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Wir marschierten eine Ewigkeit lang, wie es mir schien, dann verließen wir die Höhe und schlitterten einen Hang hinunter. Wir erreichten einen Bach, sprangen an einer schmalen Stelle hinüber und erklommen den Hang, der gegenüber lag. Plötzlich bemerkte ich, daß ich über ebenen Boden schritt. »Das ist weit genug«, hörte ich den Volkszähler sagen.

Kaum hatte ich das vernommen, fühlte ich meine Beine unter mir nachgeben und sackte auf harten Fels nieder. Einen Moment lang war es mir völlig gleichgültig, wo wir uns befanden. Nur allmählich kehrte mein Interesse an der Umwelt zurück. Ich erkannte, daß wir auf einer breiten, flachen Felsplatte gehalten hatten; sie entragte einem Felsklotz, der eine natürliche Einwärtswölbung besaß, deren Decke, etwa zehn Meter über uns gelegen, bis tief ins Innere des Gesteins reichte, so daß die ganze Felsformation eine tief eingegrabene Nische aufwies. Die Felsplatte, worauf wir standen, bildete ihren Fußboden. Nur wenige Meter unterhalb der Felsplatte floß der Bach ins Tal, durch kleine Gumpen und Schnellen, staute sich an Engpässen, verbreiterte sich wieder, ein kleiner Gebirgsbach, den es eilte, der an den Schnellen schäumte und in den Gumpen gluckerte, bevor er weiter abwärts sprudelte. Dahinter erhob sich steil der Abhang bis zur Höhe des Hügels empor, über den wir gekommen waren.

»Hier sind wir gefeit gegen Nacht und Wetter«, sagte der Volkszähler. Seine Stimme zwitscherte erfreut. »Wir werden ein Feuer entfachen und aus dem Bach Forellen angeln. Hoffen wir, daß der Wolf bei der Suche nach uns kein Glück hat.«

»Der Wolf?« wiederholte Cynthia. »Es waren drei Wölfe, die unsere Verfolgung aufgenommen haben. Was ist mit den beiden anderen?«

»Ich habe die Nachricht erhalten«, sagte der Volkszähler, »daß nur noch einer übrig ist. Die anderen haben anscheinend bedauerliche Unfälle erlitten.«

15

Vor unserem Felsunterstand wütete der Sturm durch die Nacht. Das Feuer spendete Licht und Wärme; unsere Kleider trockneten. Den Fisch brauchte man, wie es der Volkszähler dargestellt hatte, nur aus dem Bach zu ziehen; tatsächlich hatten wir anstandslos wundervolle Regenbogenforellen geangelt, eine willkommene Abwechslung von unserer Dosennahrung und eine gewaltige Verbesserung gegenüber dem Dörrfleisch.

Wir waren keineswegs die ersten, die diese Felsnische benutzten.

Unser Feuer hatten wir auf einem schwarzen Fleck entzündet, der von den Feuern zeugte, die schon früher hier gebrannt haben mußten (vor wie langer Zeit, das ließ sich allerdings nicht feststellen); die Hitze hatte kleine Steinsplitter aus der Felsplatte gelöst. Es gab mehrere ähnlich geschwärzte Feuerstellen, über die ganze Felsplatte verteilt, halb verdeckt vom hereingewehten Laub.

In einem solchen Haufen Laub, weit hinten in der Felsnische, wo die Decke sich hinab zum Boden neigte, hatte Cynthia ein weiteres Beweisstück für den vormaligen Aufenthalt von Menschen gefunden - eine Stahlrute, über einen Meter lang, drei Zentimeter dick und nur stellenweise angerostet.

Ich saß am Feuer, starrte in die Flammen und versuchte zu begreifen, wie so gründliche Pläne wie die unseren so vollständig umgeworfen werden konnten. Selbstverständlich lautete die Antwort, daß der Friedhof dafür die Verantwortung trug, ausgenommen vielleicht an unserem Zusammenprall mit den Grabräubern; an sie waren wir möglicherweise zufällig geraten.

Ich bemühte mich, darüber Klarheit zu gewinnen, wie unsere Sache stand, und ich hatte sehr den Eindruck, daß sie nicht gut stand. Man hatte uns aus der Ansiedlung vertrieben, wir waren getrennt, und Cynthia und ich waren einem rätselhaften Wesen ausgeliefert, dem man nur mit äußerstem Wohlwollen Vertrauen schenken konnte.

Außerdem war da der Wolf - nur einer, wenn der Volkszähler die Wahrheit gesprochen hatte. Ich hegte darüber, was den beiden anderen zugestoßen sein mußte, nicht den geringsten Zweifel. Sie hatten Elmer und Bronco eingeholt, und das war ein großes Mißgeschick für sie gewesen. Elmer hatte zwei zerlegt, aber der dritte war entkommen und folgte aller Wahrscheinlichkeit nach inzwischen unserer Fährte - falls wir eine hinterlassen hatten. Wir waren über hohe Bergrücken gezogen. Der felsige Untergrund und der scharfe Wind mochten viel dazu beigetragen haben, unsere Fährte zu verwischen. Nun, nach dem Unwetter, gab es womöglich keine Spur mehr, der sich folgen ließ.

