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Richard Bach Heimkehr

Ein Abenteuer des Geistes

Aus dem Amerikanischen von

Kurt Baudisch und Burkhard Busse

Ullstein, 1995

Die Möwe Jonathan machte Richard Bach Anfang der siebziger Jahre in Deutschland quasi über Nacht zum Kultautor. Und sein Buch begleitet auch heute noch alle, die sich nach Freiheit und Visionen sehnen. In seinem neuen Roman Heimkehr zieht der Erfolgsschriftsteller in einem inneren Zwiegespräch Zwischenbilanz. Er trägt wieder den Kosenamen Dickie, ist neun Jahre alt und durchlebt all die Ängste der Kindheit.»Warum?«-auch Dickie besitzt das Zauberwort von Generationen wißbegieriger Kinder.»Du wirst sehen«- Richard antwortet mit der ruhigen Gelassenheit von 60 Jahren Lebenserfahrung. Dies sind Gedanken über Traurigkeit und Glück, über das Risiko der Freiheit und die Last der Anpassung, über unsere vergessene Kindheit und die Geheimnisse des Erwachsenwerdens. Vor dem harmonischen Hintergrund seines Alltags trägt der Schriftsteller ein kunstvolles Mosaik aus Erinnerungen, philosophischen Fragen und psychologischcn Deutungen zusammen.

Heimkehr ist ein ehrliches, ein phantasievolles Buch, das zur Identifikation einlädt und zum Träumen verführt. Sehr persönlich antwortet Richard Bach dem Kind, das wir selbst einmal waren.

Richard Bach, ein Urururenkel von Johann Sebastian Bach, wurde in Oak Park, Illinois, geboren. Mit 17, als er das Flugzeug eines Freundes putzte, entdeckte Bach seine Leidenschaft fürs Fliegen. Er war Jetpilot bei der Air Force, textete Handbücher für eine Fluggesellschaft und verdingte sich als Schauflieger. Die Möwe Jonathan machte den tollkühnen Doppeldeckerpiloten weltberühmt. Der individualistische Vogel nistet zu Hunderttausenden in deutschen Bücherschränken.

V1.0

Juli 2003

(skl) by edoc

Dieses Ebook ist nicht für den Verkauf bestimmt!!!

Einleitung

Meine Wahrheit hat sich seit langer Zeit verfeinert. Ihretwegen habe ich mit Hoffnung geforscht und mit Intuition nachgehakt, und ich habe sie, so gut es eben ging, mit eigenen Gedanken gefiltert und verdichtet. Und dann lief sie durch meine Motoren — zuerst ganz vorsichtig, um zu erkennen, was geschehen würde.

Es gab dabei Rückschläge, ein oder zwei Explosionen auf der Rennstrecke, bis ich merkte, wie dynamisch jede hausgemachte Philosophie sein kann. Rußverschmiert, aber sehr viel klüger, flackerte ich eine Weile, um dann zu begreifen, daß ich meinen Geist mit diesem speziellen Brennstoff fast mein ganzes Leben vorangetrieben hatte. Und sogar heute noch erhöhe ich, vorsichtig und tollkühn zugleich, ganz allmählich die Oktanzahl.

Ich wollte jedoch meine eigenen Fakten nicht aus Spaß an der Sache brauen oder weil ich vom Leben nicht genug ausgefüllt war. Ich war voller Leidenschaft, ich wollte wissen, warum es uns überhaupt gibt und nach welchen Maximen wir leben sollen. Deshalb durchstöberte ich in meiner Jugend die Weltreligionen; und als Pilot bei der Air Force besuchte ich Abendkurse über Aristoteles, Descartes und Kant.

Der letzte Kurs war beendet, meine Schritte hallten langsam und schwer auf dem Bürgersteig wider, ich war in einer seltsamen Depression gefangen. Aus dem Klassenzimmer hatte ich lediglich die Erkenntnis mitgenommen, daß diese Herren dort kaum wußten, wer wir sind und warum wir existieren. Sie wußten weniger darüber als ich — und ich hatte kaum einen Schimmer.

Sie waren kopflastige Intellektuelle, ließen sich irgendwo da oben in der Atmosphäre treiben, am Himmelsgewölbe, das doch eigentlich den Kampfflugzeugen meiner Regierung vorbehalten war. Ich war bereit, von ihren Einsichten schamlos zu lernen, meiner eigenen Erkenntnis zuliebe — das war im Augenblick alles, was ich tun konnte, anstatt in die Klasse zu schreien: »Wen interessiert das eigentlich?«

Den praktischen Sokrates bewunderte ich, weil er es vorgezogen hatte, für seine Grundsätze zu sterben, obwohl eine Flucht leicht möglich gewesen wäre. Andere Menschen waren nicht so standhaft. All diese vollgestopften Buchseiten, all die vielen Buchstaben, und schließlich ihr kluges Ergebnis: Du bist auf dich allein gestellt, Richard. Woher sollen wir wissen, was dir nützt?

