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«Unser Zuhause befindet sich nicht in den Sternen?«

«Das Zuhause ist kein Ort. Was man kennt und liebt, ist meiner Meinung nach weder zusammengenagelt noch überdacht noch gepflanzt. Wir können unser Herz an Nägel und Dächer hängen, doch wenn wir ihre überlieferte Bedeutung vergessen, werden wir uns nach unserer Rückkehr fragen, was denn dieser Bretterhaufen bedeuten soll. Das Zuhause ist eine bestimmte Ordnung, die uns lieb und teuer ist, unser Zuhause ist dort, wo wir die sein können, die wir sind.«

«Sehr schön gesagt, Richie«, bemerkte sie.

«Und bevor wir uns für ein Leben auf der Erde entschieden haben, da gehe ich jede Wette mit dir ein, gab es für uns irgendeine andere geliebte und bekannte Ordnung, eine Ordnung, die weder etwas mit Zeit noch mit Entfernung zu tun hat, eine Ordnung, in der es überhaupt keine Moleküle gab!«

«Und nur weil wir jetzt hier sind, haben wir das andere noch lange nicht vergessen«, sagte sie.»Gibt es nicht Zeiten, Liebling, wo du dich… fast… erinnerst?«

«Die sechste Klasse!«Und während ich so mit meiner Frau im Auto dahin fuhr und nicht im geringsten an Dickie dachte, war mir die sechste Klasse plötzlich so gegenwärtig, als ob jene Zeit nie entschwunden wäre.

21

«Die sechste Klasse war eine Clique, Leslie. Was hatte ich eigentlich in dieser Clique verloren?«

Die Ranch gehörte der Vergangenheit an, der Wasserturm existierte nur noch in der Erinnerung, das Meer aus Salbei und Felsen flimmerte, bis es sich in ein Meer von schmucken Häusern verwandelte, grasgrüne Vorstädte, die auf dem flachen Strom von Kalifornien drifteten.

Wie viele Kinder es doch in der Schule gibt, dachte ich. Keines von ihnen ist imstande, einen kleinen Esel zu satteln und zu zähmen, aber die meisten von ihnen sind irgendwie nicht übel. Beschränkt, aber nicht übel.

Sie hingegen musterten mich einige Tage lang neugierig, aber wenn man von Arizona nach Kalifornien umzieht, wird einem weniger Aufmerksamkeit zuteil, als wenn man aus New York oder aus Belgien angereist wäre. Ich war harmlos, unterschied mich nicht sehr von ihnen, und als ich schließlich nicht mehr als Neuling empfunden wurde, akzeptierten sie mich.

«Budgie, bin ich verrückt?«

«Ja.«

Langsam radelten wir nach der Schule nebeneinander die leere herbstliche Straße entlang, wobei die breiten Reifen die herabgefallenen Blätter der Platanen zermalmten.

«Sag nicht ja, bevor ich dir nicht erzählt habe, weshalb ich mich für verrückt halte; denn wenn ich übergeschnappt bin, so bist du es auch.«

«Du bist nicht verrückt.«

In der Mark-Twain-Grundschule gab es vielleicht den einen oder anderen helleren Kopf als Anthony Zerbe, aber alles in allem war er unschlagbar. Bestimmt war niemand schlagfertiger, stärker oder schnellfüßiger als er, aber auch hilfsbereiter, wenn man in Schwierigkeiten steckte.

«Bist du ein Kind, Budgie?«fragte ich.

«Ja, praktisch bin ich ein Kind. Du und ich, wir sind Kinder.«

«Richtig! Praktisch gesehen stimmt das. Aber bist du innerlich ein Kind? Fühlst du dich innerlich wie ein Kind?«

«Natürlich nicht«, erwiderte er, verschränkte seine Arme vor der Brust und fuhr freihändig weiter, wobei er mich um eine halbe Radlänge überholte und dann im Freilauf zwei Radlängen vor mir herfuhr, bis ich ihn wieder einholte.»Mein Verstand ist erwachsener als der mancher Erwachsenen, die ich kenne. Muß ich… Mister Anderson erwähnen? Doch mein Körper hat nicht Schritt gehalten. Ich weiß nicht, wie man Geld verdient oder heiratet oder Häuser kauft. Ich bin noch nicht groß genug. Es gibt eine Menge Informationen, die ich brauche und noch nicht habe. Aber in meinem Innern, als Person, bin ich erwachsen.«

