Er wandte sich mir zu, und seine Brauen waren hochgezogen.
«Die Maxime eines Fliegers«, sagte ich.»Das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen. In zwanzig Jahren wirst du wissen, wie inhaltsschwer es ist.«
«Ich selbst in wechselnden Rollen bin mein eigentlicher Lehrer.«
«Stimmt das denn?«fragte er.
«Dickie, möchtest du dir einige erstklassige Maximen zu eigen machen?«
«Ja, bitte.«
«Ich muß mein Leben rasch noch einmal in Gedanken durchgehen, um dir das Beste anvertrauen zu können, was ich weiß. Du bist ungeheuer intelligent. Wenn du diese Maximen heute nicht verstehst, erwarte ich, daß du sie später, wenn deine Zeit gekommen ist, kapierst.«
«Jawohl, Meister«, erwiderte er bescheiden wie ein Zen-Schüler.
«Suchst du Sicherheit über Glück zu verhökern, kaufen wir es zum Sonderpreis.
Es gibt kein Geräusch, wenn ein Baum im Wald ungehört umstürzt, und Raumzeit ist ohne Bewußtsein nicht denkbar.
Schuldgefühl entsteht aus der Spannung, die wir empfinden, wenn wir unsere Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft einer anderen Person wegen ändern möchten.
Manche Entscheidungen durchleben wir nicht einmal, sondern tausendmal und behalten sie für den Rest unseres Lebens im Gedächtnis.«
Zum Glück sind wir uns nicht noch anderer Leben bewußt, dachte ich. Wir können schon mit diesem einen nicht zurechtkommen, wenn uns lauter Erinnerungen lähmen.
«Wir wissen nichts, solange die Intuition nicht zustimmt.«
Das hintere Triebwerk stabilisierte sich, als wir durch 16.000 Fuß sanken. Mit diesem Turbolader ist nur eine Kleinigkeit nicht in Ordnung, dachte ich.
«Merke dir frühzeitig: Wir werden nie erwachsen.
Was wir von irgend jemanden in irgendeinem Augenblick sehen, ist lediglich ein Schnappschuß von seinem Leben, im Reichtum oder in der Armut, in der Freude oder in der Verzweiflung. Schnappschüsse zeigen nicht die Millionen von Entscheidungen, die zu diesem Augenblick geführt haben.«
«Danke, Richard«, sagte Dickie.»Das sind schöne Maximen. Ich denke, ich habe genug.«
«Der geringste Änderungsvorschlag ist für den Status quo die Todesdrohung.
Ein zwingender Grund wird niemals blinde Emotionen überzeugen.
Das Leben verlangt von uns nicht, konsequent, grausam, geduldig, hilfreich, wütend, vernünftig, gedankenlos, lieb, vorschnell, aufgeschlossen, neurotisch, aufmerksam, streng, tolerant, reich, niedergedrückt, sanft, krank, rücksichtsvoll, komisch, dumm, gesund, habgierig, schön, faul, empfänglich, närrisch, diskret, mitleidig, tüchtig, hedonistisch, fleißig, manipulierbar, einsichtig, kapriziös, weise, selbstsüchtig, freundlich oder opferbereit zu sein. Das Leben verlangt jedoch von uns, mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen zu leben.«
«Nun gut, «sagte er.»Ich schätze, es ist ziemlich anstrengend für dich, dein ganzes Leben noch einmal in Gedanken durchzugehen. Ich danke dir. Jetzt habe ich eine Menge Maximen!«
«Das Leben anderer gleicht Landschaften, die sich im Fenster spiegeln…Es ist genau so real wie unser alltägliches Leben, doch wird es nicht so deutlich gesehen.
Wenn etwas nie unsere Schuld ist, können wir auch die Verantwortung dafür nie übernehmen. Obwohl wir nie die Verantwortung dafür übernehmen können, werden wir stets Opfer sein.«
«Danke, Richard.«
«Unser wahres Land ist das Land unserer Werte«, fuhr ich fort, »und unser Bewußtsein ist die Stimme seines Patriotismus.
Wir haben keine Rechte, bevor wir sie nicht einfordern.
