Niemand zwingt dich, etwas zu tun. Kapiert, Dick? Niemand, weder Mike noch Jack noch Mom noch Dad noch irgend jemand kann dich in deinem Leben jemals zu etwas zwingen, das du nicht tun möchtest.
Mein Mund blieb offen stehen. Du kümmerst dich um mich!
Ja. Andere Menschen kümmern sich auch um dich. Aber wenn du dich nicht traust, dich zu verteidigen, werde ich bei dir sein und dir helfen.
Moment mal, dachte ich, Mike ist mein Freud. Ich muß mich doch nicht gegen meine eigenen Freunde verteidigen.
Sei nicht dumm. Und jetzt hör mir mal gut zu. Du triffst mich nämlich erst wieder, wenn neue Gefahr im Verzug ist: Mike ist nicht dein Freund. Merk dir ein für alle Maclass="underline" Dein bester Freund ist Dick Bach. Du hast viele Möglichkeiten, und eine davon bin ich. Wir alle sind in dir drin, und nur wir kennen dich, wie du wirklich bist. Du kannst dich selbst zerstören oder du kannst jenseits des Firmaments fliegen. Und es wird niemand wirklich interessieren. Niemand wird dir beistehen außer uns.
Ich bedankte mich im stillen für meine Rettung. Entschuldige, ich bin dumm. Ich muß noch viel lernen.
Keine Antwort.
Ich bedankte mich nochmals. Hörst du mich? Ich glaube schon.
Keine Antwort. Mein strenger innerer Bodyguard war weg.
18
«Und das wird mit mir geschehen?«fragte Dickie verwirrt, erschreckt von der bevorstehenden Zukunft.»Wenn du so handelst wie ich, wird dir das so passieren. Aber dieser Moment hatte Konsequenzen, die ich dir noch erzählen muß.«
«Schieß los«, sagte er neugierig.
Kurz bevor ich zu Hause war, verlangsamte ich meine Schritte und steuerte einen verlassenen Platz inmitten von wildem, grünen Weizen an. Ich ließ mich in dem grasbewachsenen Versteck nieder, das ich mir im letzten Sommer gegraben hatte.
Ich lag auf dem Rücken und blickte in den Himmel, sah die sommerlichen Wolken hoch über mir, wie sie in Gruppen in der sanften Luft dahinzogen.
Jede Stimme in meinem Innern, so hatte ich immer gedacht, müßte meine eigene altbekannte Stimme sein — ein stummes Selbstgespräch, das in einer leeren Höhle widerhallte. Manchmal gedankenvolle, manchmal geschwätzige Bruchstücke, denen ich selbst kaum zuhörte, stimmungsvoll hüpfende Worte, um die Kälte abzuwehren.
Aber verschiedene Ebenen meiner selbst? Teile von mir, die ich noch nie getroffen hatte? Ich platzte fast vor Neugierde.
Wenn die inneren Stimmen mehr als nur ein Echo sind, kann ich sie dann zu Lehrern und Führern in meinem Leben machen?
Ich zweifelte daran. Es gab kein Training, durch das man sein eigener Lehrer wurde. Wie sollte ich das denn bewerkstelligen?
Ich fühlte mich wie ein Forscher, der sich über ein riesiges Mikroskop beugt. Die Antwort lag unter der Linse, aber es war noch nichts sichtbar. Ich war nahe dran, eine winzig kleine Drehung, noch ein bißchen, vorsichtig…
Was geschieht, wenn meine Lehrer plötzlich da sind?
Anstatt immer nur in meinem Gehirn mit mir selber zu reden, wie wäre es, wenn ich mal zuhörte?
Noch nie hatte ich die Welt so deutlich vor mir gesehen, noch nie waren die Farben so klar gewesen. Gras und Himmel und Wolken. Sogar der Wind war lau.
Meine Lehrer existierten bereits!
Was ist, wenn all die Ebenen in mir meine Freunde sind und sie viel mehr wissen als ich? Es wäre, als ob…
«… als ob du der Kapitän eines Segelschiffes wärst, Sir, ein sehr junger Kapitän mit einem wunderbaren schnellen Schiff.«
Auf einmal wechselten in meinem Gehirn Himmel und Wolken in eine andere Szene hinüber: Da stand ein Junge in blauer Uniform und mit goldenen Epauletten auf dem Deck eines Kriegsschiffes aus dunklem Ebenholz. Und das Schiff kämpfte sich durch die aufgewühlten Wogen in einem tosenden Gewitter mit dahinjagenden Wolken und fürchterlichen Blitzen am dunklen Himmel.
Habe ich diese Szene erfunden oder hat sie mir jemand plötzlich eingegeben?