Die Studien waren beendet, ich wanderte ziellos durch die Nacht, meine Schritte hallten auf dem leeren Universitätsgelände wider, wo sollte ich bloß hingehen?

Mit diesem Kurs hatte ich mich orientieren wollen, ich brauchte einen Kompaß, der mich durch den Dschungel führte. Organisierte Religionen waren für mich schwankende Brücken, leicht befestigte Zweige, die beim ersten Druck brachen — die Frage eines Kindes lüftete eher das Geheimnis der Mysterien. Warum klammern sich die Religionen an unlösbare Fragen? Wissen sie denn nicht, daß die Aussage Darauf gibt es keine Antwort keine vernünftige Antwort ist?

Immer wieder wurde ich mit einer neuen Theologie konfrontiert, und jedesmal erfolgte der Test: Kann ich diesen Glauben in mein Leben integrieren?

Jedesmal, wenn ich mir diese Frage stellte und die Sache genauer prüfte, erzitterte das ganze Gespinst der Mikadostäbe, fiel vor meinen Augen in sich zusammen; Stufen brachen ab, stürzten ein, waren nicht mehr zu sehen.

Ich wollte die Welt packen und vom Abgrund zurückkriechen, heilfroh darüber, daß ich nicht abgestürzt war und den Tod gefunden hatte. Wie würde man sich wohl fühlen, wenn man sein Herz an eine Religion hinge, die einem den Flammentod unseres Planeten am 31. Dezember versprach, und wenn man dann am Neujahrsmorgen erwachen und das Lied der Schneeammer hören würde? Verschaukelt würde man sich fühlen.

Wie ich so durch die Nacht ging, hörte ich hinter mir auf dem Bürgersteig plötzlich die Schritte einer Frau. Ich ging nach rechts, um sie vorbeizulassen.

Jetzt habe ich zwanzig Philosophen studiert. Ich nehme an, sie waren die strahlendsten Geister der Geschichte — und jeder von ihnen ist gescheitert. Sie sollten mir doch nur einen Weg zur Erkenntnis des Universums aufzeigen, um mich im täglichen Leben anzuleiten — eigentlich nicht zuviel verlangt, sollte man glauben, von Denkern wie Thomas von Aquin oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Ihre Antworten sprachen für sie, aber ihr Alltag hatte sich auf einem anderen Stern abgespielt.

«War Ihr Studium umsonst?«fragte mich die Frau.»Man hat Sie doch einfach das gelehrt, was Sie gehofft hatten, in all den Jahren zu finden. Und Sie wissen es immer noch nicht?«

Ärger stieg in mir hoch. Die Frau war nicht an mir vorbeigegangen, sondern sie las einfach meine Gedanken.

«Entschuldigung?«Ich sagte es so frostig wie möglich.

Sie hatte dunkles Haar mit einem kühnen Streifen von Blond, war ungefähr zwanzig Jahre älter als ich, einfach und nicht besonders gut gekleidet, und sie wußte nicht, was ich mit Menschen zu tun pflege, die meine Muße stören.

«Sie haben Ihnen das gegeben, was Sie lernen wollten«, sagte sie dann zu mir.»Ihr Leben ändert sich in dieser Nacht. Können Sie das nicht spüren?«

Sprach sie mit mir? Ich blickte mich um, sah zurück, aber ich konnte niemand sonst entdecken. Sie hatte die falsche Person erwischt, das erkannte ich jetzt. Sie stammte nicht aus dem Philosophie-Kurs, sie war ein Mensch, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte.

«Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet«, sagte ich ruhig zu ihr.

Sie wurde nicht unfreundlich, sie lachte nur.»Wir sind uns noch nicht begegnet. «Sie bewegte ihre Hand vor meinen Augen hin und her.»Sie haben Ihnen gesagt, daß sie die Antworten auch nicht kennen. Verstehen Sie das nicht? Niemand weiß die Antworten, außer einem!«

Du lieber Himmel, dachte ich, jetzt erzählt sie mir gleich, daß Jesus Christus mein Erlöser sei und daß sie mich im Blut des Lamm Gottes reinwaschen werde. Muß ich ihr ein paar Bibelzitate an den Kopf schleudern, um sie wegzuscheuchen?