etwa, die lassen uns so einfach gehen, wenn wir behaupten, dass Takeo Yoshihara in diese Sache verwickelt ist? Glaub mir, sie wären nicht allzu froh, wenn wir einen der reichsten Männer von Maui des Mordes bezichtigten. Genausogut könnten wir einen von den Baldwins oder den Alexanders beschuldigen. Außerdem würde Yoshihara sofort davon erfahren, wenn wir irgendeinen Verdacht gegen ihn äußerten. Wenn er nicht davor zurückgeschreckt ist, Ken Richter umbringen zu lassen, um sein Projekt zu schützen, glaubst du, er hätte dann irgendwelche Skrupel in bezug auf dich, mich oder Michael? Michael wäre innerhalb einer Stunde tot, und ich würde wetten, dass wir noch vor dem Morgen einen tödlichen Unfall hätten. Wir können uns nur dumm stellen und so viel herausfinden wie möglich. Und wir können auf keinen Fall riskieren, von der Polizei verhört zu werden. Ein Fehler, und alles wäre vorbei. Michael hätte dann keine Chance mehr.«