Das Schiff jagte durch die Wellen, die Reling an Lee stand unter Wasser, der Wind nahm an Stärke zu, aber der Junge in der blauen Uniform stand aufrecht an Deck, und die Mannschaft tat fluchend ihren Dienst.
Einfach tolclass="underline" Ich trieb das Spiel in meiner Phantasie weiter. Meeresungetüme kamen aus den Tiefen des tobenden Wassers und wurden auf die Planken geschleudert.
«Wellenbrecher voraus!«brüllte der Mann im Ausguck.
Der Mast ächzte, die Mannschaft fluchte und schuftete, das Segeltuch platzte beinahe, aber das Schiff hielt unbeirrt seinen Kurs.
«Die Brecher sind Riffs!«schrie ich in das Getöse hinein, als ein Blitz die Szenerie erhellte. Ich wandte mich an den ersten Maat:»Wir müssen den Kurs ändern!«
Der Mann nickte fast teilnahmslos. Sein Gesicht war von den Jahren auf See wettergebräunt.»Aye, Aye, Sir. Wir ändern den Kurs.«
«Sagen Sie das der Mannschaft!«brüllte ich.
«Sie müssen das Steuerrad selbst in die Hand nehmen, Kapitän«, erwiderte der erste Maat.»Oder Sie müssen es dem Steuermann selbst sagen, denn auf diesem Schiff gilt nur Ihr Wort.«
Vor dem Bug türmten sich die Wellen immer höher und stürzten in riesigen Brechern auf das Schiff. Gischt fegte über das Deck und die Männer.
Nur der Kapitän befehligte das Schiff.
Ich trat dicht an den Steuermann heran. Würde er mir gehorchen?» Schiff nach Backbord abfallen!«
Das Steuerrad wirbelte herum, die Segel schlugen und flatterten im Wind, der Sturm kam nun von Steuerbord, wir glitten über die Wellen, durch den weißen Vorhang der Gischt, ein Pferd im Galopp über das Meer, über uns krachte der Donner.
Instinktiv klammerten sich die Männer, die in die Takelage geentert waren, an Schoten und Brassen, als sich das Segelschiff im Gegenwind stark auf die Seite legte. Segel knallten von Steuerbord nach Backbord und blähten sich donnernd auf.
Die Offiziere beobachteten vom Achterdeck aus das Manöver und hielten sich krampfhaft an der Reling fest.
Kein Wort zum Kapitän, dessen Wort galt auf dem Schiff, die Mannschaft führte seine Befehle aus, und niemand widersprach ihm, sein Alter spielte keine Rolle.
Das Bild war deutlicher als im Kino, und mein Leben spielte sich auf einer großen Leinwand ab.
Ich konnte das Bild nicht erfinden. Ich habe es herausgefordert, aber ich habe es mir nicht ausgedacht. Gibt es eine unsichtbare Mannschaft in mir? Wer bietet mir dieses Bild dar?
«Hier, Sir!«
War die Stimme, deutlich wie das Bild, auch nur Einbildung?
«Aye, Sir. Wir sprechen eine Sprache, die Sie eine Zeitlang beiseitegeschoben haben. Ihre Einbildungskraft überträgt unser Wissen in Worte und Bilder, die Sie dann hören und sehen.«
«Und Sie reden nur, wenn Sie angesprochen werden?«wollte ich wissen.
«Ja. Ansonsten sind wir Gefühle, Intuition und Gewissen.«
Das Segelschiff zischte vorwärts und schlug die Richtung ein, die ich als Kursänderung gewünscht hatte. Ich stampfte nach achtern und packte ein Segelleinen mit beiden Händen. Es war mein Schiff! Warum sollte eine Idee, die so stark gefühlt wird, so schwierig zu glauben sein?
«Ich gebe hier die Befehle«, sagte ich.
«Aye, Sir«, kam es zurück.
«Und Sie sind der derjenige, der mich vor Mike und dem Bier gerettet hat?«fragte ich dann.
«Nein, Sir«, hörte ich die Antwort.»Das war… in diesem Bild ist es der zweite Maat. Wir hätten unser Leben für Sie gegeben, Sir, aber in unterschiedlicher Weise. Der zweite Maat denkt da mehr in Schwarz und Weiß als der Rest von uns. Als er sah, daß Sie in Gefahr waren, hat er sofort gehandelt, Sir.«
«Der Rest von Ihnen nicht?«
«Wir sind alle sehr verschieden«, erklärte die Stimme.
Mein ganzes Leben lang habe ich mich allein gefühlt. Ich war immer ein stilles Kind gewesen mit einem unbestimmten Irgendwas; irgendwas Starkem, irgendwas Gutem, um mich herum aufgebaut, unverständlich für mich.