Nur ich konnte sehen, wie es Dickie hinter meinen Augen schauderte:»Wir werden alle sterben.«
«Sagen ein paar. «Ich beobachtete den Weltuntergang auf dem Bildschirm.
«Bist du niemals traurig?«fragte er.»Fühlst du dich niemals schlecht? Bist du nie deprimiert?«
«Hilft das etwa? Wieso soll ich deprimiert sein?«
«Läßt dich das kalt, was du da siehst und was du da hörst? Sie sprechen vom Ende der Welt! Sind das vielleicht Scherze?«
«Nein«, erwiderte ich.»Es ist alles viel schlimmer, als sie in dreißig Minuten sagen können.«
«Dann besteht keine Hoffnung! Was tust du dann hier?«
«Keine Hoffnung? Selbstverständlich besteht keine Hoffnung, Kapitän! Es besteht keine Hoffnung, daß die Dinge, wie sie gestern waren, morgen so bleiben werden. Es besteht keine Hoffnung, daß irgend etwas von Dauer ist, außer der Realität, und nicht Ort und Zeit sind die Realität. Wir nennen diesen Planeten Erde, aber sein richtiger Name ist Veränderung. Wer Hoffnung braucht, der sucht sich entweder nicht die Erde aus oder nimmt die Spiele hier nicht allzu ernst. «Bei diesen Worten fühlte ich mich wie ein Reisender durch den Kosmos, bis mir bewußt wurde, daß ich tatsächlich einer war.
«Aber die Nachrichten sind schrecklich!«
«Sie sind dem Fliegen vergleichbar, Dickie. Manchmal wollen wir auf den Flugplatz hinausfahren, um zu fliegen, und die Wetterfrösche sagen, wir sollen uns vor Gewittern und überfrierender Nässe vorsehen, uns vor Sandstürmen und wolkenverhangenen Berggipfeln in acht nehmen, es gebe Windscherungen und gefährliche Abwinde, und man sei ein Narr, wenn man es wage, heute
zu starten. Und wir machen uns auf den Weg und fliegen, und es ist ein schöner Flug.«
«Ein schöner Flug?«
«Die Nachrichten sind wie das Wetter. Wir fliegen nicht durch die Wettervorhersage, sondern durch das Wetter, das dann dort oben gerade herrscht.«
«Und ist das Wetter dort oben immer schön?«
«Nein. Manchmal ist es schrecklich. Manchmal ist es schlimmer, als sie gemeldet haben.«
«Was machst du also?«
«Zum Himmel, der mich dann umgibt, verhalte ich mich nach bestem Wissen und Gewissen. Mich kümmert nicht, wie andere überall auf der Welt das Wetter überleben. Ich bin nur dafür verantwortlich, wie ich durch das Wetter hindurchkomme, das mich von einem Schirmende zum anderen und von den Rädern des Flugzeuges bis zur Spitze des Leitwerks umgibt. Ich bin insofern verantwortlich, als ich die Zeit für den Flug und damit das Wetter gewählt und ich auch entschieden habe, in welche Richtung Daisys Nase weist. Bislang bin ich noch nicht ums Leben gekommen.«
«Und die Welt?«Seine Augen ließen sein Interesse an der Antwort erkennen.
«Die Welt ist keine Kugel, Dickie, sie ist eine große schwimmende Pyramide. Am Fuß der Pyramide befindet sich die niederste Form des Lebens, die du dir vorstellen kannst, das Haßerfüllte, Böse, das um der Zerstörung willen zerstört, keinerlei Einfühlungsvermögen besitzt, eine Stufe über jenem Bewußtsein steht, das so grausam ist, daß es sich in dem Moment, wo es geboren wird, selbst vernichtet. Für diese Art von Bewußtsein gibt es Raum, sehr viel Raum, gerade hier auf unserem dreikantigen dritten Planeten.«
«Was ist auf dem Gipfel der Pyramide?«
«Dort ist das Bewußtsein so verfeinert, daß es außer Licht kaum etwas wahrnimmt. Wesen, die nur für ihre Lieben existieren, die für ihr höchstes Recht leben, Geschöpfe der vollkommenen Perspektive, die mit einem gütigen Lächeln sterben, ganz gleich, von welchem Ungeheuer sie zu Boden geschlagen werden, nur weil es Spaß daran hat, jemanden sterben zu sehen. Wale sind meines Erachtens so. Die meisten Delphine. Und einige Menschen — die humanen unter uns.«
«Dazwischen ist der Rest von uns«, sagte er.
