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»Fletch, laß uns verschwinden!« schrie Cynthia herüber. »Sie schießen auf uns!«

Doch sie schossen nicht länger, wie ich nun sah. Sie flohen um ihr Leben, die kleinen dunklen Gestalten am jenseitigen Hang, den sie hinaufhasteten; sie schlugen Haken, wagten halsbrecherische Sprünge. Zwei oder drei von ihnen erkletterten schleunigst Baumwipfel. Den Hügel hinauf, den Fliehenden hinterdrein, jagte eine stählerne Maschine. Ich sah, wie sie einen Mann mit den scharfen Stahlfängen packte und einen Moment lang schüttelte, bevor sie ihn beiseite schleuderte.

Brutalinski war nicht länger zu sehen. Er war abgehauen.

»Fletch, hier können wir unmöglich bleiben«, sagte Cynthia, und ich mußte ihr beipflichten. Wir mußten uns der Reichweite der Grabräuber entziehen. Solange der Wolf sie hetzte, hatten wir Gelegenheit, das Weite zu suchen.

Sie eilte zur Felsnische hinaus, wandte sich seitwärts und kletterte den Abhang hinunter. Ich folgte ihr. Auf der steilen Geröllhalde verlor ich jäh das Gleichgewicht, fiel und rutschte auf dem Rücken bis fast zum Bach hinab, ehe ich mich festzuhalten vermochte. Als ich mich aufraffte, entglitt das Gewehr meiner Hand, und ich drehte mich um und wollte es aufnehmen, als etwas an meinem Ohr vorübersurrte und an der jenseitigen Böschung eine kleine Fontäne aus Erdreich aufwarf. Ich blickte hinauf zur Kuppe des Hügels. Aus einer Baumkrone, worin eine zerlumpte Gestalt hockte, wehte eine kleine, blaue Rauchwolke.

Ich verzichtete auf das Gewehr.

Cynthia lief in der Deckung der steilen Böschung am Bach entlang, und ich rannte ihr nach. Hinter uns knallten mehrere Schüsse, aber die Kugeln mußten uns weit verfehlt haben, denn ich hörte sie nicht surren und sah sie auch nicht einschlagen. Nur noch wenige Sekunden, so kalkulierte ich, und wir befanden uns außerhalb der Schußweite. Selbstgebaute Flinten, die aus Blei gegossene Kugeln mit selbstgemischtem Pulver verschossen, konnten keine allzu große Reichweite besitzen.

Unser Fluchtweg verlangte uns das Äußerste ab. Die Böschung war auf beiden Seiten sehr steil. Das Gelände war sehr unwegsam. Felsbrocken, die im Laufe der Jahrtausende herab von den Hügeln gekollert sein mußten, versperrten uns den Weg. An einigen Stellen erhoben sich riesenhafte Bäume. Es gab keinen Weg, keinen Trampelpfad, dem wir folgen konnten. Niemand bei rechtem Verstand wäre blindlings durch diese Gegend gelaufen, aber wir hatten keine Wahl. Wir mußten fort und konnten es nur, indem wir den Felsklötzen und Bäumen auswichen und über den Bach sprangen, wo er sich wand, um dem Verlauf des engen Tals folgen zu können.

Als Cynthia ihren Lauf bei einer Ansammlung mächtiger Felsblöcke verlangsamte, holte ich sie ein. Dann liefen wir nebeneinander. Ich bemerkte, daß sie Brutalinskis Gewehr nicht länger mittrug.

»Ich habe es weggeworfen«, sagte sie. »Es war mir zu schwer. Außerdem war es mir hinderlich.«

»Macht nichts«, antwortete ich. Und es war tatsächlich gleichgültig. Jedes Gewehr enthielt bloß eine Ladung, und zum Nachladen besaßen wir weder Kugeln noch Pulver; davon abgesehen, wußten wir auch gar nicht, wie man ein Gewehr nachlud. Die Handhabung dieser Waffen gestaltete sich reichlich umständlich, und ich hatte den Eindruck, daß ein Mann verdammt lange damit üben mußte, bevor er auch nur ein Scheunentor zu treffen vermochte.

Wir erreichten die Mündung eines sehr engen, V-förmigen Hohlwegs.

»Laß uns dort hinunter«, sagte Cynthia. »Sie werden nämlich annehmen, daß wir im Tal bleiben.«

Ich nickte. Wenn sie uns verfolgten, würden sie glauben, wir hätten den leichteren Weg gewählt, von der Felsnische aus durchs Tal, immer geradeaus.

