Der hochgewachsene, gebeugte, mürrische Butler, der auf ihre Bestellung gewartet hatte, reagierte mit ernstem Nicken und einem »Ja, Mrs. Ozmian«, dann wandte er sich mit deutlich hörbarem Arthrose-Knacken um und verschwand in den Tiefen der ungeheuer vulgären und übermöblierten Wohnung.
Harriman fühlte sich deutlich im Vorteil gegenüber der Frau, und den wollte er so weit wie möglich nutzen. Sie war der Typ Frau, die er durchschaute, eine, die so tat, als gehöre sie zur Oberschicht, diese Inszenierung jedoch völlig vergeigte. Alles an ihr, von den gefärbten Haaren über das übermäßige Make-up bis zum überaus echten Brillantschmuck – in dem die Steine zu groß waren, als dass sie vornehm wirkten –, weckte in ihm den Wunsch, den Kopf zu schütteln. Diese Leute kapierten es eben nie. Niemals würden sie begreifen, dass vulgärer Brillantschmuck, Stretchlimousinen, Botox-Gesichter, englische Butler und riesige Häuser in den Hamptons die Entsprechung zum Tragen eines Plakats auf Brust und Rücken darstellte, auf dem stand:
ICH BIN EINE NEUREICHE,
DIE VERSUCHT, DIE OBERSCHICHT NACHZUÄFFEN,
NUR HABE ICH LEIDER KEINE AHNUNG, WIE.
Bryce selber war nicht neureich. Er brauchte keine Brillanten, Autos, Häuser und Butler, um diese Tatsache zu verkünden. Dafür reichte schon allein sein Nachname: Harriman. Die Eingeweihten wussten Bescheid, und die Nichteingeweihten waren es nicht wert, dass man sich mit ihnen abgab.
Seine journalistische Laufbahn hatte er bei der New York Times begonnen, wo er sich durch pures Talent vom Korrektor bis zum Stadtreporter emporgearbeitet hatte, doch ein kleines Missgeschick, bei dem es um seine Berichterstattung über ein Vorkommnis ging, das später unter dem Namen U-Bahn-Massaker bekannt wurde – wobei hinzukam, dass ihn der verstorbene, bedeutende und unerträgliche William Smithback bei dieser Story ausgebootet hatte –, hatte zu seiner ruppigen Entlassung bei der Times geführt. Es war die schmerzlichste Zeit seines Lebens gewesen. Mit eingezogenem Schwanz war er rüber zur New York Post geschlichen. Doch am Ende erwies sich dieser Schritt als das Beste, was ihm je widerfahren war. Die immer wachsame, immer einschränkende Kontrolle durch die Chefredaktion, die ihn bei der Times mundtot gemacht hatte, war bei der Post sehr viel weniger zu spüren. Nicht nur, dass man ihm nicht mehr ständig über die Schulter sah und seinen Stil korrigierte, nein, es gab bei der Post eine Art populistischen Chic, der ihm, wie er fand, in seinen Kreisen nicht schadete. In den zehn Jahren bei dieser Zeitung war er von ganz unten bis zum Chefreporter aufgestiegen.
Doch zehn Jahre sind eine lange Zeit in der Zeitungsbranche, und Harrimans Karriere war in jüngster Zeit etwas ins Stocken geraten. Bei aller Herablassung, mit der er diese Frau betrachtete, nahm er bei sich doch auch eine gewisse Verzweiflung wahr. Seit Langem hatte er keinen Knüller mehr gelandet, und allmählich spürte er den heißen Atem der jüngeren Kollegen im Nacken. Er brauchte irgendetwas Großes, und zwar sofort. Und das hier könnte, wie er fand, genau das Richtige sein. Er besaß die Gabe, eine gewisse Art von Story förmlich zu erschnüffeln, sich bei gewissen Leuten einzuschmeicheln. Und zu diesen gehörte auch die Frau, die ihm jetzt gegenübersaß: Izolda Ozmian, ehemaliges »Fashion«-Model, soziale Aufsteigerin, Goldgräberin par excellence, ehemalige Trophäen-Ehefrau des großen Anton Ozmian, die nach neun Monaten ehelicher Glückseligkeit in einem berühmten Scheidungsprozess neunzig Millionen Dollar für sich herausgeschlagen hatte. Das, rechnete Harriman im Stillen durch, machte zehn Millionen Dollar pro Monat, oder 333000 pro Fick, vorausgesetzt, sie trieben es einmal täglich, was eine sehr großzügige Annahme war, wenn man bedachte, dass Ozmian einer dieser Dotcom-Workaholics war, die praktisch im Büro schliefen.
