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»Trauert Ozmian denn nicht um seine Tochter?«

»Doch. Auf seine Weise. Wenn sein Privatleben seinem beruflichen Leben auch nur entfernt ähnelt, scheint seine Art zu trauern darin zu bestehen, den Täter zu finden, ihm bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen, dann aus seinem Gemächt eine Krawatte zu binden und ihn daran aufzuhängen.«

Singleton schrak zusammen, dann trank er wieder einen Schluck. »Ein Milliardär, der Selbstjustiz übt. Lieber Gott, rette uns.« Er sah D’Agosta kurz an. »Irgendwelche Verbindungen zu den Geschäftsinteressen des Vaters? Sie wissen schon, die Tochter ermorden, um sich am Vater zu rächen?«

»Wir untersuchen das. Ozmian war in einen Haufen Gerichtsprozesse verwickelt, hat reichlich Morddrohungen erhalten. Diese Dotcom-Leute sind wüst wie die Wikinger.«

Singleton brummelte irgendetwas Unverständliches. Einige Augenblicke saßen sie einfach nur da und hingen ihren Gedanken nach. Das war Singletons Art, einen Fall zu managen: sich spätabends hinzusetzen, wenn es im Präsidium ruhig war, und mit einem zu quatschen. Und deshalb war er ein so guter Polizist und ein toller Typ, für den man gern arbeitete. Schließlich verlagerte Singleton sein Gewicht auf dem Stuhl. »Sie kennen doch diesen Harriman von der Post, der herumgeschnüffelt, Fragen gestellt, meine Jungs belästigt hat? Kann man ihm trauen? Kann der was?«

»Harriman ist ein Arsch, aber er weiß, wovon er schreibt.«

»Schade. Denn die ganze Sache ist schon jetzt ziemlich groß – und wird nur noch größer werden.«

»Stimmt.«

»Und das FBI? Was ist dessen Agenda, und wie würden die Leute dort entscheiden, sollte es sich um einen Fall für die Bundespolizei handeln?«

»Mit denen komme ich schon klar, keine Sorge.«

»Das freut mich zu hören.« Singleton stand auf. »Vinnie, Sie machen Ihre Sache ganz prima. Weiter so. Wenn ich Sie unterstützen kann, wenn Sie glauben, jemand benötige einen kurzen Tritt in den Hintern, dann lassen Sie es mich wissen.«

»Mach ich gern, Captain.«

Singleton verließ den Raum. Bedauernd warf D’Agosta die leere Bierdose in den Papierkorb und fing wieder an, sich die endlos langweiligen Aufzeichnungen der Überwachungskameras anzusehen.

7

Lieutenant D’Agosta parkte den Streifenwagen im abgesperrten Bereich unmittelbar vor dem Stadthaus. Er stieg aus, Sergeant Curry, sein Begleiter, erschien aus der anderen Wagentür. D’Agosta nahm sich einen Augenblick Zeit und blickte an dem Townhouse hoch. Es war aus rosafarbenem Granit errichtet und nahm die Mitte einer ruhigen, von kahlen Gingko-Bäumen gesäumten Seitenstraße zwischen der Second und der Third Avenue ein. Das Opfer, Cantucci, war die schlimmste Sorte von Mafiaanwalt, die man sich vorstellen konnte, aalglatt. Er befand sich zwar schon seit zwanzig Jahren im Visier der Polizei und wurde in mehreren Verfahren vor einem Geschworenengericht angeklagt – doch es war noch nicht einmal gelungen, ihm die Anwaltslizenz zu entziehen. Er galt als einer der Unberührbaren.

Außer dass er jetzt doch »berührt« worden war, und zwar richtig. D’Agosta fragte sich, wie der Mörder eigentlich die hervorragende Security des Stadthauses überwunden hatte.

Kopfschüttelnd ging er in der Dunkelheit des Dezemberabends bis zur Eingangstür des Hauses, Curry hielt ihm die Tür auf. D’Agosta betrat die Eingangshalle und sah sich um. Es war ein beeindruckendes Haus, voll mit teuren Antiquitäten und Perserteppichen. Der schwache Geruch der verschiedenen von den Kriminaltechnikern verwendeten Chemikalien und Lösungsmittel stach ihm in die Nase. Doch weil die Leute mittlerweile ihre Arbeit beendet hatten, musste D’Agosta nicht die üblichen Überschuhe, das Haarnetz und den Kittel anlegen, wofür er dankbar war, als er die stickige Luft einatmete, die daher rührte, dass die Metallrollläden des Townhouse immer noch heruntergelassen waren.

