Dieser Samen war zweifellos einer von vielen - Tausenden, vielleicht Millionen -, die in das Universum ausgesandt worden waren, wie Sporen, die der Wind davonträgt. Die meisten trieben für immer im Weltraum und bewegten sich Jahrtausend um Jahrtausend durch die kalte Leere.
Einige waren auf Sterne gestürzt und verbrannt.
Und einige - nur der winzigste Teil - waren auf Planeten gelandet, wo sie sich tief unter der Oberfläche eingegraben hatten. Und dort lagen sie, schlafend, wartend. Und dann und wann kam einer dieser Samen an die Oberfläche, von aufsteigenden Lavawellen getragen, und brach auf.
Wenn die Bedingungen nicht stimmten - wenn die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre nicht entsprechend ausbalanciert war -, starb das Leben, das der Samen enthielt, einfach ab.
Aber manchmal, irgendwo, öffnete sich der Samen und fand eine Atmosphäre vor, die ihm Nahrung bot. Das Leben in ihm konnte sich reproduzieren.
So wurde ein neuer Planet bestellt, und eine Evolution begann.
Und das Leben von dem toten Planeten - dem Planeten, der vor langer Zeit zerstört worden war durch die Explosion des Sterns, um den er kreiste - würde sich auf diesem neuen Planeten fortsetzen.
»Zu wie vielen Planeten werden sie dieses Signal wohl gesendet haben?« fragte Rob mehr sich selbst.
Als Phil Howell nach längerem Schweigen antwortete, hörte Rob schon am Klang seiner Stimme, dass auch Phil die Wahrheit erkannt hatte. »Nicht sie«, sagte er. »Wir. Wir haben uns aus diesen ersten Samen entwickelt.« Er sah Rob an. »Es waren keine Außerirdischen, die dieses Signal ausgesendet haben, Rob. Wir selbst waren es.«
KAPITEL 32
Mitternacht.
Noch vier Stunden.
Wie sollte sie es schaffen?
Ich werde es schaffen, sagte sie sich. Ich werde nicht zulassen, dass Michael stirbt. Nicht hier, nirgends.
In seiner Plexiglasbox schien Michael zu schlafen, aber Katharine war sicher, dass er nur so tat. Stephen Jameson sah ihren Sohn mit einem Blick an, als habe er nur eine leichte Erkältung. »Alles in allem macht sich unser Patient recht gut«, sagte er mit dem routiniert beruhigenden Tonfall, den man wahrscheinlich während des Medizinstudiums lernte.
Patient! Wie konnte er Michael als Patient bezeichnen! Opfer wäre die bessere Bezeichnung gewesen. Am liebsten hätte sie ihm einen Fausthieb ins Gesicht verpaßt und ihn zu Michael in den Kasten gesperrt. Sollte er doch einmal die tödliche Atmosphäre einatmen, die plötzlich die einzige war, in der ihr Sohn existieren konnte!
Warum ging Jameson nicht nach Hause? Hatte er etwa vor, die ganze Nacht bei Michael zu wachen? Was sollte sie dann tun?
Sie gab sich alle Mühe, dass ihre Maske aus Besorgnis um Michael und Bewunderung für die Bemühungen des Arztes keine Risse bekam. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum, doch dann hörte sie endlich die Worte, auf die sie gewartet hatte.
»Ich glaube, ich werde mir etwas Schlaf gönnen«, sagte Jameson. Er warf noch einen Blick auf die Monitore, die Michaels Körperfunktionen überwachten. »Es scheint sich alles stabilisiert zu haben. Sollte es ein Problem geben - LuAnne weiß, wie ich zu erreichen bin.«
LuAnne, wiederholte Katharine stumm.
Ein Blick in die kalten grauen Augen der Frau im Vorzimmer hatte Katharine bereits gezeigt, dass sie in erster Linie - wenn nicht einzig - dazu da war, sie zu bewachen. Darüber konnte ihr weißer Kittel nicht hinwegtäuschen. »Glauben Sie, er wird wieder gesund?« fragte sie Jameson noch einmal und hoffte, eine glaubwürdige Mischung aus Angst und Vertrauen zu vermitteln.
»Aber gewiß«, beschwichtigte Dr. Jameson sie.
Als spräche er mit einem Kind, dachte Katharine und stieß einen Seufzer aus, von dem sie hoffte, dass er nach Erleichterung klang. »Nun, ich hoffe, Sie bekommen heute nacht genug Schlaf für uns beide. Ich werde jedenfalls kein Auge zumachen.« Hoffentlich übertrieb sie nicht. Aber Jameson schien keinen Verdacht zu schöpfen.
