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Ich hörte, wie er sich drinnen bewegte.»Okay«, sagte er.»Jetzt setzt du dich hier rein, und ich schließe die Tür ab. Und in fünfzig Jahren komme ich dann wieder und erzähle dir, wie leid es mir tut. Mal sehen, wie du dich dann fühlst. Ist doch fair, oder nicht?«

Ich öffnete die Tür.»Fair gegen fair«, sagte ich beschwichtigend.»Es tut mir leid. Es war dumm von mir, dich auszusperren. Mein Leben ist ärmer durch das, was ich getan habe. Jetzt bist du an der Reihe. Schließ mich hierein.«

Das bläuliche Zündfeuer an der Mündung seines Flammenwerfers flackerte. Er visierte mein Gesicht an, als ich die Tür öffnete. Ich durfte jetzt auf keinen Fall fliehen. Es stand ihm zu, mich zu töten, wenn er wollte.

Er blieb unbeweglich auf der Bank sitzen, die auf der anderen Seite der Tür stand.

«Du hast mich hier eingeschlossen und alleingelassen. Es war dir egal, ob ich schreie oder weine, du hast dich taub gestellt, und es war dir egal«, sagte er zu mir.»richard, ich hätte dir helfen können, aber du wolltest mich nicht, du liebtest mich nicht, es war dir scheissegal! «

Ich versuchte, ihn zu beruhigen.»Ich bin zurückgekommen, um dir zu sagen, daß es mir leid tut. Ich bin der größte und dämlichste Idiot auf der ganzen Welt.«

«Du denkst vielleicht, weil ich nur in deiner Phantasie existiere, bin ich nicht wichtig und nicht verletzlich. Aber ich brauche dich, ich möchte von dir lernen und von dir beschützt und geliebt werden, ich brauche dies alles. Du denkst, ich sei nicht real und nicht lebendig und unberührt von dem, was du mir antun könntest — das stimmt ganz und gar nicht!«

«Ich habe wenig Ahnung von Zuwendung, Dickie«, sagte ich zu ihm.»Als ich dich hier eingesperrt habe, habe ich auch eine Menge Gefühle eingesperrt. Ich selbst bin da draußen immer nur meinem Intellekt gefolgt. Bis zum gestrigen Tag habe ich noch nicht einmal gewußt, daß du hier bist, und ich bin dann auch gleich zu dir gekommen. «Ich öffnete die Augen in der Dunkelheit.»Du hast mich vorhin sehr erschreckt, so wie ich dich erschreckt habe. Und du hast das Recht, mich zu verbrennen. Aber bevor du das tust, möchte ich noch sagen, daß ich dich im Bett habe liegen sehen, kurz nachdem Bobby gestorben ist. Ich wollte dir so gerne sagen, daß alles gut wird. Ich wollte dir sagen, daß ich dich liebe.«

Seine Augen loderten durch die dunkle Nacht der Zelle.»So drückst du deine Liebe aus? Indem du mich einfach wegschließt? Indem du mich davon abhältst, ein Teil deines Lebens zu sein? Ich habe die schlechten Zeiten für dich durchgemacht, und jetzt habe ich ein recht darauf, dein Wissen zu teilen, aber du hast es mir vorenthalten! Du hast mich eingesperrt! Du hast mich in eine fensterlose zelle eingesperrt! weisst du überhaupt, was das für ein schreckliches gefühl ist?«

«Ich weiß es nicht.«

«Man fühlt sich wie ein Diamant in einem Safe. Wie ein Schmetterling in Ketten. Man fühlt sich leblos, ohne Leben, verstehst du? Weißt du, was Kälte ist? Kennst du wirkliche Dunkelheit? Kennst du irgend jemanden auf der Welt, der dich lieben, lieben, lieben sollte und dem es egal ist, ob du lebst oder bereits tot bist?«

«Ich kenne das Gefühl der Verlassenheit«, wandte ich ein.

«Verlassenheit«, erwiderte er verächtlich.»Stell dir doch mal vor, du hast jemanden lieb. Und dann stell dir vor, derjenige packt dich gegen deinen Willen, sperrt dich in einen Holzkäfig ohne Fenster und hängt ein dickes Schloß an die Tür. Und dann sitzt du fünfzig Jahre lang fest: ohne Wasser, ohne Brot, ohne einen menschlichen Laut zu hören. Und dann kommt derjenige zurück und entschuldigt sich ein bißchen. Ich hasse dich! Stell dir einen Rollentausch zwischen uns vor: Alles, was du von mir haben könntest, alles, was du brauchst, alles woran du wirklich hängst — ich geb’s dir einfach nicht. Irgendwann gibst du dann auf, und ich werde sagen: Oh, entschuldige bitte! Du bist ganz schön erbärmlich!«