»Fletch, jetzt besitzen wir nichts mehr«, fügte sie hinzu. »Sie haben jetzt unser Gepäck.«

Ich zögerte. »Ich könnte umkehren«, sagte ich. »Noch wird es am Lagerplatz sein. Du folgst dem Hohlweg. Ich werde dich schon einholen.«

»Wir dürfen uns keinesfalls nochmals trennen«, entgegnete sie entschieden. »Wir bleiben zusammen. Das alles wäre uns nicht geschehen, hätten wir Elmer dabei.«

»Der Wolf hat sie auf die Bäume getrieben«, sagte ich. »Entweder sitzen sie auf Bäumen oder sie geben Fersengeld.«

»Nein«, beharrte sie. »Einige von denen auf den Bäumen haben Gewehre. Außerdem sind es so viele, daß der Wolf nicht gegen alle ankommen kann. Sie werden sich zerstreut haben. Der Wolf kann nicht alle zugleich jagen.«

»Du hattest sie gesehen«, meinte ich. »Deshalb hast du dem Großen die Pfanne auf den Kopf gehauen.«

»Ich sah sie über den Abhang kommen«, bestätigte sie. »Aber wahrscheinlich hätte ich ihn sowieso niedergeschlagen. Wir konnten ihnen nicht trauen, Fletch. Und du kehrst nicht um. Ich müßte mitgehen, und davor fürchte ich mich.«

Wir erklommen den Hohlweg. Diese Strecke war unwegsamer als das Tal; es ging steil bergauf.

Ich ließ Cynthia vorausgehen, während ich mich mit meinen Sorgen beschäftigte. Wir mußten uns in regelrechter Panik befunden haben, als wir aus der Felsnische flüchteten. Es hätte uns keine Minute gekostet, die Bündel aufzuraffen. Aber wir hatten es versäumt. Infolgedessen besaßen wir nunmehr weder Lebensmittel noch Decken. Wir besaßen gar nichts mehr. Außer Feuer, fiel mir ein. Das Feuerzug trug ich in der Tasche. Der Gedanke, daß wir wenigstens noch ein Feuer zu entzünden vermochten, ermutigte mich ein wenig, wiewohl nicht erheblich.

Der Weg war zermürbend, und ich verspürte das Bedürfnis nach einer Verschnaufpause. Ich bemühte mich um Konzentration und versuchte darauf zu lauschen, ob hinter uns Lärm erscholl, vernahm jedoch nichts; einen Moment lang fragte ich mich, ob das, woran ich mich erinnerte, auch wirklich stattgefunden hatte. Natürlich wußte ich es genau.

Wir näherten uns der Höhe des Hügels, und der Hohlweg verlor an Steilheit. Mühsam erreichten wir die Hügelkuppe. Dort stand dichter Wald, und wir betraten ein Märchenland der Schönheit. Die Bäume wirkten auf seltsame Weise greifbar in ihrem Rot und Gelb aller Farbtöne, und an einigen wanden sich Kletterpflanzen empor, ein Geflecht aus tiefem Gold und Scharlachrot inmitten des farbenfrohen Laubs. Der Tag war warm und klar. Während ich die Farbenpracht anstaunte, erinnerte ich mich des Tags der Ankunft - seitdem waren nur wenige Tage verstrichen, aber mir erschienen sie - wie Wochen -, als wir den Friedhof verlassen hatten und ich den ersten Herbstwald meines Lebens sah.

Wir verharrten, um Atem zu holen, und blickten den Hohlweg hinab, durch den wir gekommen waren.

»Warum verfolgen sie uns bloß?« meinte Cynthia. »Gewiß, wir haben ihnen die Pferde genommen, aber wenn es darum geht, warum folgen sie nicht den Pferden, statt ihre Zeit mit uns zu verschwenden?«

»Vielleicht aus Rachsucht«, sagte ich. »Aus dem Wahn, es uns heimzahlen zu müssen. Wahrscheinlich ist nur ein Teil von ihnen hinter uns her. Der Rest sucht die Pferde.«

»Möglicherweise bewegt sie bloße Rachsucht dazu«, erwiderte sie, »aber ich kann's nicht recht glauben. Dahinter muß mehr stecken.«

»Natürlich der Friedhof«, keuchte ich, obschon ich in diesem Moment nicht die geringste Klarheit darüber besaß, wie ich es eigentlich meinte, wiewohl man wirklich den Eindruck haben konnte, der Friedhof sei an allem schuld, das geschah. Doch kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, da fügte sich in meinem Kopf das gesamte Mosaik ineinander.

»Begreifst du nicht«, meinte ich, »daß der Friedhof seine Finger in allem hat? Die Friedhofsleute können Druck ausüben. Jemand in der Ansiedlung hat eine Kiste voll Whiskey dafür bekommen, daß er Bronco in die Luft zu sprengen versuchte. Und diese Grabräuber ...«

»Aber die Grabräuber«, unterbrach sie mich, »sind ein anderer Fall. Sie bestehlen den Friedhof. Der Friedhof bekämpft sie. Beide Seiten würden sich nie auf einen Handel einlassen.«