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Ich schlug mit der Hand gegen meine Stirn.»Das ist Philosophie! Ich habe den Gedanken nur ein wenig plastisch gemacht, damit ihn auch jemand versteht, der erst neun Jahre alt ist.«

Es blickte mich an, mit dem Hauch eines Lächelns.»Wer ist denn neun Jahre alt?«

17

«Dickie, ich muß dir eine Geschichte erzählen.«

«Ich mag Geschichten«, sagte er.»Die Geschichte spielt in meiner Erinnerung, nicht in deiner. Du erinnerst dich an meine Vergangenheit, und ich erinnere mich an deine Zukunft. So oder so. Aber anstatt dir die Geschichte nur zu berichten, will ich sie dir darstellen. Einverstanden?«

«Selbstverständlich«, erwiderte er, aber es klang sehr zögerlich. Und dann die Frage, mehr neugierig als ängstlich:»Noch mehr Philosophie?«

«Mehr eine Erzählung. Es ist eine wahre Geschichte — was noch auf dich zukommen kann. Bleib in meinem Bewußtsein, und paß auf, was geschieht. Und dann sag mir, ob es Philosophie ist oder nicht.«

«Also los«, sagte er. Langsam wurde Dickie ein Freund, ein Kumpel für Abenteuer.

Ich schloß die Augen und erinnerte mich.

Da war eine großer, schwerer stählerner Balken, der an einem einzigen langen silbernen Kabel von irgendwo herunterhing, hoch über mir in meinem inneren, leeren Raum. Jahre hatte ich auf der Mitte dieses Stahlbalkens gelebt, gelernt und gespielt, und er war immer im Zentrum geblieben und nie seitlich abgekippt. Oder hatte ich es nie bemerkt?

Aber in der Pubertät stellt man sich und andere auf die Probe.

«Ich weiß, was wir tun können«, sagte Mike. Es war Sommer. Wir waren über Mittag bei ihm zu Hause. Sein Vater war bei der Arbeit, die Mutter einkaufen gegangen. Mike, Jack und ich langweilten uns irgendwie.

«Und was können wir tun?«fragte ich.

«Laßt uns was trinken«, sagte Mike grinsend.

Ich wurde sofort nervös. Bestimmt meinte er damit nicht Limonade.»Was denn trinken?«

«Wir trinken bier. «Mike grinste immer noch.

«Gute Idee«, sagte Jack und rieb sich die Hände.»Hast du überhaupt bier im Haus?«

«Jede Menge. Wir müssen es nur trinken.«

Ich wurde da in etwas hineingezogen, was ich eigentlich nicht wollte. Mit einem Schlag war ich weit weg von meinem Zentrum, an einem Ort, an dem ich noch nie gewesen war, und der Waagebalken, der die Balance in meinem Leben gewährleistete, kippte schwerfällig nach unten.

«Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das schlau ist«, wandte ich zögerlich ein.»Dein Vater wird bestimmt dahinterkommen. Wenn er heute abend nach Hause kommt und das Bier ist alle…«

«Keine Sorge«, beruhigte mich Mike.»Sie geben heute abend eine Party und haben Ummengen von Bier eingekauft. Er merkt es überhaupt nicht, wenn etwas fehlt.«

Mike verschwand in der Küche und kam mit drei Flaschen wieder, die er mit einer Hand an ihrem schlanken Hals hielt. In der anderen Hand trug er drei Gläser, und den Flaschenöffner hatte er zwischen den Zähnen. Er stellte alles auf den Couchtisch.

Das ist völlig verrückt, dachte ich. Ich bin überhaupt noch nicht alt genug, um Alkohol zu trinken.

«Wird dein Vater dich töten, wenn er es trotzdem herausbekommt«, fragte ich mit letzter Hoffnung.»Oder wird er dich nur zum Krüppel schlagen?«

«Er wird es nicht herausfinden«, beruhigte mich mein

Freund Mike.»Stell dich nicht so an. Wir müssen da früher oder später sowieso durch. Also dann doch lieber früher. Was sagst du dazu, Jack?«

Jack nickte unsicher.»Klar doch.«

«ganz bestimmt?«hakte Mike nach.

«unbedingt!«bestätigte Jack.

Jetzt blickte Mike mich an.»okay, dick?«

«Ich weiß nicht so recht.«

Mike öffnete die Flasche und schüttete das Bier in die Gläser.

