Ich legte mein Bündel nieder und setzte mich neben Cynthia. Ich brach mir ein Stück Dörrfleisch ab und steckte es in den Mund. Es fühlte sich an wie Pappe, war jedoch härter und schmeckte wahrscheinlich nicht ganz so gut.
Ich saß und kaute sehr vorsichtig, während ich in die Richtung starrte, aus der wir gekommen waren; dabei dachte ich darüber nach, welche Enttäuschung die Erde doch war, verglichen mit unserem vornehmen Alden. Ich glaube nicht, daß ich in diesem Moment wirklich bereute, Alden verlassen zu haben, aber viel trennte mich nicht von dieser Reue. Ich erinnerte mich, über die Erde gelesen, von ihr geträumt und mich nach ihr gesehnt zu haben, und nun war ich auf der Erde. Ich gestand mir ein, daß ich kein Naturmensch war, obwohl ich so gut wie jeder andere den Anblick einer schönen Waldlandschaft bewunderte; aber ich verfügte weder über die körperlichen noch die geistigen Voraussetzungen, um mich auf einer so primitiven Welt, als welche die Erde sich erwiesen hatte, behaupten zu können. Solche Planeten vermochten mich nicht unbedingt zu begeistern. Die ganze Angelegenheit gefiel mir immer weniger, aber unter den gegebenen Umständen konnte ich nicht viel daran ändern.
Cynthia hatte ebenfalls andächtig gekaut; nun hielt sie inne, um eine Frage zu stellen. »Nähern wir uns dem Ohio?«
»O ja, gewiß«, entgegnete der Volkszähler. »Allerdings ist die Entfernung noch ziemlich groß.«
»Und der unsterbliche Einsiedler?«
»Ich weiß so gut wie gar nichts über ihn«, sagte der Volkszähler. »Ich kenne lediglich ein paar Geschichten. Aber deren gibt es viele.«
»Monstergeschichten?« fragte ich.
»Ich verstehe dich nicht.«
»Du hast von Monstern gesprochen, die es einst hier gab, und von Wölfen, die man auf sie hetzte. Ich denke schon seit einer Weile darüber nach
... «
»Das ist schon lange her.«
»Aber es gab sie einmal.«
»Ja, einst.«
»Genetische Monster?«
»Dieses Wort, das du da benutzt...«
»Hör einmal«, sagte ich. »Vor zehntausend Jahren war dieser Planet eine radioaktive Hölle. Viele Arten von Leben starben aus. Anderes Leben erlitt genetische Schäden.«
»Davon weiß ich nichts«, erwiderte er.
Das glaube, wer will, dachte ich. Plötzlich durchzuckte mich die Vermutung, daß er nichts davon zu wissen vorgab, weil er selbst ein solches genetisches Ungeheuer war und es genau wußte. Ich fragte mich, warum ich so einfältig gewesen war, nicht eher daran zu denken.
Ich drängte weiter. »Was gingen den Friedhof die Monster an? Warum war es erforderlich, die Wölfe herzustellen, um sie zur Strecke zu bringen? Ich vermute, das war der Zweck der Wölfe.«
»Ja«, gab er nun zu. »Tausende davon waren im Einsatz. Große Rudel. Sie waren darauf programmiert, Monster zu jagen und zu töten.«
»Keine Menschen?« meinte ich. »Nur Monster?«
»Richtig. Nur die Monster.«
»Ich vermag mir vorzustellen, daß ihnen häufig Fehler unterlaufen sind und sie Menschen so gut wie Monster gejagt haben. Es dürfte schwierig sein, Roboter zu programmieren, die zu einer exakten Unterscheidung fähig sind.«
»Derartige Fehler sind vorgekommen«, bestätigte der Volkszähler.
»Und ich nehme an«, sagte Cynthia bitter, »dem Friedhof war es gleichgültig. Wenn so etwas geschah, hat es sie nicht gestört.«
»Ich habe damit nichts zu tun«, wich der Volkszähler aus.
»Ich begreife nicht«, sagte Cynthia, »warum sie das überhaupt getan haben. Welche Rolle konnten denn ein paar Monster spielen?« »Es waren durchaus nicht wenige.«
»Dann eben viele.«
»Ich glaube«, sagte der Volkszähler, »der Grund dürfte das Geschäft mit den Pilgern gewesen sein. Nachdem der Friedhof die Anfangsschwierigkeiten überwunden hatte, entwickelte das Pilgergeschäft sich zu einer bedeutenden Profitquelle. Und Horden von heulenden Monstern, die das Land unsicher machten, waren ein Störfaktor, wenn hier Pilger weilten. Die Tatsache ihrer Existenz hätte sich herumgesprochen, und es wären weniger Pilger gekommen.« »Ach«, meinte Cynthia. »Also ein Massenmordprogramm. Ich vermute, man hat die Monster fast völlig ausgerottet.«
»Ja«, sagte der Volkszähler. »Man hat die Angelegenheit gänzlich bereinigt.«
»Und jetzt lassen sich nur noch wenige blicken«, bemerkte ich. »Und das selten.«
Seine Kreuzstichaugen richteten ihren Blick auf mich; sie schienen sich zu kräuseln. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten. Ich weiß nicht, was los mit mir war. Wir waren auf die Hilfe dieses seltsamen Geschöpfs angewiesen, und ich wußte nichts Besseres zu tun als es zu hänseln.