«Du und ich, mein Kind.«
«Können wir die Welt ändern?«
«Absolut«, erwiderte ich.»Wir können unsere Welt nach Belieben ändern.«
«Nicht unsere Welt. Die Welt. Können wir sie besser machen?«
«Besser für mich und dich«, sagte ich,»ist nicht besser für jedermann.«
«Frieden ist besser als Krieg.«
«Jene an der Spitze der Pyramide werden wahrscheinlich zustimmen. Der Frieden würde sie glücklicher machen.«
«Und die am Fuß der Pyramide…«
«… lieben den Kampf. Es gibt immer einen Anlaß zum Kämpfen. Mit etwas Glück gibt es einen triftigen Grund: Diesen Krieg führen wir für Gott, jenen für die Rettung des Vaterlandes oder wegen einer ethnischen Säuberung, für die Erweiterung des Imperiums, oder um Zinn und Wolfram. Wir kämpfen, weil die Bezahlung gut ist, weil es spannender ist, Leben zu vernichten als Lebensgrundlagen zu schaffen, weil Krieg unterhaltsamer ist als für den Lebensunterhalt zu arbeiten, weil der Krieg zeigen wird, daß ich ein Mann bin, weil ich gern töte.«
«Schrecklich«, sagte er.
«Nicht schrecklich, sondern vorhersehbar«, entgegnete ich.»Wenn ein Planet eine solche Bandbreite des Denkens gestattet, sind eine Menge Konflikte vorprogrammiert. Begreifst du das?«
Er runzelte die Stirn.»Nein.«
Dann such dir bitte das nächste Mal einen Planeten mit einer schmaleren Bandbreite aus.«
«Was ist, wenn es kein nächstes Mal gibt?«fragte er.»Was ist, wenn du unrecht hast, wenn es nur dieses eine Leben gibt?«
«Das macht keinen Unterschied«, erwiderte ich.»Je nachdem, wie wir leben wollen, sorgen wir dafür, daß unsere persönliche Welt ruhig oder wild ist. Wir können inmitten des Chaos den tiefsten Frieden haben. Wir können inmitten des Paradieses töten. Das hängst davon ab, wie wir unseren Geist formen.«
«Richard, «sagte er,»alles, was du denkst, ist sehr persönlich. Kannst du dir denn auch vorstellen, daß es irgendwelche Dinge gibt, die du nicht unter Kontrolle hast? Daß es ein völlig anderes Schema geben kann — daß das Leben unabhängig davon abläuft, was du denkst oder nicht denkst, oder daß der ganze Planet ein Experiment von Außerirdischen ist, die alles mit Hilfe eines Mikroskops beobachten?«
«Zu dumm, Kapitän: Keine Kontrolle mehr? Zu langweilig. Wenn ich bei jemandem im Auto mitfahre, komme ich mir überflüssig vor, ich bin unzufrieden. Ich würde am liebsten aussteigen und zu Fuß gehen. Es macht keinen Spaß zu fliegen, wenn ich das Flugzeug nicht selbst steuern kann. Solange die Außerirdischen cool bleiben und sich clever verhalten, solange sie mich in dem Glauben lassen, ich sei Herr meines eigenen Schicksals, werde ich ihr Spiel mitspielen. Aber in dem Moment, wo sie an meinen Fäden ziehen, werde ich sie durchschneiden.«
«Vielleicht werden sie s-e-h-r v-o-r-s-i-c-h-t-i-g an den Fäden ziehen?«
Ich lächelte ihn an.»Bis jetzt haben sie sich keinen Schnitzer erlaubt. In dem Augenblick, wo ich Schnüre an meinen Handgelenken spüre, greife ich zur Schere.«
Am Schluß der dokumentierten Katastrophe wünschte uns der Kommentator einen angenehmen Tag und gab seiner Hoffnung Ausdruck, uns morgen wieder als Fernsehzuschauer begrüßen zu dürfen.
Leslie wandte sich mir zu.»Dickie ist da, nicht wahr?«
«Woher weißt du das?«
«Er ist über die Zukunft besorgt.«
Sie ist verrückt, dachte ich.»Habt ihr beide miteinander gesprochen?«
«Nein«, antwortete sie.»Wenn er nach dem, was wir gesehen haben, nicht besorgt wäre, würde ich glauben, daß du den Verstand verlierst.«
31
Leslie saß vor ihrem Computer und summte etwas vor sich hin. Ich blieb an der Bürotür stehen und klopfte an.»Ich bin es nur.«
«Wieso nur?«antwortete sie und blickte auf.»Du bist eine ganze Menge! Du bist mein Darling!«Was sie auch anpackte, glückte ihr. Wenn etwas schiefging, summte sie nicht und blickte nicht auf.
«Wieviel wiegst du?«fragte ich.
Sie hob die Hände über ihren Kopf.»Sieh her!«