Ich fragte mich, während ich ausschritt, warum ich bei diesem Maxwell Peter Bell vorsprechen sollte. Nur eine Gefälligkeit, hatte der Kapitän zu mir gesagt, aber das glaubte ich nicht recht. Die ganze Reise hatte verdammt wenig mit Gefälligkeit gemein gehabt, sondern vielmehr mit harter Barzahlung, dem Rest von Elmers Lebensersparnissen. Es schien so, dachte ich, als sei der Friedhof eine Art von Regierung, die von jedem Besucher diplomatische Aufwartung verlangen konnte. Aber das war er nicht im geringsten. Er war ein bloßes Geschäft, seiner Natur nach kalt berechnend und zynisch. Schon lange seit Beginn meiner Studien über Die Alte Erde war meine Meinung von der Mother Earth Inc. die denkbar schlechteste.
2
Maxwell Peter Bell, Manager der Mother Earth Inc., Abteilung Nordamerika, war ein dicklicher Mann, dem daran lag, daß man ihn mochte. Er saß in seinem abgewetzten, schweren, dick gepolsterten Sessel hinter einem wuchtigen, glänzenden Tisch in seinem Büro, das sich innerhalb eines Aufbaus auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes befand. Er rieb sich die Hände und lächelte mich beinahe zärtlich an, und es hätte mich nicht gewundert, wäre das runde, weiche Braun seiner Augen geschmolzen und wie Schokoladenguß über die Wangen gelaufen.
»Hatten Sie eine angenehme Reise?« fragte er. »Hat Kapitän Anderson für Ihre Bequemlichkeit gesorgt?«
Ich nickte. »So gut wie möglich. Natürlich bin ich dankbar. Ich hatte kein Geld für den Flug auf einem Schiff der Pilgrim Tours.«
»Schweigen Sie von Dankbarkeit«, meinte er sanftmütig. »Wir sind es, die Grund zur Freude besitzen. Nur wenige Leute der Künste entwickeln Interesse an dieser unserer Mutter Erde.«
In seiner netten, glatten Art trug er eine Spur zu dick auf, denn im Lauf der Jahre hatten viele Leute der Künste, wie er sie nannte, der Erde ihre Aufmerksamkeit geschenkt, und zwar ausnahmslos unter der äußerst zuvorkommenden und mütterlichen Anleitung der Mother Earth Inc. selbst. Auch ohne das Wissen um diese Gönnerschaft vermochte man sie zu erraten. Das meiste ihrer Werke klang, las sich oder sah so aus wie hochdotierte Reklamemachwerke zur Werbung für den Friedhof.
»Eine freundliche Gegend hier«, sagte ich, eher gesprächsweise beiläufig als aus besonderem Grund.
Er wußte nicht, daß ich es hören wollte, aber das wollte ich. Er rückte sich bequemer im Sessel zurecht, wie eine Henne, die über ihre Eier das Gefieder plustert, bevor sie sich zum Brüten niederläßt.
»Gewiß haben Sie die Kiefern gehört«, sagte er. »Sie singen ein Lied. Sogar hier oben, wenn man ein Fenster öffnet, vernimmt man ihren Gesang. Auch nach dreißig Jahren kann ich ihnen noch stundenlang lauschen. Es ist das Lied eines ewigen Friedens, den man so vollständig nirgendwo zu finden vermag wie hier auf der Erde. Manchmal habe ich den Eindruck, daß es nicht bloß ein Lied der Kiefern und des Windes ist, auch nicht allein eins der Erde, sondern das Lied einer über die Galaxis verstreuten Menschheit, die am Ende gemeinsam hier in der Heimat ihre Ruhe findet.«
»Soviel habe ich nicht gehört«, antwortete ich. Mir war das Ächzen und Knarren der Bäume eher wie das Stöhnen unerlöster Seelen erschienen. »Vielleicht fällt es mir mit der Zeit noch auf, wenn ich länger gelauscht habe. Deshalb bin ich ja hier.«
Genauso gut hätte ich schweigen können. Er hörte mir gar nicht zu. Er hatte sein Sprüchlein aufzusagen, so eine großmächtige Leier, und er beabsichtigte das zu tun und sonst nichts.
»Seit mehr als dreißig Jahren«, sprach er weiter, »verneige ich mich in jedem bewußten Moment vor den großen Idealen der Letzten Heimkehr. Meine Aufgabe zählt nicht zu denen, die man leichten Herzens übernimmt. Viele Männer haben es vor mir getan, viele andere Manager haben schon vor mir auf diesem Platz gesessen, sehr viele, und jeder einzelne war ein ehrbarer und feinfühliger Mensch. Ich bin angetreten, um ihr Werk fortzusetzen, aber nicht nur das. Ebenso muß ich die großen Traditionen wahren, die die Mother Earth während ihrer gesamten Geschichte stets gepflegt hat.«
Er sank im Sessel zurück, und seine braunen Augen blickten womöglich noch sanfter drein und ein wenig wäßrig.