Ich schwieg und kaute mein Dörrfleisch. Inzwischen war es etwas weicher geworden und besaß einen salzig-rauchigen Geschmack, so daß ich nun das Gefühl hatte, etwas Ähnliches wie Nahrung einzunehmen.
Wir saßen herum und kauten, Cynthia und ich, während der Volkszähler tatenlos an seinem Platz hockte.
Ich wandte mich an Cynthia.
»Wie geht es dir?« fragte ich.
»Es ...es geht mir recht gut«, antwortete sie leicht schnippisch.
»Es tut mir leid, daß alles so kommen mußte«, sagte ich. »Ich hatte es mir auch anders vorgestellt.«
»Natürlich hast du das!« fauchte sie. »Du dachtest, es würde ein netter kleiner Ausflug auf einen romantischen Planeten, romantisch deshalb, weil du viel über ihn gelesen und ihn dir oft romantisch ausgemalt hast, und nun ... «
»Ich bin zur Erde gekommen, um eine Komposition zu machen«, erwiderte ich gereizt, »und nicht, um mich mit Bombenwerfern, Grabräubern und einem Rudel von Robotwölfen herumzuschlagen.«
»Und mir gibst du die Schuld. Ohne mich, wenn ich nicht darauf bestanden hätte, dich zu begleiten ...«
»Nein, zum Teufel!« rief ich. »So etwas ist mir nie in den Sinn gekommen.«
»Und wäre es dir in den Sinn gekommen, hättest du recht gehabt, denn du hast es nur dem guten alten Thorney zuliebe gestattet ...«
»Hör auf damit!« fuhr ich sie wütend an. »Was ist in dich gefahren? Was soll das alles?«
Bevor sie antworten konnte, erhob sich der Volkszähler; er wollte weiter.
»Es ist an der Zeit, daß wir wieder aufbrechen«, sagte er. »Ihr habt gerastet und euch gestärkt. Wir müssen fort.«
Der Wind wehte nun schneidend und noch kälter als zuvor. Er traf uns wie ein Keulenschlag, als wir den Schutz der Findlinge verließen und uns dem nächsten Hügelkamm zuwandten, und peitschte uns erste Regentropfen ins Gesicht.
Wir strebten vorwärts, kämpften uns durch den Regen, stemmten uns gegen den Wind. Es schien, als presse sich eine Riesenhand gegen uns und versuchte uns aufzuhalten.
Den Volkszähler hinderte das anscheinend nicht im geringsten; mühelos eilte er voran. Merkwürdig daran war, daß der Wind, wie es schien, seine Robe nicht zu packen vermochte; sie flatterte nicht, bewegte sich nicht einmal, sondern hing unverändert glatt bis auf den Boden herab.
Ich hätte Cynthia gerne darauf aufmerksam gemacht, aber sobald ich den Mund öffnete, fegte der starke Wind mir die Wörter von den Lippen.
Von unten ertönte das Rauschen und Knarren der Bäume, die im Sturm schwankten. Vögel, die ihm zu trotzen versuchten, wirbelte er hilflos über den Himmel. Die Wolkendecke schien mit jeder Minute dichter zu werden, obwohl die Wolken, soweit ich es zu erkennen vermochte, reglos schwebten. Der Regen fiel in plötzlichen Schauern, die kurz aufeinander folgten; schwer und eiskalt schlug er in unsere Gesichter. Schon bald war ich wie betäubt. Mühselig schleppten wir uns vorwärts. Den Blick hielt ich stumpfsinnig auf Cynthias Rücken geheftet, die vor mir ging. Einmal stolperte sie, und ich half ihr wortlos auf die Beine. Auch sie sagte nichts, und wir setzten den Marsch fort.
Bald regnete es ohne Unterlaß. Der Wind trieb den Regen in grauen Fahnen heran. Gelegentlich verwandelte er sich in Hagel, der durchs Geäst der Bäume prasselte. Dann fiel wieder Regen, der - so kam es mir vor - kälter war als das Eis.