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Eine Inselkette breitete sich unter dem Flugzeug aus. Es war ein vollkommen klarer Tag, und ein schneebedeckter Berggipfel erhob sich glitzernd vor einem Himmel, der noch blauer zu strahlen schien als das Meer. Während das Flugzeug herunterging, sah man die Inseln immer deutlicher, und dann hörten sie in den Lautsprechern die Stimme des Piloten:

»Rechts haben wir heute eine wunderbare Sicht auf Oahu. Die Passagiere auf der linken Seite können die Gipfel des Mauna Kea und des Mauna Loa auf der Großen Insel von Hawaii erkennen. In ein paar Minuten können wir in die Krater des Mauna Lao auf der Großen Insel und des Haleakala auf Maui schauen. Sie werden mühelos erkennen, welcher von beiden Vulkanen aktiv ist.«

Als das Flugzeug seine Höhe weiter verringerte, sah Katharine, wie der Rauch aus einer der aktiven Spalten an der Flanke des Haleakala aufstieg, aber dann lauschte sie wieder der Stimme des Piloten.

»Während wir Maui umfliegen, können die Passagiere auf der rechten Seite die Südwestküste der Insel sehen. Hier erstrecken sich die Ferienorte Wailea und Kihei, und viele Leute - darunter auch ich - meinen, dass es dort die schönsten Strände aller Inseln gibt. Denen, die hier Urlaub machen wollen, möchte ich ein erstes Aloha zurufen. Den Glücklichen, die hier leben - willkommen zu Hause.«

Das Flugzeug sank weiter und legte sich in die letzte Kurve. Durch das Fenster sah Katharine die Küste, die sich nach Lahaina wand, und dann kamen die wild zerklüfteten, in Grün gehüllten Vorsprünge der Berge West-Mauis in Sicht. Über dem Boden des Tals lag ein grüner Teppich.

Das Flugzeug landete, wurde langsamer und blieb nach einer Kurve vor dem langen, niedrigen Flughafengebäude von Kahului stehen. Kaum stand die Boeing 747, als Michael schon aus seinem Sitz gesprungen war. Er schob sich an Katharine vorbei, um nur ja schnell ihre Reisetaschen aus den Gepäckablagen über ihnen zu holen. Drei Minuten später verließ Katharine das Flugzeug und spürte zum erstenmal seit Monaten Luft auf ihrer Haut, die nicht künstlich erwärmt worden war. Schnell ging sie über die Gangway in den Ankunftsbereich. Michael stand schon vor den Glastüren, und als er sich umwandte, sah sie sein breites Grinsen.

Sie holte tief Luft, während die Türen vor ihr aufglitten, und als die blumige Luft ihre Lunge füllte, kam ihr nur ein Wort in den Sinn:

Sanft.

Nur dieses Wort konnte die Zartheit der weichen Brise ausdrücken.

Sanft.

»Kein bißchen wie in New York, soviel steht fest«, hörte sie ihren Sohn sagen.

Sie sah ihn fassungslos an. »Ich glaube es einfach nicht! Wir sind drei Monate im Paradies, und dir fällt nichts weiter ein als >es ist nicht wie New York<?«

»Ach, Mom. Ich habe nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt. Ich meine, das Wetter ist gar nicht schlecht. Es ist ...«

Aber Katharine hörte gar nicht mehr richtig hin. Sie hatte am Ende des langen Ganges jemanden entdeckt, den sie kannte.

Sie hatte ihn seit ihrem Examen nicht mehr gesehen, aber sie erkannte ihn sofort.

Rob Silver.

Er sah noch genauso schlank und kräftig aus wie vor zwanzig Jahren, aber seine attraktiven Züge waren etwas wind- und wettergegerbter, und in seinem wirren Haarschopf zeigten sich ein paar graue Strähnen. Seine funkelnden Augen, mit denen er sie ganz genau ansah, waren jedoch immer noch so blau wie in ihrer Erinnerung. Als er ihr einen duftenden Blumenkranz umlegte, sagte er genau die gleichen Worte, die auch ihr in den Sinn gekommen waren, als sie ihn gesehen hatte: »Mein Gott, du siehst noch besser aus, als ich dich in Erinnerung hatte.«

Während sie die Röte zu unterdrücken versuchte, die sich über ihre Wangen ausbreitete, reichte er ihrem Sohn die Hand. »Hi«, sagte er. »Du musst Michael sein. Ich bin Rob Silver.«

Michael zögerte. Sein Blick wanderte zwischen Rob und seiner Mutter hin und her, als versuche er ein Rätsel zu lösen, und als er schließlich die ihm dargebotene Hand schüttelte, spürte Katharine seine Zurückhaltung. »Schön, Sie kennenzulernen«, sagte er.

