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D’Agosta stellte Special Agent Pendergast seinen Detectives und Caruso vor. Keiner von ihnen gab sich besonders große Mühe, sein Missfallen über das Eintreffen des FBI zu verbergen. Pendergasts äußere Erscheinung war da auch nicht gerade hilfreich. Er sah aus, als wäre er gerade eben von einer Expedition in die Antarktis zurückgekehrt.

»Okay, Sie können«, sagte Caruso zu Pendergast, ohne ihn anzusehen.

D’Agosta betrat hinter Pendergast die Autowerkstatt, der sofort hinüber zur Leiche schlenderte. Das Laub war weggefegt worden, die Leiche lag auf dem Rücken. Zwischen den Schlüsselbeinen war eine sehr hervorstechende Austrittswunde zu erkennen, die zweifellos von einem Dum-dum-Hochgeschwindigkeitsgeschoss verursacht worden war. Das Herz war zerfetzt, der Tod musste auf der Stelle eingetreten sein. Selbst nach den vielen Jahren, in denen er in Mordfällen ermittelt hatte, war D’Agosta nicht so dickhäutig, dass er das tröstlich fand – im Tod eines so jungen Menschen konnte er keinen irgendwie gearteten Trost finden.

Er trat einen Schritt zurück, damit Pendergast sein Ding machen konnte, sah jedoch zu seinem Erstaunen, dass der Agent gar nicht seine übliche Nummer abzog, mit den Teströhrchen und der Pinzette und der Lupe, die quasi aus dem Nichts auftauchten, und dem endlosen Herumfummeln. Stattdessen ging er lediglich, fast ein wenig lustlos, um die Leiche herum und betrachtete sie aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei er seinen langen, blassen Kopf ein wenig schräg hielt. Zweimal um die Leiche, dann dreimal. Bei der vierten Runde machte er sich nicht mal mehr die Mühe, zu verbergen, wie gelangweilt er war.

Er ging zurück zu D’Agosta.

»Na, irgendwas Auffälliges gefunden?«, fragte D’Agosta.

»Vincent, das hier ist wirklich eine Strafe. Bis auf die Enthauptung selbst sehe ich nichts, was diesen Mord auch nur im Geringsten interessant machen würde.«

Sie standen nebeneinander und betrachteten den Leichnam. Und dann hörte D’Agosta plötzlich, wie Pendergast leise Luft holte. Abrupt ging er in die Hocke, holte seine Lupe hervor und inspizierte damit den Betonboden in ungefähr einem halben Meter Entfernung von der Leiche.

»Was ist denn?«

Pendergast gab ihm keine Antwort, sondern nahm den schmutzigen Betonboden derart gründlich in Augenschein, als handelte es sich um das Lächeln der Mona Lisa. Jetzt ging er zur Leiche und holte eine Pinzette hervor. Er beugte sich über den durchtrennten Hals, bis sein Gesicht keine drei Zentimeter von der Wunde entfernt war, hielt die Pinzette unter die Lupe, bohrte sie in den Hals – D’Agosta musste sich leicht abwenden – und zupfte etwas daraus hervor, das wie ein Gummiband aussah, bei dem es sich aber offenbar um ein großes Blutgefäß handelte. Pendergast schnitt ein kurzes Stück davon ab und ließ es in ein Teströhrchen fallen, bohrte abermals ein wenig in dem Hals herum, zog ein weiteres Blutgefäß heraus und verstaute auch dieses. Und dann untersuchte er wieder minutenlang die riesige Wunde, wobei die Pinzette und die Teströhrchen fast ununterbrochen zum Einsatz kamen.

Schließlich richtete er sich auf. Seine gelangweilte Miene hatte sich ein wenig aufgehellt.

»Was ist denn?«

»Vincent, wie es scheint, haben wir es hier mit einem echten Problem zu tun.«

»Und wieso?«

»Der Kopf wurde genau hier vom Körper abgetrennt.« Er deutete nach unten. »Sehen Sie die winzige Kerbe dort im Boden?«

»Der Boden ist mit Kerben übersät.«

»Ja, aber in dieser habe ich ein kleines Stückchen Körpergewebe gefunden. Unser Mörder hat sich große Mühe gegeben, den Kopf abzutrennen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, aber das ist schwierig, und an irgendeinem Punkt ist er abgerutscht und hat diese winzige Kerbe verursacht.«

»Und wo ist dann das Blut? Ich meine, wenn der Kopf hier abgetrennt worden ist, müsste man doch wenigstens ein bisschen Blut finden.«