Bryce wusste, dass er einen Riecher für eine tolle Geschichte hatte, und diese hier besaß das Zeug dazu. Doch in letzter Zeit musste er sich Sorgen machen wegen der Kollegen bei der Post, diesen hungrigen Jungtürken, die sich nach nichts mehr sehnten als danach, ihn entthront zu sehen. Er hatte kein Glück gehabt und war nicht an Ozmian herangekommen – womit er eigentlich gerechnet hatte –, außerdem hielten sich die Cops ungewöhnlich bedeckt. Einen Termin mit Izolda hingegen hatte er mühelos bekommen. Ozmians zweite Ehefrau war berühmt für ihre Verbitterung und Rachsucht, weswegen er das unabweisbare Gefühl hatte, dass sich hier die Hauptader befand, alles hübsch verschnürt in einer sexy Verpackung, eine Frau, die nur darauf wartete, eine Schute voll Müll abzuladen.
»Nun, Mr. Harriman«, sagte Izolda mit kokettem Lächeln, »wie kann ich Ihnen helfen?«
Harriman ging die Sache ganz leicht und locker an. »Ich suche nach ein paar Backgroundinformationen zu Mr. Ozmian und seiner Tochter. Sie wissen schon, nur um etwas leichter ein Bild von ihnen als Menschen malen zu können – nach dem tragischen Mord, meine ich.«
»Als Menschen?«, wiederholte Izolda etwas pikiert.
Oh, das hier wird gut laufen.
»Ja.«
Pause. »Nun, ich würde sie nicht unbedingt auf diese Weise charakterisieren.«
»Entschuldigen Sie bitte?«, fragte Bryce und täuschte dumme Ignoranz vor. »Wie würden Sie sie nicht beschreiben?«
»Als Menschen.«
Bryce tat so, als machte er sich Notizen, und gab ihr Zeit, weiterzureden.
»Als ich Ozmian kennenlernte, war ich ein naives kleines Mädchen, ein unschuldiges Model aus der Ukraine.« Ihre Stimme hatte einen weinerlichen, selbstmitleidigen Ton angenommen. »Er hat mich im Sturm erobert, das kann man wohl sagen, mit Einladungen zum Abendessen, Privatflugzeugen, Fünfsternehotels, das ganze Programm.« Sie schnaubte verächtlich. Ihr Akzent hatte einen hübschen slawischen Einschlag, den jedoch ein unschöner Queens-Tonfall überlagerte.
Harriman wusste, dass sie nicht nur als Model gearbeitet hatte. Die Nacktfotos kursierten noch immer im Netz und würden vermutlich bis ans Ende aller Zeiten dort zu sehen sein.
»Ach, was war ich doch für ein Dummchen!«, sagte sie mit leicht bebender Stimme.
Da erschien der Butler mit zwei riesigen Martinis auf einem Silbertablett und stellte einen vor ihr und einen neben Harriman ab. Sie griff nach ihrem Glas wie eine Verdurstende und leerte es, ehe sie es mit zierlicher Geste wieder abstellte.
Bryce täuschte einen kleinen Schluck vor. Was Ozmian wohl in ihr gesehen hatte? Sicher, sie war schlank, sportlich, vollbusig – atemberaubend schön, wie sie da wie hingegossen auf der Chaiselongue saß, aber es gab jede Menge schöner Frauen auf der Welt, aus denen Ozmian hätte auswählen können. Warum gerade sie? Natürlich konnte es Gründe gegeben haben, die sich nur im Schlafzimmer zeigten. Während sie weitersprach, schweiften Harrimans Gedanken zu diversen Möglichkeiten auf diesem Gebiet ab.
»Ich bin ausgenutzt worden«, sagte sie jetzt. »Ich hatte ja keine Ahnung, in was ich da hineingeraten war. Er hat sich ein süßes ausländisches Mädchen geangelt und mich zerstört, einfach so.« Sie griff nach einem Rüschenkissen, knautschte es auf höchst alarmierende Art und Weise, dann warf sie es beiseite. »Einfach so!«
»Wie genau war denn Ihre Ehe mit ihm?«
»Darüber haben Sie sicherlich schon alles in den Zeitungen gelesen.«
In der Tat, das hatte er. Tatsächlich hatte er gar nicht wenig selbst darüber geschrieben. Was sie genau wusste. Die Post hatte sich auf ihre Seite geschlagen – alle hassten Anton Ozmian. Der Mann gab sich allerdings auch große Mühe, gehasst zu werden.
»Es ist immer gut, es direkt von der Quelle zu erfahren.«
»Er war jähzornig. O mein Gott, wie aufbrausend er war. Eine Woche nach der Hochzeit – eine Woche! – hat er unser Wohnzimmer kurz und klein geschlagen, er hat meine Swarovski-Kris-Bear-Kollektion zermalmt, knirsch, knirsch, knirsch, einfach so. Es hat mir das Herz gebrochen. Das waren furchtbare Missbrauchspraktiken.«