Als sie zur Gepäckabholung gingen, wusste Katharine, dass Michael sich keineswegs sicher war, ob er es schön fand, Rob Silver kennenzulernen.

Sie befürchtete sogar, dass er es eher nicht schön fand.

»Und du wirst tatsächlich noch dafür bezahlt, dass du hier draußen arbeiten darfst?« fragte Katharine, als Rob Silver seinen staubigen Ford Explorer auf einen vierspurigen Highway lenkte, der geradewegs auf den riesigen Berg hinauf zu führen schien, welcher die ganze südöstliche Hälfte von Maui einnahm. Die Fenster waren geöffnet, und obwohl die Passatwinde wehten, hatte die Brise nichts von dem beißenden Atem der Winterluft, die durch die Straßen von Manhattan gefegt war, die sie erst gestern verlassen hatten.

Rob sah sie schmunzelnd an. »Darf ich das als Hinweis verstehen, dass du umsonst arbeiten willst?«

»Das wohl kaum«, erwiderte Katharine. »Ich bin eine arme alleinerziehende Mutter, vergiß das nicht. Die arme, aber fröhliche Studentin von früher gibt es nicht mehr.«

»Oh, ich weiß nicht«, sagte Rob gedehnt. »Ich finde nicht, dass du dich sehr verändert hast.« Als er im Rückspiegel Michaels Blick begegnete, eine Mischung aus Mißtrauen und Ablehnung, hörte er sofort mit den Schmeicheleien auf. »Wie es nach diesem Projekt mit mir weitergeht, weiß ich allerdings auch noch nicht«, sagte er. »Ich habe meine Fühler zwar in Richtung Universität ausgestreckt, aber wahrscheinlich müsste ich erst zehn Leute umbringen, die vor mir dran wären.«

»Wie lange läuft dein Forschungsauftrag noch?« fragte Katharine.

Michael drehte sich auf dem Rücksitz um und sah aus dem Fenster auf die Zuckerrohrfelder, die sich an beiden Seiten der Straße entlangzogen. Er folgte dem Gespräch der beiden Erwachsenen nicht mehr. Konnten sie eigentlich immer nur über Geld reden? Manchmal kam es ihm vor, als wäre Geld das einzige, was seine Mutter und ihre Bekannten interessierte.

Aber Rob Silver schien sich noch für etwas anderes zu interessieren. Und der Blick, mit dem er seine Mutter angesehen hatte, verriet Michael, wofür. Er war davon überzeugt, dass seine Mutter und Silver auf dem College mehr als nur gute Freunde gewesen waren. Und offensichtlich wollte Rob Silver die alten Zeiten wieder aufleben lassen.

Seltsam, dass seine Mutter diesen Punkt nicht erwähnt hatte, als sie ihn davon überzeugen wollte, dass es eine gute Idee sei, nach Maui zu gehen. Während der Explorer nun durch die Felder rollte, begann Michael zu begreifen. Sicher, für seine Mutter war es großartig - sie hatte einen tollen Job, viel Geld und einen Mann, an dem sie auch nicht uninteressiert schien, so wie sie ihn am Flughafen angesehen hatte.

Jetzt saß er also hier, an einem Ort, wo er außer seiner Mutter keine Menschenseele kannte, und bis zu den Schulferien waren es nur noch sechs Wochen. Zu lange, um sich irgendwie von der Schule befreien zu lassen - er hatte es versucht, aber seine Mom wollte nichts davon hören -, und zu kurz, um neue Freundschaften zu schließen, egal was seine Mutter dazu sagte. Er hatte noch ihre Worte im Ohr. »Natürlich findest du dort schnell Freunde. Es ist nicht so wie in New York. Es wird ganz leicht.«

Aber es würde bestimmt nicht leicht werden. Michael wünschte, seine Mutter könnte verstehen, wie schwer es eigentlich war, sich einem Haufen Jugendlicher zu stellen, die man nicht kannte. Jugendliche, die einen vielleicht nicht leiden konnten. Oder die sich über einen lustig machten, so wie es ihm ergangen war, als er noch krank gewesen war. Nun, jetzt war er nicht mehr krank, das würde einiges ändern. Vielleicht blieb er doch nicht so allein, wie er befürchtete. Hoffentlich.

Eine riesige Rauchwolke, die links von ihm in den Feldern aufstieg, riß ihn aus seinen Gedanken. »Was ist das?« fragte er.