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Dahinter sah man die Ruine einer Hütte mit Wänden aus Lava. Das Dach war schon lange eingestürzt.

Der Hubschrauber landete, und der Pilot schaltete den Motor aus. Als das Brüllen erstarb und die großen Rotoren langsam zum Stillstand kamen, senkte sich eine unheimliche Stille über die Menschen in der Kabine.

»Was ist das hier?« fragte Michael.

»Eine Art Lager«, antwortete der Pilot. »Das ist alles, was davon übrig geblieben ist. Es ist ungefähr der einzige Ort, an dem man hier landen kann. Ansonsten weißt du nie, was unter dir ist.«

Katharine sah ihren Sohn unsicher an. Die plötzliche Stille hatte sie irritiert, als hinge die Fähigkeit ihres Sohnes zu atmen irgendwie von dem Motor des Hubschraubers ab. »Nun?« fragte sie.

Michael stieß die Tür auf und sprang auf den Boden. Nach einer Weile drehte er sich um und sah seine Mutter strahlend an. »Es funktioniert! Ich kann atmen!« Doch ebenso schnell, wie es gekommen war, erlosch sein Strahlen wieder. Zweifelnd wanderte sein Blick über die düstere Landschaft, durch die Dunkelheit, in der glühendes Feuer leuchtete und Rauch und Dämpfe wirbelten. »Wird es ab jetzt so bleiben?« fragte er. Seine Stimme zitterte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. »Werde ich hier den Rest meines Lebens verbringen müssen?«

Katharine sah ihrem Sohn in die Augen. Er tat ihr unendlich leid.

Aber sie konnte ihm keine Antwort geben.

KAPITEL 34

Katharine und Rob saßen dicht nebeneinander nahe einem Lagerfeuer, das der Hubschrauberpilot angezündet hatte. Der Mann hockte vor ihnen und stocherte mit einem Ast in den Flammen. Er war groß, sehnig und dünn. Sein Name war Arnold Berman - »aber alle nennen mich Puna« -, und Katharine schätzte ihn auf Mitte Zwanzig.

Der Wind hatte gedreht, so dass die Dämpfe nicht mehr so intensiv über die Lichtung wehten. Sofort hatte Michael wieder Schmerzen verspürt und sich auf die Suche nach einer Fumarole gemacht. Dort drangen der Rauch und die Gase aus der Tiefe der Erdkruste ungehindert in seine Lunge und gaben ihm die Kraft, die Sauerstoff ihm nicht mehr geben konnte. Katharine hatte Angst davor, ihn aus den Augen zu verlieren, und wollte mit ihm gehen, aber Rob hielt sie zurück.

»Laß ihn, Kath«, sagte er. »Was auch immer geschieht - wie immer all das hier enden wird -, er muss allein damit fertig werden. Genau wie du und ich.«

Da sie körperlich ebenso erschöpft war wie geistig, hatte sie sich widerwillig gesetzt, aber schon wenige Minuten später bereute sie es. Nachdem sich die erste Freude darüber, Michael von Takeo Yoshiharas Anwesen befreit zu haben, gelegt hatte, wurde ihr mit einem Schlag wieder bewusst, wie schlecht es ihrem Sohn ging. Die fast unirdische Landschaft drohte sie zu erdrücken. Am Rand der Lichtung flackerten Flammenzungen aus den Feuergruben hervor, um sie herum verbreiteten die Lavaströme ein seltsam pulsierendes Licht. Als Puna das kleine Feuer entfachte, hatte es sie sofort dorthin gezogen, nicht wegen der Wärme, sondern weil es ihr vertraut war, weil es die Dämonen, die sie umgaben, im Zaum zu halten schien. Zum erstenmal sah sie den Mann, der sie hierher geflogen hatte, richtig an.

Aschblondes Haar hing ihm bis auf die Schultern, und er trug die Maui-Uniform: Shorts, T-Shirt und Sandalen. Er sah mehr wie ein Surfer aus als wie ein Hubschrauberpilot. »Wie kann ich Ihnen jemals für das danken, was Sie heute nacht für uns getan haben?« sagte sie.

»Ken Richter war mein bester Freund«, entgegnete Puna. »Wir kennen uns schon lange. Wenn es stimmt, was Rob sagt, hätte ich gern eine Bombe über dem Haus dieses Scheißkerls abgeworfen, nachdem wir Sie abgeholt hatten.«

»Es stimmt«, sagte Katharine seufzend. Rob legte seinen Arm um ihre Schultern. »Es stimmt alles.« Sie lehnte sich an Rob und sah ihn an. »Was machen wir jetzt?«

»Im Moment können wir nur warten«, antwortete Rob. »Aber wie ich es sehe, bekommen wir bestimmt Gesellschaft, sobald es hell wird.«

Katharine fröstelte. »Takeo Yoshihara sucht uns, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich«, sagte Rob. »Aber wenn er glaubt, dass wir hier draußen ganz allein sind, irrt er sich.« Er drückte sie fester an sich und blickte zum Himmel hinauf. Und dort oben war es, genau wie Phil Howell gesagt hatte. In der Schwärze des Himmels, an dem man wegen der Feuer, die um sie herum brannten, keinen Stern sehen konnte, leuchtete ein einziges strahlendes Licht.

