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«Nachdem Bobby gestorben war«, sagte ich,»kündigte sich in den naiven Fragen, die ich dem inneren Priester stellte, bereits die Zerstörung des Gottes-wie-ich-Ihn-kannte an, und zum ersten Mal wurde meine eigene Wahrheit kurz sichtbar.«

Dickie konnte sich nicht vorstellen, daß ich mich an irgend etwas Bedeutendes in meiner Kindheit erinnerte.»Welcher Priester? Was geschah?«

«Ich werde dir zeigen, was geschah«, sagte ich.»Wenn ich hier stehe, bin ich es. Wenn ich dort stehe, werde ich der Innere Priester sein. Okay?«

Er lächelte, er rechnete wohl mit irgendeinem Verwirrspiel auf dem Berg.

«Ist Gott allmächtig?«fragte ich, in der Rolle des kleinen Kindes.

Ich machte einen Schritt nach vorn, drehte mich um und blickte auf das Kind, das ich einst gewesen. Ich war jetzt ein netter Priester, der ein dunkelgrünes Gewand anhatte und um den Hals eine Kette mit dem Symbol seiner Firma trug.»Selbstverständlich! Sonst wäre Er doch nicht Gott, mein Sohn.«

«Liebt uns Gott?«

«Wie kannst du nur fragen? Gott liebt uns, er liebt jeden!«

«Warum kommen Menschen, die Gott liebt, durch Kriege und Grausamkeit, durch sinnloses Morden und dumme Unfälle ums Leben? Warum erleiden unschuldige Kinder gnadenlos den Tod? Warum ist mein Bruder gestorben?«

Jetzt sprach der Priester mit gedämpfter Stimme, mit einer Maske der Ignoranz:»Manches entzieht sich unserer Kenntnis, mein Kind. Der Herr schickt denen, die Er am meisten liebt, die härteste Unbill. Er muß sich gewiß sein, daß du dich um Ihn mehr sorgst als um deinen sterblichen Bruder. Glaube und vertraue Gott dem Allmächtigen…«

«…Bist du denn übergeschnappt? Glaubst du, ich sei ein neun jahre alter Idiot? Gib entweder zu, dass Gott genauso wenig allmächtig ist wie ich und dass die Kumpels verdammt hilflos sind gegen das Böse, oder gesteh ein, dass das, was Gott Liebe nennt, in Wirklichkeit dem teuflischen, sadistischen Hass des blutrünstigsten Massenmörders gleichkommt!«

«Okay«, sagte der Pater plötzlich zuckersüß.»Ich habe unrecht, du hast recht. Ich wollte dir Trost spenden, aber du sollst die Wahrheit erfahren. Wie so viele Kinder hast du gerade die organisierte Religion zerstört, Mister Ungläubiger Thomas. Du weißt, ich kann

diese Fragen nicht beantworten, kein Priester kann das. Und nun mußt du dir deine Religion selbst zusammenzimmern.«

«Weshalb?«fragte ich.»Ich brauche keine Religion. Ich will ohne sie zurechtkommen.«

«Und die Frage nach dem Sinn unseres Daseins ungelöst lassen?«

«Sie ungelöst zu lassen«, erläuterte ich Dickie im Off,»hätte bedeutet, daß es etwas gab, was ich nicht begriff. Und ich wußte: Wenn ich genügend wissen will, gibt es nichts, was ich nicht begreifen kann. So ungefähr könnte der erste Lehrsatz meiner neuen Religion aussehen. «Ich kehrte zu meinem kleinen Spiel zurück.»Es wird einfach sein«, erwiderte ich.»Jedes Kind kann sich etwas Besseres vorstellen als die Welt als ein Schlachthaus und einen Gott mit Messern in den Händen.«

«Dafür ist ein Preis zu zahlen«, warnte der Priester.»Zimmere dir deine eigene Theologie zusammen, und du wirst dich von allen anderen unterscheiden…«

«Das ist kein allzu hoher Preis«, spottete ich,»im Gegenteil, das ist eine Belohnung! Außerdem glaubt doch niemand wirklich an Gott-den-Machtlosen oder an Gott-den-Killer. Es wird leicht sein.«

«Mein Innerer Priester lacht darüber — ein überlegenes Lachen — und verschwindet.«

Dickie hatte das alles gespannt mit verfolgt.»Sobald er gegangen war, wurde ich nervös«, sagte ich.»War mein kleiner Gefühlsausbruch etwa doch zu heftig gewesen? Während der folgenden zehn Jahre verhielt ich mich wieder ruhig und besonnen. Es dauerte solange, um die Stücke zusammenzufügen, doch das Fundament war fertig. Dank meines Bruders hatte ich Gott wiedererschaffen. Hilf mir, Dickie, zeig mir, wo ich mich irre.«

Er nickte und war ganz darauf erpicht, Teil einer selbstgemachten Religion zu sein.