»Woran denkst du, Fletch?« fragte Cynthia.

»Ich überlege, wo Elmer und Bronco gegenwärtig sein mögen.«

»Auf dem Rückweg zur Höhle«, meinte sie. »Dort werden sie unsere Nachricht finden.«

»Ja«, sagte ich. »Die Nachricht besagt, daß wir uns nach Nordwesten wenden und uns alle am Ohio treffen, falls sie uns unterdessen nicht einholen. Weißt du überhaupt, wieviel Land nordwestwärts bis zum Ohio liegt oder wie lang der Fluß eigentlich ist?«

»Was hätten wir sonst tun sollen?« fragte sie ziemlich verärgert.

»Am Morgen werden wir auf einem Gipfel ein Feuer machen«, sagte der Volkszähler, »um ihnen ein Zeichen zu geben. Es wird ihnen den Weg weisen.«

»Ihnen und allen anderen, die es sehen«, sagte ich. »Vielleicht auch dem Wolf. Oder sind es doch drei Wölfe?«

»Nur einer«, antwortete der Volkszähler. »Ein vereinzelter Wolf ist niemals tapfer. Wölfe sind nur im Rudel mutig.«

»Ich möchte lieber gar keinem Wolf begegnen«, erwiderte ich. »Auch keinem einzelnen, feigen Wolf.«

»Es gibt nur noch wenige«, tröstete mich der Volkszähler. »Seit Jahren hat man sie nicht mehr zur Jagd ausgeschickt. Diese Zeit der Ruhe könnte ihre Blutrünstigkeit stark vermindert haben.«

»Mich interessiert«, sagte ich, »warum der Friedhof so lange brauchte, bevor man sie auf uns hetzte. Sie hätten sie loslassen können, als wir uns zum Aufbruch anschickten.«

»Zweifellos mußte man sie erst holen«, sagte der Volkszähler. »Ich weiß nicht, wo man sie untergebracht hat, aber ganz gewiß nicht in der Friedhofsverwaltung.«

Der Wind peitschte eine Bö ins Tal, und ein Vorhang aus Regen rauschte in die Felsnische herein, bis dicht vor unser Feuer.

»Wo sind deine Freunde?« fragte ich. »Wo stecken deine Gespenster?«

»In einer solchen Nacht«, antwortete der Volkszähler, »haben sie vielerlei Aufgaben zu verrichten.«

Nach der Art dieser Aufgaben erkundigte ich mich nicht. Ich wollte nichts davon erfahren.

»Wie ihr darüber denkt, weiß ich nicht«, sagte Cynthia, »aber was mich betrifft, ich wickle mich in eine Decke und versuche ein wenig zu schlafen.«

»Das solltet ihr beide tun«, empfahl der Volkszähler. »Der Tag war lang und hart. Ich übernehme die Wache. Ich schlafe so gut wie nie.«

»Du schläfst nie«, sagte ich, »und du ißt nie. Der Wind erfaßt deine Robe nicht. Was bist du überhaupt?«

Er schwieg. Ich wußte, er würde niemals antworten.

Als letztes vor dem Einschlafen sah ich den Volkszähler, wie er in der Nähe des Feuers saß; eine reglose, starre Gestalt, die mich, so seltsam das auch klingen mag, an eine umgestülpte Eistüte erinnerte.

Durchgefroren erwachte ich. Das Feuer war erloschen, und draußen dämmerte ein neuer Morgen herauf. Der Sturm hatte sich gelegt, und der kleine Ausschnitt des Himmels, den ich sehen konnte, war hell und klar.

Und auf der Felsplatte, auf dem Stück, das im Freien lag, saß ein Stahlwolf. Er kauerte auf seinen Hinterkeulen und sah mich unverwandt an. Zwischen seinen Stahlfängen hing der schlaffe Kadaver eines Hasen.

Hastig setzte ich mich auf, streifte die Decke beiseite und streckte die Hand nach einem Scheit Brennholz aus, obwohl ich mir nicht vorzustellen vermochte, daß so ein Prügel viel gegen ein solches Ungetüm nutzte. Doch als ich danach griff, fand ich etwas anderes. Ich achtete nicht darauf, wohin meine Hand tastete, weil ich den Blick nicht vom Wolf zu wenden wagte. Doch als meine Finger es berührten, wußte ich, worum es sich handelte -um die über einen Meter lange Stahlrute, die Cynthia unterm Laub entdeckt hatte. Mit einem Anflug von Erleichterung packte ich sie und stand mit äußerster Behutsamkeit auf. Ich umklammerte die Rute so fest, daß mir die Hand schmerzte.