Oder wusste er, dass sie sowieso keine Chance hatte, Michael aus diesem Zimmer zu befreien? Mit dieser Möglichkeit wollte sie sich lieber nicht befassen.
Fünfzehn Minuten, nachdem Jameson gegangen war, machte sich Katharine auf ihre erste Erkundungsmission. Da sie wusste, dass jedes Wort mitgehört wurde, zwang sie sich, Michael zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen und noch etwas schlafen solle. Sie hoffte nur, dass demjenigen, der sie belauschte, ihre Worte nicht so lächerlich vorkamen wie ihr selbst. Sie nahm eine kleine Tasche aus ihrem Koffer, ging in das Vorzimmer und fragte die »Krankenschwester«, ob es irgendwo eine Küche gab. »Ohne Kaffee stehe ich die Nacht niemals durch«, sagte sie.
LuAnne sah sie unfreundlich an und zögerte kurz, bevor sie sagte: »Am Ende des Ganges. Aber Kaffee gibt es dort keinen.«
»Kein Problem.« Katharine tat so, als sei ihr die kühle Art der Frau gar nicht aufgefallen, und öffnete die Tasche, in der Kaffeebeutel lagen. »Ich hab' welchen mitgebracht.«
LuAnne schwieg, und Katharine machte sich auf den Weg zur Küche. Als sie an der Tür vorbeikam, hinter der sich die Laboratorien des Serinus-Projekts befanden, fiel ihr auf, dass das Türschild verschwunden war. Sie musste der Versuchung widerstehen, die Klinke herunterzudrücken.
In der Küche setzte sie einen Kessel mit Wasser auf. spülte zwei Tassen aus und schüttete den Inhalt der Beutel hinein. Als das Wasser kochte, wartete sie etwas und goß es über das Instantpulver. Kurz darauf trug sie die beiden Tassen in das Vorzimmer. »Ich habe Ihnen auch einen gemacht«, sagte sie und stellte die Tassen auf dem Schreibtisch ab. LuAnnes mißtrauischen Blick ignorierte sie einfach. »Der eine ist Mokka, der andere Vanille.«
»Welchen mögen Sie lieber?« fragte die Frau. »Ich glaube, Vanille.« »Dann probiere ich mal den anderen.« Katharine nahm die Tasse mit dem Vanillekaffee und ging wieder in Michaels Zimmer. Er schlief noch immer oder tat zumindest so, wofür Katharine ihm sehr dankbar war, weil es sie von der schwierigen Aufgabe befreite, irgendwelche gezwungene Kommunikation zu betreiben. Wenn jemand sie belauschte, würde es bestimmt auffallen. Sie löschte das Licht, und der Raum wurde in Dunkelheit gehüllt. Nur die Monitore strahlten ein schwaches Licht aus.
Sie machte es sich bequem und hoffte, dass die Dunkelheit und die Stille ihre Wärter gegen vier Uhr so eingelullt hätten, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen könnte.
Vorsichtig holte sie das Handy aus ihrer Tasche und stellte von Klingeln auf Vibrationsalarm um. Selbst die Dunkelheit hat Augen, dachte sie und erinnerte sich an die Kameras beim Tor.
Vierzig Minuten später ging sie den nächsten Akt in ihrem selbst erdachten Stück an. Sie holte sich und der Frau in der Schwesternuniform eine zweite Tasse Kaffee. Diesmal blieb sie jedoch lange genug bei ihr, um zu erfahren, dass LuAnne mit Nachnamen Jensen hieß, keine Verwandten hatte, allein lebte und sich für keines der Themen interessierte, die Katharine anschnitt. Aber sie nahm die zweite Tasse Kaffee an. Und später eine dritte.
Auf ihren Wegen in die Küche begegnete Katharine keiner Menschenseele. Auch sonst sah sie keine Wachtposten, außer LuAnne natürlich.
Das konnte zweierlei bedeuten: Entweder dachten sie, Katharine glaube Takeo Yoshiharas Geschichte, oder sie vertrauten ihrem Sicherheitssystem so sehr, dass sie sich keine Sorgen machten.
Als Katharine sah, dass es fünf nach drei war, ging sie ein weiteres Mal mit ihrer Kaffeetasse ins Vorzimmer.
Diesmal lächelte ihr LuAnne tatsächlich zu. »Ich wollte Sie gerade fragen, ob ich Ihnen diesmal einen machen soll.«
»Ach, bloß nicht«, entgegnete Katharine und nahm LuAnnes leere Tasse vom Schreibtisch. »Michael schläft fest, und ich bin es leid, dauernd im Dunkeln zu sitzen. Welcher Geschmack darf es diesmal sein?«
»Ich glaube, ich nehme noch mal Mokka.«