«Meinst du, der Grund dafür, daß wir Kinder sind, besteht nicht darin, daß wir wertlos sind, sondern darin, daß wir Zeit benötigen, um diese Informationen zu bekommen und größer zu werden, und daß wir, wenn wir erwachsen sind, uns genauso fühlen wie jetzt? Wir wissen lediglich noch nicht richtig, wie etwas anzupacken ist?«

«Ich wette, du hast recht«, beantwortete er gleichmütig meinen umständlichen Erklärungsversuch.»In unserem Innern werden wir das gleiche fühlen wie jetzt.«

«Beunruhigt dich das nicht?«

«Nein, wieso?«

«Wir gleichen den Erwachsenen, doch wir sind machtlos, Budge! Findest du es nicht schrecklich, machtlos zu sein? Möchtest du so weiterleben?«

«Ich bin machtlos, aber im Gegensatz zu dir…«

Er hielt mitten im Satz inne. Seine Füße auf die Lenkstange gestellt, rollte er im Leerlauf die leicht abschüssige Blackthorne Street hinunter, wobei unsere Geschwindigkeit noch zunahm.

«Was, im Gegensatz zu mir?«

«… bin ich geduldig!«sagte er, den Wind übertönend.»Es macht mir nichts aus, daß nicht ich das Geld verdienen muß, sondern mein Dad. Es gibt eine Menge zu lernen. Einfach die praktischen Dinge fürs Leben!«

«Mir macht es etwas aus. Ich möchte auf eigenen Füßen stehen. Wenn ich innerlich erwachsen bin… sollten sie es so einrichten, daß man eine Prüfung ablegen könnte und dann ein offiziell bestätigter Erwachsener wäre, egal, wie alt man ist.«

«Alles zur rechten Zeit«, bemerkte er.

Mein Freund stellte die Füße wieder auf die Pedale, ergriff die Lenkstange und bremste scharf in der Kurve. Millimeter vor der Bordsteinkante riß er das Vorderrad hoch und hüpfte elegant auf den Bürgersteig. Vergessen waren die Tage, als mir Fahrräder Angst eingejagt hatten und ich schutzsuchend zu meiner Mutter gerannt war, nachdem mich Roy auf den hohen Sattel gesetzt, auf dem Rad geschoben und mir gedroht hatte, er würde mich alleine weiterfahren lassen.

Ich hüpfte Zerbe hinterher, noch ganz im Banne unserer Diskussion.

«Hältst du dich denn für etwas Besonderes?«

«Aha!«, sagte er, indem er seine Geschwindigkeit drosselte, um für kurze Zeit neben mir zu fahren. Dann stoppte er auf dem Rasen vor dem Haus, in dem er wohnte.

Ich stoppte ebenfalls und blieb auf den Pedalen stehen, bis mein Fahrrad umzukippen drohte. Dann sprang ich ab und legte es ins Gras.

«Natürlich bin ich etwas Besonderes«, sagte ich.»Jeder ist etwas Besonderes! Nenne mir irgendwen in unserer Klasse, irgendwen an der Mark-Twain-Grundschule, der vorhat, ein Versager zu werden, wenn er groß ist!«

Zerbe saß, gegen den Sattel seines Fahrrades gelehnt, mit gekreuzten Beinen auf der Rasenfläche.»Aber es kommt vor, nicht wahr? Irgendwas geschieht zwischen dem jetzigen Moment, wo wir wissen, daß wir etwas Besonderes sind, und dem Augenblick, wo diese Meinung umkippt und wir zu Versagern werden.«

«Das wird mir nicht passieren«, erwiderte ich.

Er lachte.»Woher weißt du das? Was macht dich so sicher? Vielleicht sind wir gar nicht richtig erwachsen. Vielleicht sind wir erst erwachsen, wenn wir wissen, daß wir nichts Besonderes sind. Vielleicht ist Mißerfolg etwas, womit nur richtige Erwachsene fertig werden können.«

«Das glaube ich nicht!«sagte ich.»Wir mögen Kinder sein, aber innerlich sind wir schon voll entwickelt, und wir sind nicht einfach… nichts!«

«Red weiter«, ermunterte er mich.»Ich widerspreche nicht. Sag mir, wieso du weißt, daß du etwas Besonderes bist.«

«Morgens«, erwiderte ich,»morgens wache ich manchmal auf und gehe ins Freie, und die Luft ist so… grün. Verstehst du mich? Die Luft sagt: Etwas wird heute geschehen! Etwas Starkes wird geschehen! Und es geschieht eigentlich nie etwas, soweit ich das beurteilen kann, aber dieses Gefühl liegt in der Luft. Es geschieht nichts und irgendwie doch. Verstehst du, was ich sagen will?«