Die einzige Waffe, die ich noch hatte, war die Vernunft.»Diese Minute, Dickie, ist die erste von einer Million Minuten, die wir zusammen verbringen können, wenn du möchtest. Ich weiß nicht, wie viele Minuten wir beide zusammen haben. Du kannst mich verbrennen, du kannst mich hier einsperren und selbst den Rest unseres Lebens draußen verbringen, und wenn das meine Grausamkeit dir gegenüber ausgleicht, dann machen wir das auch. Aber ich könnte dir auch erzählen, wie meiner Meinung nach die Welt funktioniert. Du willst jetzt alles auf einmal wissen, was man normalerweise in fünfzig Jahren lernt? Wie wär’s denn mit mir als Lehrer: Ein halbes Jahrhundert voller Versuche, die meisten davon Irrtümer, aber manchmal bin ich auch über die Wahrheit gestolpert. Sperr mich ein, wenn du willst, oder verwirkliche mit meiner Hilfe deine alten Träume. Du hast die Wahl.«

«Ich hasse dich«, sagte er nur.

«Du hast jedes Recht, mich zu hassen«, erwiderte ich ruhig.»Kann ich dich aber irgendwie besänftigen? Hast du mal von irgend etwas geträumt, was ich dir zeigen kann? Wenn ich es selber je getan habe, wenn ich es ausgelebt habe, wenn ich es weiß, dann gehört es auch dir.«

Er starrte mich im Halbdämmer eine Weile an, dann schob er seinen Flammenwerfer beiseite, und seine dunklen Augen füllten sich mit Tränen.

«Richard«, sagte er dann zu mir.»Wie ist das zum Beispiel mit dem Fliegen?«

9

Leslie hörte sich die Geschichte an, bis der Morgen dämmerte. Und als ich damit zu Ende war, saß sie aufrecht im Bett und blickte gedankenverloren durch die Fenster auf ihren Blumengarten.

«Du hast eine Menge hinter dir gelassen, Richard«, tagte sie nach einer Weile» Blickst du nicht manchmal zurück?«

«Das tun doch die wenigsten von uns. Die Kindheit ist ein Schatz, den man nicht sorgfältig genug aufbewahrt. Man versucht eben, sie so gut wie möglich zu überstehen und soviel wie möglich dabei zu lernen. Man zieht die Schultern hoch und hält den Atem an, und dann rollt man vorsichtig den steilen Hügel der Abhängigkeit hinunter, bis man richtig Tempo hat und die Hebel versteht und zum eigenen Leben startet.«

«Du warst neun Jahre alt, als dein Bruder starb?«fragte Leslie mich nach einer Weile.

«Ungefähr. «Ich dachte einen Moment nach.»Aber was hat das damit zu tun?«

«Dickie ist neun Jahre alt.«

Ich nickte ihr wortlos zu.

Sie blickte mich nachdenklich an und sagte dann:»Es war eine schwere Zeit für dich, nicht wahr?«

«Es ging so. Bobbys Tod hat mich nicht wirklich berührt. Ist das nicht seltsam? Ich müßte wirklich lügen, wenn ich sagte, daß sein Tod mich tief getroffen hätte. Es war einfach nicht so, Wookie. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und starb, und wir sind danach wieder unserem Alltag nachgegangen. Niemand hat geweint, das habe ich mitbekommen. Es gab keinen Grund zu weinen, weil niemand ihm helfen konnte.«

Sie sah mich nachdenklich an.»Die meisten Menschen wären deshalb aber sehr verzweifelt gewesen.«

«Warum bloß? Grämen wir uns vielleicht, wenn ein Mensch unser Blickfeld verläßt? Er lebt dann genauso weiter wie wir. Nur weil wir ihn nicht mehr sehen, wird von uns erwartet, daß wir traurig sind? Das macht nicht viel Sinn. Wenn wir unsterblich wären…«

Sie unterbrach meinen Gedankengang.»Hast du denn mit neun Jahren geglaubt, du wärst unsterblich? Dachtest du allen Ernstes, Bobby wäre nur mal kurz aus deinem Blickfeld verschwunden, als er starb?«

«Ich kann mich nicht mehr erinnern. Aber es ist eine gute Idee. Ich wäre nicht überrascht, wenn es wirklich so gewesen wäre.«

Sie lächelte ein wenig.»Ich schon. Ich nehme an, du hattest eine Menge von diesen Ideen, nachdem dein Bruder ins Krankenhaus verschwand und nicht mehr zurückkehrte.«

«Kann sein. Meine Notizen von damals sind verschwunden.«

Sie starrte mich mit großen Augen an.»Du hast dir Notizen gemacht, als dein Bruder starb?«