»Sind alle bereit für eine Begehung, Sir?«, fragte Curry.

»Wo steckt eigentlich der Security-Berater? Er sollte sich doch hier mit mir treffen.«

Ein Mann trat aus dem Schatten. Afroamerikaner, klein, weiße Haare. Er trug einen blauen Anzug und gab sich sehr ernst und würdevoll. Er galt als einer der Topexperten in Sachen elektronischer Sicherheit in der Stadt, weshalb sich D’Agosta wunderte, dass er mindestens wie siebzig aussah.

Der Mann streckte ihm seine kühle Hand entgegen. »Jack Marvin.« Seine Stimme klang tief wie die eines Predigers.

»Lieutenant D’Agosta. Also, nun erzählen Sie mal, Mr. Marvin – wie ist der Dreckskerl denn durch dieses millionenschwere Sicherheitssystem ins Haus gelangt?«

Marvin lachte makaber. »Auf sehr clevere Weise. Soll ich Sie durchs Haus führen?«

»Ja, gerne.«

Marvin setzte sich in Bewegung. Mit schnellen Schritten ging er den zentralen Flur entlang, D’Agosta und Curry im Schlepptau. D’Agosta fragte sich, warum Pendergast nicht gekommen war, er hatte ihn doch darum gebeten. Das hier war doch genau die Art Fall, der ihn faszinierte. Angesichts der Rivalität zwischen NYPD und FBI hatte D’Agosta geglaubt, er würde Pendergast einen Gefallen tun, wenn er die Einladung aussprach. Andererseits hatte Pendergast bislang nur wenig Interesse an den Ermittlungen gezeigt – man schaue sich nur an, wie sehr er sich geziert hatte, Ozmian aufzusuchen.

»Was wir hier in diesem Haus sehen«, sagte Marvin, während er ständig auf irgendwelche Stellen zeigte, »ist ein Sharps-&-Gund-Sicherheitssystem. Die Sharps-&-Gund-Technologie ist mehr als hochmodern, das Beste, was es gibt. Sie wird von Ölmagnaten vom Persischen Golf und russischen Oligarchen bevorzugt.« Er hielt kurz inne. »Im ganzen Haus sind fünfundzwanzig Überwachungskameras verteilt. Eine hier«, er deutete auf eine Ecke oben an der Wand, »und weitere dort, dort und dort.« Seine Hand bewegte sich schnell. »Jeder Quadratzentimeter wird von den Kameras erfasst.«

Er blieb stehen, drehte sich um, zeigte erst auf die eine Seite des Flurs, dann auf die andere, so wie ein Fremdenführer in einem historischen Gebäude. »Und hier haben wir den Infrarot-Unterbrechungsstrahl mit den Bewegungsmeldern in den Ecken, dort oben und da.« Er zeigte zur Tür des Aufzugs, drückte die einzelne Taste. »Das Herzstück der Anlage befindet sich auf dem Dachboden, in einem Eisenschrank.«

Die von Kugeln durchsiebte Tür glitt auf, und die drei betraten den Aufzug.

Summend fuhr der Lift bis in den vierten Stock, die Tür öffnete sich. Marvin betrat den Flur. »Kameras hier, hier und dort drüben. Weitere Infarot-Unterbrechungsstrahlen, Bewegungsmelder, Druckplattensensoren im Boden. Zum Schlafzimmer geht’s durch die Tür dort.« Er wandte sich halb um. »Die Haustür und sämtliche Fenster sind alarmgesichert, außerdem wird das Haus bei Sonnenuntergang mit Stahlrollläden abgeriegelt. Das System ist mehrfach redundant. In der Regel wird es mit Haushaltsstrom betrieben, mit zwei voneinander unabhängigen Back-up-Quellen, einem Notstromaggregat sowie einer Reihe mariner Deep-Cycle-Batterien. Es verfügt über drei voneinander unabhängige Benachrichtigungsverfahren an Mitarbeiter der Sicherheitsfirma: über den Festnetzanschluss des Haushalts, eine Mobilfunk- sowie eine Satellitenverbindung. Selbst wenn nichts passiert, ist das System so konfiguriert, dass es stündlich ein Okay-Signal sendet.«

D’Agosta stieß einen leisen Pfiff aus. Er konnte es kaum erwarten, zu erfahren, wie das System besiegt worden war.