Ein Licht, das mit jeder Nacht noch strahlender leuchten und dann, in einer Woche oder einem Monat, verschwinden würde.

Für immer.

Die Nova.

»Schau«, sagte er leise und dirigierte Katharines Blick zu dem leuchtenden Stern. »Von dort ist alles gekommen.« Dann versuchte er Katharine zu erklären, was er und Phil Howell entdeckt hatten.

Das erste Licht des Tages vertrieb die Dunkelheit vom östlichen Horizont, als ein Geräusch in Katharines Träume drang.

Sie war wieder im Labor des Serinus-Projekts, aber in den Plexiglasboxen saßen keine Ratten, Hamster oder Affen mehr. In jedem Käfig saß ein kleiner Junge.

Die Reihen der Käfige schienen endlos, und jeder Gang führte in einen anderen, so dass sich ein endloses Labyrinth auftat. Katharine sah sich durch die Gänge laufen, auf der Suche nach Michael, aber es gab zu viele Käfige, zu viele Kinder, und alle streckten ihre Arme nach ihr aus und flehten sie an, ihnen zu helfen.

Schließlich blieb sie stehen und öffnete einen Käfig, aber kaum hatte sie das getan, als das gefangene Kind zu husten und zu würgen begann. Als sie den kleinen Jungen in den Arm nahm - ein Junge, der genau so aussah wie Michael in diesem Alter -, wurde aus seinem Husten ein konvulsivisches Zucken.

Das Kind starb in ihren Armen.

Sie rannte weiter, aber nun verfolgte sie etwas, das näher und näher kam. Ein düsteres Brummen, das immer lauter wurde.

Wupp, wupp - wupp, wupp ...

Sie lief schneller und schneller, aber die Flure wurden immer länger, und an jeder Abzweigung musste sie sich neu entscheiden. Doch wohin sie auch lief und welche Abzweigung sie nahm, ihr Verfolger kam immer näher.

Wupp, wupp - wupp, wupp ...

Sie schrie nach Michael, und betete, dass er ihr antworten würde, dass sie ihn fände, bevor ...

»Katharine!«

Ihr Name! Jemand rief nach ihr! Aber es war nicht Michael.

»Katharine!«

Sie schreckte hoch, ihr Traum löste sich auf, und mit einem Schlag erinnerte sie sich, wo sie war. Sie war von Yoshiharas Anwesen geflohen, Michael war bei ihr, ebenso Rob, und sie waren in Sicherheit.

Wupp, wupp - wupp, wupp ...

Der Lärm war noch immer da, und sie wusste nun auch, was es war.

Sie erhob sich und ignorierte, dass ihre Glieder steif geworden waren. Sie war an Robs Schulter eingedöst, dicht neben dem kleinen Feuer sitzend, das Puna die ganze Nacht genährt hatte. »Wo ist er?« fragte sie und suchte den heller werdenden Himmel nach der Quelle des Lärms ab.

Dann sah sie ihn. Er kam aus der Richtung von Maui. Sie erkannte Takeo Yoshiharas Hubschrauber sofort. »Michael«, flüsterte sie und klammerte sich an Robs Arm, während sie den Helikopter im Auge behielt. »Wo ist Michael?«

»Er ist noch nicht zurückgekommen«, antwortete Rob. »Gehen wir ihn suchen.«

»Da!« rief Takeo Yoshihara und deutete auf die Hänge des Kilauea. Arnold Bermans Hubschrauber stand deutlich sichtbar auf einer kleinen Lichtung.

»Soll ich landen?« fragte der Pilot.

»Erst wenn wir den Jungen gefunden haben!« Ein zufriedenes Lächeln umspielte Yoshiharas Lippen, während er nach unten sah. Auch wenn das Glühen der Lavaströme, die sich durch die rissigen und zerfurchten Spalten wälzten, in der Morgendämmerung langsam verblich, tanzten die Flammen doch immer noch über Feuergruben und Kratern. Immer noch stiegen Dampf und Rauch von den Fumarolen auf, die den großen Riß säumten - die Stelle, an der irgendwann einmal ein riesiges Stück der Insel Hawaii abbrechen und im Meer versinken würde. Eine Hunderte von Metern hohe Flutwelle würde folgen - nicht heute oder morgen, nicht in diesem oder im nächsten Jahr. Auch zu Lebzeiten Takeo Yoshiharas würde sich wahrscheinlich nichts dergleichen mehr ereignen, nicht einmal Generationen darauf. Was Yoshihara im Grunde bedauerte: Eine solche Naturkatastrophe und die Zerstörungen, die sie anrichten würde, wäre zweifellos ein interessantes Phänomen. Aber an diesem Morgen hatte er Wichtigeres zu erledigen, als über vulkanische Aktivitäten nachzudenken.