«Nimm an, es existiere ein allmächtiger Gott, der die Sterblichen und alle ihre Mühen und Nöte auf der Erde sieht«, sagte ich langsam.

Er nickte.

«Dann müßte doch Gott für alle Katastrophen und Tragödien, für alle Schrecken und Tode, von denen die Menschheit heimgesucht wird, verantwortlich sein, Dickie.«

Er hob die Hand.»Gerade weil Gott unsere Mühsal sieht, ist Er für sie nicht verantwortlich.«

«Überlege sorgfältig. Weil Er allmächtig ist. Das heißt, Er hat die Macht, dem Bösen Einhalt zu gebieten, wenn Er es will. Aber Er zieht es vor, das nicht zu tun. Indem Er erlaubt, daß es das Böse gibt, ist Er die Ursache dafür, daß es existiert.«

Er dachte darüber nach.»Vielleicht…«, sagte er nachdenklich.

«Wenn es so ist, daß die Unschuldigen weiterhin leiden und sterben müssen, so bedeutet das, daß diese Tatsache einem allmächtigen Gott einfach gleichgültig ist. Er ist unsagbar grausam.«

Dickie hob erneut seine Hand und wartete eine Weile, ohne eine Frage zu stellen.»Vielleicht… «

«Du bist dir nicht sicher«, sagte ich.

«Es mag sonderbar klingen, aber ich kann nicht erkennen, warum das falsch sein soll.«

«Ich kann es auch nicht. Verändert sich denn für dich nicht die Welt bei dem Gedanken… an einen bösen, grausamen Gott?«

«Und weiter?«fragte er.

«Der nächste Punkt. Nimm an, es gibt einen Gott, der alle liebt, die Sterblichen sieht und ihre Mühen und Nöte auf der Erde kennt.«

«Das klingt besser.«

Ich nickte.»Dann muß aber dieser Gott voller Sorge mit ansehen, wie die Unschuldigen immer wieder unterdrückt und hingemordet werden, und zwar millionenfach, daß sie vergebens um Hilfe bitten, Jahrhundert für Jahrhundert…«

Er hob die Hand.»Das nächste, was du sagst, wird sein: Weil die Unschuldigen leiden und sterben, hat unser Gott, der alle liebt, nicht die Macht, uns zu helfen.«

«So ist es! Sag Bescheid, wenn du bereit bist, dir eine Frage stellen zu lassen.«

Er wartete einen Augenblick und überdachte unsere Worte. Dann nickte er.»Okay, ich bin bereit. Stell mir deine Frage.«

«Welcher Gott ist wirklich, Dickie?«fragte ich.»Der grausame oder der machtlose?«

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Er überlegte sehr lange, dann lachte er und schüttelte den Kopf.»Das ist keine Alternative! Ich glaube, wenn man nur die Wahl zwischen grausam und machtlos hat, dann gute Nacht, lieber Gott!«

Während ich ihn beobachtete, wurde mir bewußt, wie ich vor vielen Jahren in dem Augenblick ausgesehen haben mußte, als ich das alles herausfand.»Diese Alternative ist keine Alternative«, entgegnete ich.»Weder der eine noch der andere existiert.«

«Also nochmal von vorn, «bemerkte er,»war dann die Frage vielleicht falsch gestellt?«

Ist mir auch soviel aufgefallen, als ich er war?» Gut! Was diese Alternative irreal macht, Dickie, ist folgende Frage: Nimm an, es gibt einen Gott, der die Sterblichen sieht und ihre Mühen und Nöte auf der Erde kennt. Du kannst die Sache drehen und wenden, wie ich es jahrelang getan habe, aber in dem Moment, wo du dir vorstellst, daß Gott uns als Sterbliche sieht, die sich in großer Bedrängnis befinden, hast du keine andere Möglichkeit, als zwischen dem einen oder anderen — zwischen grausam oder machtlos — zu wählen.«

«Welche Möglichkeit bleibt sonst noch?«fragte er.»Daß es Gott nicht gibt?«

«Wenn du davon ausgehst, daß die Raumzeit real ist… daß es immer eine Raumzeit gegeben hat und geben wird, dann gibt es entweder keinen Gott, oder du stehst vor der bereits erwähnten Alternative.«

«Was ist, wenn ich nicht davon ausgehe, daß die Raumzeit real ist?«

Ich hob einen Stein auf und schleuderte ihn flach über die Bergkuppe, so daß er weit unten am Abhang landete. Ich erinnerte mich, daß ich beschlossen hatte, nicht um des Widersprechens willen zu widersprechen.