«Laßt uns das Zeug hinunterkippen. Zwei Männer und ein kleines Baby.«

Ich griff zu einem Glas und hielt es unschlüssig in der Hand.»Kippen wir es hinunter.«

Es merkt ja keiner, dachte ich. Außerdem sagt jeder, daß das Zeug gut schmeckt. Schön kalt an einem heißen Tag. Alle Männer trinken Bier, mit Ausnahme meines Vaters. Ein Glas ist wahrscheinlich nicht genug, um betrunken zu werden. Und wenn es so gut ist, wie immer alle behaupten, was spielt es dann eigentlich für eine Rolle, ob ich zu jung dafür bin?

Der stählerne Waagebalken kippte so schnell nach unten, daß es mich fast heruntergeschleudert hätte. Ich wußte nicht, was geschehen würde, wenn er gänzlich kippte, aber ich wollte es heute auch nicht herausfinden.

Mike schüttete noch ein wenig Bier nach, und oben auf den Gläsern befand sich jetzt eine weiße Schaumkrone.

Er hob sein Glas und leckte sich genießerisch die Lippen.»Spülen wir’s runter, Jungs. Jetzt oder nie.«

Wir tranken alle drei.

Ein halber Schluck, und meine Kehle war wie zugeschnürt. Kalt war das Bier. Köstlich auch? Es schmeckte schrecklich. Das war nicht richtig von mir. Ich bin tatsächlich zu jung, um Bier zu trinken.

«Puuuh«, sagte ich und zeigte auf mein Glas.»Und das soll gut sein?«

«Schaden wird es jedenfalls nichts«, erwiderte Mike, hielt sein halbleeres Glas hoch und sah uns zufrieden an.

«Er hat recht«, sagte Jack.»Ich könnte mich richtig daran gewöhnen.«

«Langsam, langsam, Jungs«, sagte ich.»Ihr seid verrückt. Das Zeug schmeckt wie die Substanzen in meinem Chemiebaukasten. Sie gießen das Zeug in einen Kessel und lassen es dann faulen.«

«Gären, nicht faulen. Sie lassen es gären.«Mike wußte offensichtlich darüber Bescheid.»Es ist nun mal Bier, zum Teufel! Es schmeckt nun mal so und nicht anders. Entweder du magst es, oder du magst es nicht. Außerdem schmeckt es mit jedem Schluck besser. «Er blickte auf mein fast volles Glas, das ich hilflos in der Hand hielt.»Aber um das herauszufinden, mußt du es natürlich auch trinken.«

Mir schauderte. Mußte ich das alles mitmachen, egal, ob ich es richtig fand oder nicht? Bedeutet das, erwachsen zu sein, wenn man tut, was andere Menschen tun? Mir gefiel nicht, was sich hier abspielte. Aber wie komme ich hier raus? Hilfe!

Die Antwort war eine Explosion in meinem Hinterkopf: Türen flogen aus ihren Angeln, eine bleierne Macht sprang schäumend vor Wut herein:

Dieser Trottel will dir vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast! Was meint er mit ›du mußt es natürlich trinken‹? Du mußt überhaupt nichts tun, wenn du es nicht selbst tun willst. Dieser Clown will dir sagen, daß du tun sollst, was er will?

Ich stellte das Glas so heftig auf den Tisch, daß das Bier überschwappte.»Ich muß überhaupt nichts, Mike. Niemand kann mir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe!«Die beiden starrten mich sprachlos an.

«Ich werde nichts trinken!«Wütend sprang ich aus dem Stuhl hoch.»Und keiner wird mich zwingen!«

Ich rannte aus dem Zimmer und schmetterte die Haustür krachend ins Schloß. In diesem Augenblick war ich genauso überrascht wie meine beiden Freunde. Wer ist der wilde Kerl, der da aus mir herausbrüllt? Ich schlug nicht einfach nur ein bißchen über die Stränge, sondern da war jemand, den ich bisher noch nie gesehen hatte. Er hatte mich von hinten vehement gepackt und mich einfach beiseite geschubst, und ihm war es egal, was ich oder die anderen darüber dachten. Es war ihm auch egal, ob man ihn für verrückt hielt.

Ich stapfte die Straße hinunter zu unserem Haus. Langsam regte ich mich wieder ab und merkte, daß der Stahlbalken in mir wieder ins Gleichgewicht kam und sich felsenfest verankerte. Ich blinzelte in die Sonne, lachte plötzlich laut auf und ging schneller. Dieser Typ ist ungeheuer gut. Er gehört zu mir und steht mir bei. Wer bist du, alter Junge?