»Bisweilen ist das keine leichte Aufgabe«, versicherte er. »Es gibt vielerlei Umstände, mit denen man sich auseinandersetzen muß. Da sind diese Andeutungen und Flüsterreden und unterschwelligen Vorwürfe, die man verbreitet, aber nie öffentlich ausspricht, so daß man sie widerlegen könnte. Ich nehme an, Sie haben dergleichen auch schon gehört.«
»Etwas davon«, sagte ich vorsichtig.
»Und sie geglaubt?« »Etwas davon«, wiederholte ich.
»Wir wollen nicht um die Dinge herumreden«, sagte er mit einem Anflug von Schroffheit. »Betrachten wir die Angelegenheit einmal. Man kann unschwer feststellen, daß die Mother Earth Inc. eine Friedhofsgesellschaft ist und die Erde ein Friedhof. Aber sie ist weder ein raffgieriges Schwindelunternehmen noch ein Betrug mit der Frömmigkeit oder eine ausschließlich dem Profit nachjagende Maklerfirma, die aus wertlosem Grund und Boden Riesensummen herausschlüge. Selbstverständlich operieren wir im Rahmen allgemein zulässiger Geschäftsmethoden. Anders ginge es nicht. Nur auf diese Weise können wir der menschlichen Galaxis unsere Dienste bieten. Sie erfordern eine Organisation, die ausgedehnter ist als man sie sich zunächst vorzustellen vermag. Und weil sie so ausgedehnt ist, ist sie zwangsläufig locker. Es gibt keine ständige, straffe Kontrolle des Gesamtunternehmens. Daher besteht immer die Möglichkeit, daß wir hier in der Verwaltung von vielen Handlungen gar nicht erfahren, die wir niemals billigen würden. Wir beschäftigen eine umfangreiche Truppe von Public RelationsSpezialisten, um unser Unternehmen zu fördern. Notwendigerweise müssen wir bis hin zu den entferntesten Winkeln der von der Menschheit besiedelten Gebiete für uns Werbung betreiben. Wir geben gerne zu, daß wir auf jedem von Menschen bewohnten Planeten eine Vertretung unterhalten. Doch all das kann durchaus als normale Geschäftspraxis gelten. Und berücksichtigen Sie - indem wir unser Unternehmen so nachdrücklich führen, erweisen wir der Menschheit einen großen Nutzen, und zwar in wenigstens zweierlei Beziehung.«
»Zweierlei«, sagte ich erstaunt - mehr erstaunt über diesen Mann als über seinen Redestrom. »Ich dachte ...«
»Die persönliche Seite«, unterbrach er mich, »daran haben Sie gedacht. Und natürlich ist sie die grundlegende Erwägung. Glauben Sie mir, es liegt eine ganze Welt von Trost in dem Bewußtsein, daß geliebte Menschen, sobald sie gestorben sind, in den heiligen Schoß von Mutter Erde heimkehren. Es liegt eine tiefe Befriedigung im Bewußtsein, daß man selber, wenn die Zeit schließlich gekommen ist, ebenfalls zwischen den Hügeln dieses liebreizenden Planeten zur Ruhe gebettet wird, auf dem die Menschheit ihren Anfang genommen hat. Es ist eine Rückkehr in die Heimat, den Ursprung.«
Unruhig wand ich mich in meinem Sessel. Ich schämte mich für ihn. Er bereitete mir Unbehagen, und ich empfand Widerwillen gegen ihn. Er muß, überlegte ich, mich für einen kompletten Dummkopf halten, wenn er glaubt, daß dieses blumige Geschwätz voller süßlicher Wendungen irgend welche meiner eventuellen Zweifel an der Mother Earth Inc. ausräumen und mich zum Friedhofsbüttel machen könnte.
»Darüber hinaus«, sagte er, »erweisen wir einen zweiten, vielleicht noch wertvolleren Dienst. Wir von der Mother Earth, so glaube ich ernsthaft, dienen als eine Art Bindemittel, das den Rassegedanken aufrecht erhält. Ohne das Wirken der Mother Earth wäre der Mensch ein heimatloser Wanderer geworden. Er hätte längst seine rassische Verwurzlung verloren. Nichts hätte ihn an dies relativ winzige Klümpchen Materie gebunden, das einen ziemlich unbedeutenden Stern umkreist. Gleichgültig, wie dünn das Band sein mag, es scheint von wesentlicher Bedeutung zu sein, daß überhaupt eins existiert, das alle Menschen verbindet, ein Umstand, der allen Menschen eine gewisse Gemeinsamkeit vermittelt. Was könnte dazu besser dienen als ein Gefühl persönlicher Verbundenheit mit dem Ursprungsplaneten ihrer Rasse!«