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»Nur eins noch«, sagte ich.

»Und was?«

»Woher weißt du, daß wir uns nach rechts wenden müssen, stromabwärts?«

»Weil ich auf Kundschaft war, während du mit diesem bärtigen Gevatter auf einem Balken gedöst hast und Cynthia Kartoffeln schälte und andere hausfrauliche Tätigkeiten verrichtete. Durch jahrelange Erfahrungen habe ich gelernt, daß es immer von Nutzen ist, sich in der Gegend auszukennen.«

»Aber wohin gehen wir?« fragte Cynthia.

»Fort vom Friedhof«, antwortete er. »So weit wie möglich.«

10

Bronco hatte gesagt, er könne es schaffen, aber wir kamen nur sehr langsam vorwärts. Der Hang war steil und unwegsam, und bis in die Tiefe des Tals war es ein weiter Weg. Dreimal kam Bronco zu Fall, ehe wir die Talsohle erreichten; jedesmal gelang es mir, ihn wieder auf die Beine zu stellen, aber es kostete viel Kraft und Zeit.

Eine Zeitlang waberte und flackerte hinter uns ein Feuerschein am Himmel; es mußte die Scheune sein, denn der Heuhaufen wäre viel schneller abgebrannt. Zum Zeitpunkt jedoch, als wir ins Tal kamen, war der Feuerschein verschwunden. Entweder war die Scheune niedergebrannt oder das Feuer gelöscht worden.

Im Tal kamen wir leichter voran. Das Gelände war einigermaßen begehbar, obwohl es stellenweise schwierige Strecken gab. Der Wald stand dürftiger, und der Mond spendete mehr Licht als auf dem dichtbewachsenen Hügel. Irgendwo zu unserer Linken floß ein Gewässer. Wir gelangten nicht ans Ufer, aber gelegentlich ließ sich das Gluckern des Wassers an einer kiesigen Sandbank vernehmen.

Wir wanderten durch eine unheimliche Welt silbernen Zaubers, und von den Hängen erscholl in regelmäßigen Abständen ein entferntes Schnarren, manchmal ertönten auch andere Laute. Einmal schwebte ein großer Vogel über uns hinweg, ohne daß von seinen Schwingen das leiseste Flüstern kam, schwenkte ab und glitt über eine Baumgruppe außer Sicht.

»Ich hätte lieber ein Bein auf jeder Seite beschädigt«, sagte Bronco, »statt zwei auf einer Seite, das wäre nicht schwierig, aber das hier, vier Beine auf der einen und zwei auf der anderen Seite, das verwirrt mich, ich fühle mich seitenlastig.«

»Du hältst prächtig durch«, sagte Cynthia. »Tut's weh?«

»Ich fühle keinen Schmerz«, sagte Bronco. »Ich kann keinen Schmerz fühlen.«

»Ihr glaubt, der Friedhof habe das getan«, sagte Cynthia zu mir, »du und Elmer, und ich neige auch zu dieser Annahme. Aber sie können uns doch unmöglich als Bedrohung empfinden ...«

»Jeder, der vorm Friedhof nicht auf die Knie fällt«, erwiderte ich, »ist automatisch eine Bedrohung. Er besteht schon so lange, man hat die Erde bereits so lange im Griff, daß man nicht die geringste Störung zu ertragen vermag.«

»Aber wir stören doch nicht.«

»Wir könnten es. Falls wir nach Alden zurückkehren, wenn wir die Erde mit dem verlassen, das wir haben wollen, könnten wir ihnen in die Quere kommen. Wir könnten ein Bild der Erde präsentieren, das nicht nur aus Friedhof besteht. Und es schlägt womöglich ein, findet vielleicht ein Publikum und künstlerische Anerkennung. Die Menschen könnten erfreut darüber sein, daß die Erde nicht ausschließlich Friedhof ist.«

»Selbst das würde ihnen in keiner Hinsicht schaden«, sagte sie. »Ihr Geschäft würde dadurch nicht beeinträchtigt. Es würde sich überhaupt nichts ändern.«

»Ihr Stolz wäre verletzt«, antwortete ich.

»Aber Stolz ist eine so geringfügige Sache - eine rein persönliche Angelegenheit. Wessen Stolz? Den Stolz Maxwell Peter Bells, den Stolz anderer kleiner Autokraten wie Bell. Nicht den Stolz des Friedhofs. Der Friedhof ist eine Korporation, eine bedeutende Korporation. Dort denkt man in Einnahmen, Jahresumsätzen, Profiten und Kosten. Für so etwas wie Stolz ist kein Platz in ihren Hauptbüchern. Es muß sich um etwas anderes handeln, Fletch. Es kann nicht bloß Stolz sein.«

Vielleicht hatte sie recht, überlegte ich. Es konnte etwas wichtigeres als Stolz sein, aber was?