Wir müssen unsere Drachen ehren, ihren zerstörerischen Eifer anstacheln und damit rechnen, daß sie danach trachten werden, uns niederzumachen. Es ist ihre Pflicht, uns zu verhöhnen, es ist ihre Aufgabe, uns zu erniedrigen und, wenn sie können, uns mit Gewalt daran zu hindern, anders zu sein! Und wenn wir auf unsere Weise, unbeeindruckt von ihrem Feuer und ihrer Wut, unseren Weg fortsetzen, werden sie, wenn wir außer Sichtweite sind, in ihrer Biertischmanier sagen: ›Nun ja, wir können nicht allen die Hammelbeine lang ziehen…‹
Wenn wir uns mit einer Situation abfinden, mit der wir uns nicht abfinden dürfen, geschieht das nicht deswegen, weil wir blöd sind. Wir tun das deswegen, weil wir die Lektion haben wollen, die uns nur diese Situation erteilen kann, und sie ist uns wichtiger als die Freiheit.
Glück ist der Lohn, den wir dafür bekommen, daß wir ganz das höchste Recht leben, das wir kennen.«
«das reicht! das sind mehr als genug maximen; richard! hör auf! wenn du noch eine von dir gibst, werde ich verrückt!«
«Okay«, sagte ich.»Aber paß auf, worum du da bittest, Dickie, weil…«
«AAAAAAAAAAAAliiiiiiiii!!!!«
33
Während ich unser Mittagessen vorbereitete, saß mir Leslie auf einem hohen Hocker am Küchentresen gegenüber und hörte sich amüsiert meine Abenteuer mit Dickie an.
«Er ist einfach mein kleiner imaginärer Kumpel«, sagte ich,»und ich erzähle ihm das, was ich weiß, aus Spaß daran, mir das alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. «Ich schüttete ein Hackbrett voll kleingeschnittenem Allerlei aus dem Gemüsefach in unsere große Bratpfanne.
«Versteckst du dich nicht hinter dem Wörtchen ›imaginär‹?«fragte Leslie.»Benötigst du einen Sicherheitsabstand? Hast du Angst vor ihm?«Sie hatte eigentlich nach der Gartenarbeit ihre Sachen wechseln wollen: weiße Shorts, ein T-Shirt, ein breitrandiger Sonnenhut. Sie hatte den Hut abgenommen, aber nun war sie von Neugier gepackt, und ich vermutete, daß sie sich mit dem Umziehen noch Zeit lassen würde.
«Angst?«sagte ich.»Vielleicht. «Ich bezweifelte das, aber von Zeit zu Zeit macht es Spaß, unsere Gewißheiten auf die Probe zu stellen und anzunehmen, es seien Lügen.
Ich gab Ananas und Bulgurweizen zum Gemüse und rührte das Ganze fünf—, sechsmal rasch um.
«Er könnte sagen, er habe dich erfunden und sei nun zu dem Schluß gelangt, daß du nur eine imaginäre Zukunft bist; er könnte fortgehen und dich mit allem, was du loswerden willst, allein lassen.«
Ich sah sie groß an und vergaß, aus der Flasche, die ich in der Hand hielt, Sojasauce in die Pfanne zu gießen.»Er würde das nicht tun. Nicht jetzt.«
Eines Tages wird es mir nichts mehr ausmachen, wenn er mich verläßt. Nur jetzt darf er nicht gehen, dachte ich.
Sie ließ ihre Frage nachwirken und fuhr dann fort.»Fällt ihm nicht auf, daß du kochst und nicht ich?«fragte sie.»Ist ihm das egal?«
«Ich koche für meine Frau, sage ich zu ihm, aber ich bin sehr männlich… sogar meine Pasteten sind hart!«Das stimmte natürlich nicht. Bevor ich ganz auf Zucker verzichtete, habe ich Törtchen gemacht. Diese Krusten sind köstlich, wie eine gebackene Wolke, aber ich bin bescheidener als Gott. Diese edle Eigenschaft, auf die ich am stolzesten bin, besteht darin, daß ich mein Ego völlig verleugne.
Es ist wichtig, daß der Weizen richtig heiß wird; man sagt, die Hitze bewirke, daß sich das Nußaroma voll entfaltet. Zufällig fand ich eine halbe Tüte gehackter Walnüsse, ich schüttete sie in die Pfanne.
Leslie kennt meine seltsamen Prinzipien, aber sie ist tolerant, und manchmal hört sie sich diese ganz gerne an.»Was hast du ihm über die Ehe erzählt?«
«Er hat nicht danach gefragt. Denkst du, das interessiert ihn?«