»Ah! Wir haben hier kein Blut gefunden, weil der Kopf erst viele, viele Stunden, vielleicht auch Tage, nachdem das Opfer erschossen worden war, abgeschnitten wurde. Die Frau war bereits an einem anderen Ort ausgeblutet. Sehen Sie sich mal die Wunde an!«

»Danach? Wie lange danach?«

»Nach der Retraktion dieser Blutgefäße im Hals zu urteilen, würde ich sagen, mindestens vierundzwanzig Stunden.«

»Sie meinen, der Mörder ist zurückgekommen und hat den Kopf vierundzwanzig Stunden danach abgeschnitten?«

»Möglicherweise. Oder wir haben es hier mit zwei Personen zu tun, die möglicherweise miteinander in Verbindung stehen oder auch nicht.«

»Zwei Täter? Was meinen Sie damit?«

»Die erste Person, die die Frau getötet und hier abgeladen hat, und die zweite … die die Frau gefunden und ihren Kopf mitgenommen hat.«

3

Lieutenant D’Agosta blieb nahe der Eingangstür der Villa am Riverside Drive 891 stehen. Anders als die Häuser ringsum, die mit bunter Weihnachtsbeleuchtung geschmückt waren, wirkte Pendergasts Domizil, auch wenn es sich angesichts des Alters in gutem baulichem Zustand befand, dunkel und scheinbar unbewohnt. Die fahle Wintersonne schien durch die dünne Wolkendecke und tauchte den Hudson, der hinter dem Schutzschirm der Bäume am West Side Highway lag, in fahles Morgenlicht. Es war ein kalter, deprimierender Wintertag.

D’Agosta holte tief Luft, trat unter das Schutzdach des Hauseingangs, ging die Stufen hinauf und klopfte an. Die Tür wurde erstaunlich schnell geöffnet, und zwar von Proctor, Pendergasts geheimnisumwittertem Chauffeur und Faktotum. D’Agosta erschrak ein bisschen, denn Proctor war seit ihrer letzten Begegnung stark abgemagert; normalerweise besaß er eine starke, ja sogar einschüchternde Ausstrahlung. Seine Miene war allerdings so ausdruckslos wie immer, und die Kleidung – Lacoste-Hemd und dunkle Slipper – auf untypische Weise lässig für einen Mann, der vermeintlich im Dienst war.

»Hallo, äh, Mr. Proctor –« D’Agosta wusste nie, wie er den Mann anreden sollte. »Ist Mr. Pendergast zu sprechen?«

»Er ist in der Bibliothek, folgen Sie mir.«

Doch er war nicht in der Bibliothek. Denn plötzlich erschien er im Refektorium, im üblichen makellosen schwarzen Anzug. »Vincent, herzlich willkommen.« Er streckte die Hand aus, D’Agosta schüttelte sie. »Legen Sie Ihren Mantel doch dort über den Stuhl.« Proctor ging zwar an die Haustür, um Gästen zu öffnen, bot einem aber niemals an, den Mantel abzunehmen. D’Agosta hatte schon immer das Gefühl, dass Proctor sehr viel mehr war als lediglich der Hausdiener und Chauffeur, doch worin genau seine Aufgaben bestanden und in welcher Beziehung er eigentlich zu Pendergast stand, dahinter war er noch nicht gekommen.

Er zog seinen Mantel aus und wollte ihn sich gerade über den Arm legen, als Proctor ihm diesen zu seiner nicht geringen Verwunderung abnahm. Während sie durch den Speisesaal in die Empfangshalle gingen, fiel D’Agostas Blick unwillkürlich auf das leere Marmorpodest, auf dem früher einmal eine Vase gestanden hatte.

»Ja, ich schulde Ihnen eine Erklärung.« Pendergast deutete auf das Podest. »Es tut mir sehr leid, dass Constance Ihnen mit der Ming-Vase einen Schlag auf den Kopf versetzt hat.«

»Mir auch.«

»Ich entschuldige mich, Ihnen nicht schon früher den Grund dafür genannt zu haben. Sie hat es getan, um Ihnen das Leben zu retten.«

»Okay. In Ordnung.« Aber die Geschichte ergab trotzdem keinen Sinn. Wie so vieles, das mit diesen verrückten Ereignissen in Zusammenhang stand. Er sah sich um. »Wo ist sie eigentlich?«

Pendergast machte ein ernstes Gesicht. »Fort.« Durch seinen eisigen Tonfall verbat er sich alle weiteren Fragen.

Eine peinliche Stille entstand, dann aber schien er milder gestimmt, und er streckte den Arm aus. »Kommen Sie mit in die Bibliothek und erzählen Sie mir, was Sie herausgefunden haben.«