»Sie sind ans Herrschen gewöhnt«, sagte ich. »Sie können kaufen, wen und was sie wollen. Sie haben jemanden gemietet, damit er eine Bombe nach Bronco wirft. Sogar ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, daß andere dabei verletzt werden. Sie können sich Rücksichtslosigkeit erlauben, verstehst du? Ihnen ist alles gleichgültig, denn sie bekommen alles. Und sie erhalten es billig. Weil sie so sind, wie sie eben sind, kann niemand Forderungen stellen. Wir kennen den Preis des Bombenwerfers, und er war niedrig. Eine Kiste voll Whiskey. Möglicherweise müssen sie, um die Oberhand zu behalten, gelegentlich mit allem Nachdruck demonstrieren, wie es jenen Leuten ergeht, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen.«

»Du sprichst immer in der Mehrzahl«, sagte Cynthia. »Aber da ist niemand anders, wir haben es nicht mit dem ganzen Friedhof zu tun, sondern mit nur einem Mann.«

»Das ist wahr«, sagte ich, »und aus genau diesem Grund könnte Stolz eine Rolle spielen. Weniger der Stolz des Friedhofs als der Stolz Maxwell Bells.«

Das Tal lag vor uns ausgebreitet, ein weites Grasland, durchsetzt mit kleinen Baumgruppen und umsäumt von dunklen, waldreichen Hügeln. Zu unserer Linken floß der Strom, aber es war bereits eine Weile her, daß wir einen Laut von dort vernommen hatten. Der Untergrund war eben, und Bronco vermochte ohne Schwierigkeiten auszuschreiten, aber sein unbeholfener Humpelgang war schmerzlich anzuschauen. Dennoch konnte er leicht mit unserer menschlichen Marschgeschwindigkeit mithalten.

Von Elmer keine Spur. Ich hob mein Handgelenk dicht vor die Augen; auf meiner Uhr war es fast zwei Uhr morgens. Ich besaß keine Vorstellung davon, wann unsere Flucht begonnen hatte, aber nach eingehender Überlegung kam ich zu der Überzeugung, daß es nicht wesentlich später als zweiundzwanzig Uhr gewesen sein konnte, und das hieß, daß wir seit ungefähr vier Stunden unterwegs waren. Ich fragte mich, ob Elmer etwas zugestoßen sein konnte. Es hatte ihn doch kaum viel Zeit gekostet, in den Werkzeugschuppen einzubrechen und sich anzueignen, was er brauchte. Er hatte die restlichen Bündel mitbringen wollen, die wir zurückgelassen hatten, und alles zusammen ergab sicherlich eine schwere Last, aber ihn sollte ein solches Gewicht wenig behelligen, so daß er eigentlich ziemlich schnell hätte nachkommen müssen.

Falls er bis Tagesanbruch nicht auftauchte, beschloß ich, würden wir uns einen Unterschlupf suchen, um auf ihn zu warten und nach ihm Ausschau zu halten. Weder Cynthia noch ich hatten seit der Ankunft auf der Erde geschlafen, und ich begann es zu spüren; wahrscheinlich ging es ihr ebenso. Bronco brauchte keinen Schlaf. Er konnte nach Elmer ausspähen, während wir uns ein wenig Schlaf gönnten.

»Fletcher«, sagte Cynthia. Sie war unmittelbar vor mir stehengeblieben, und ich prallte gegen sie. Bronco stoppte ebenfalls und geriet dabei ins Schleudern.

»Rauch«, sagte sie. »Ich rieche Rauch. Von einem Holzfeuer.«

Ich roch keinen Rauch.

»Du bildest es dir nur ein«, sagte ich. »Hier ist weit und breit niemand.«

Das Tal schien nichts Menschliches zu enthalten. Es vermittelte die Eindrücke von Mondlicht, Gras und Bäumen und Hügeln, von Licht und Schatten, Nachtluft und fliegenden Lebewesen. Zwischen den Hügeln erklangen gelegentlich das Schnarren und andere nächtliche Geräusche, aber hier waren keine Menschen, ich spürte oder ahnte keine Nähe von Menschen.

Dann roch auch ich den Rauch, schwach, kaum wahrnehmbar, nicht mehr als ein flüchtiger scharfer Duft, im einen Moment vorhanden, im nächsten dahin.

»Du hast recht«, sagte ich. »Irgendwo brennt ein Feuer.«

»Feuer bedeutet Menschen«, bemerkte Bronco.

»Von Menschen habe ich vorerst die Nase voll«, sagte Cynthia. »Für einen oder zwei Tage will ich keinen sehen.«