«Ist dies etwas für Dickie«, fragte sie und blickte mich mit ihren meerblauen Augen an,»oder behalten wir es für uns? Wirst du ihm von unseren Auseinandersetzungen erzählen?«
«Vielleicht nicht. Vielleicht sollte ich ihm erzählen, daß eine vollkommene Ehe keine Auseinandersetzungen kennt. Vollkommenheit ist dann gegeben, wenn zwei Menschen einander ansehen und sagen: ›Wir haben das alles vor der Ehe gekannt. Keine Streitigkeiten, keine Prüfungen, keiner von uns beiden hat sich in den fünfzig Jahren geändert. Keiner hat etwas gelernt.‹«
Sie lächelte darüber.»Entsetzlich dummes Zeug«, sagte sie.»Vermeide Probleme, und du wirst auch nie derjenige sein, der sie überwunden hat.«
«Er muß es wissen. Wenn ich ihm von Eheerfahrungen erzähle, ist das für mich eine Gedächtnisstütze; Dickie muß sich eine Meinung darüber bilden, sich einige Lehren merken und den Rest vergessen. Ich werde ihm das Beste von dem erzählen, was ich herausgefunden habe: Gehe niemals davon aus, daß deine Frau Gedanken lesen kann, daß sie versteht, wer du bist, oder daß sie weiß, was du denkst und wie dir zumute ist. Wenn du das annimmst, dann bereitest du dir selbst viel Kummer. Sie könnte dich verstehen, sie könnte von Zeit zu Zeit wissen, was du denkst, doch erwarte nicht von ihr, daß sie dich ein bißchen besser versteht als du sie. Beschließe, glücklich zu sein, indem du das tust, was du tun möchtest. Wenn es sie ärgert, daß du glücklich bist, oder wenn du es haßt, daß sie fröhlich ist, dann handelt es sich nicht um eine Ehe, sondern um ein Experiment, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.«
«Das hört sich so an, als ob die Ehe genau so viel Spaß macht wie der Sprung von einem steilen Felsen. Ist es das, was er deiner Meinung nach denken soll?«
«Die Ehe ist mit nichts vergleichbar, was du je erleben wirst, werde ich zu ihm sagen. Verwandte Seelen sind durch einen wunderbaren, magnetisierenden, unglaublichen Zufall zusammengeführt worden, haben sich durch einen rätselhaften Zauber gefunden, aber dennoch haben sie noch eine ganze Menge Probleme miteinander zu lösen. Faszinierende Probleme, das stimmt, aber auch gepfefferte Prüfungen, die Jahre dauern. Aber wenn der Zauber verschwindet, wirst du die Kraft verlieren, harte Zeiten zu überstehen und lieben zu lernen — du wirst an der Liebe scheitern. Wenn das geschieht, sind die anderen Prüfungen ohne Bedeutung.«
«Was wirst du ihm über Kinder erzählen?«
«Ich bin nicht kompetent genug, ihm darüber irgend etwas zu erzählen«, erwiderte ich.
«Was meinst du damit, daß du nicht kompetent seist? Du hast Kinder, und bestimmt hast du etwas von ihnen gelernt! Was wirst du ihm erzählen?«
Mein Schwachpunkt, dachte ich. Ich bin, was dieses Thema betrifft, etwa so nützlich wie ein Amboß in einem Kinderzimmer.
«Ich werde ihm erzählen, daß nicht nur Erwachsene eine innere Richtschnur brauchen«, sagte ich.»Wir erleben das, was wir unabhängig vom Alter in uns aufnehmen. Das einzige Vorbild, das wir den Kindern liefern, ist unser eigenes Beispiel dieses hochentwickelten menschlichen Wesens, von dem wir wissen, wie es zu sein hat. Kinder können etwas begreifen oder auch nicht. Sie können den Boden verfluchen, auf dem wir gehen und stehen. Aber Kinder sind nicht unser Eigentum und auch nicht dazu da, unter unserer Fuchtel zu stehen, genausowenig wie wir das Eigentum unserer Eltern waren.
«Kommst du dir nicht vor wie ein Eisberg, wenn du so redest«, fragte Leslie,»oder klingt das nur so kühl wie 40 Grad minus?«
«Stimmt es etwa nicht, was ich sage?«
«Was du gesagt hast, mag eine gewisse Berechtigung haben«, seufzte sie.»Sicherlich besitzen wir unsere eigenen Kinder nicht, aber ich vermisse irgend etwas. Könnte es vielleicht ein wenig Zärtlichkeit sein?«
«Nun ja, natürlich werde ich es ihm mit Gefühl beibringen!«
Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort:»Die Ehe ist von mehr als nur einem einzigen Geheimnis umgeben.«
«Von welchem noch?«Ich kenne nur eins. Sollte sie etwa noch ein anderes kennen?
«Wenn du uns betrachtest«, sagte sie,»oder wenn du jemand anderen lange betrachtest, so erkennst du, daß wir nur ein- oder zweimal in unserem Leben richtig lieben. Hüte diese Liebe. Das ist mein Geheimnis von der Ehe.«
34
Als das Mittagessen beendet und der Abwasch erledigt war, warf ich meinen Gleitschirm in den Wagen und fuhr Richtung Berg. Unterwegs war ich in Gedanken versunken; ich hoffte, meinen kleinen Freund wiederzusehen.
Er saß auf der gleichen Bergkuppe, aber nun wuchsen junge Bäume an den Abhängen, und eine Wiese erstreckte sich bis zu einem grünen Horizont.
Er wendete sich mir sofort zu.»Erzähle mir bitte von der Ehe.«
«Sehr gern. Aber warum?«
«Ich habe nie geglaubt, daß das auf mich zukommen würde, aber nun weiß ich, daß es der Fall sein wird. Ich bin unvorbereitet.«
Ich unterdrückte ein Lächeln.»Ganz recht, du bist unvorbereitet.«
Er runzelte die Stirn.»Was muß ich wissen?«fragte er ungeduldig.
«Ein Wort, merke dir ein Wort, und du weißt alles. Präge dir ein: anders. Du bist anders als alle anderen in der Welt, und du wirst anders sein als die Frau, die du heiratest.«
«Ich wette, du erzählst mir jetzt etwas Einfaches, weil du gedacht hast, die Ehe sei auch ganz einfach. Dabei ist das Gegenteil der Fall.«
«Das Einfache springt nicht ins Auge, Kapitän. ›Wir sind anders‹ — das ist eine Offenbarung, eine Erkenntnis, zu der viele Verheiratete nie kommen und zu der auch eine Menge netter Leute selbst dann nicht gelangen, wenn sich nach Jahren der Staub der Scheidung gelegt hat.«
«Anders, aber auch gleich?«
«Keineswegs«, antwortete ich.»Die Ehe ist kein Bereich, in dem Gleichheit herrscht. Leslie ist zum Beispiel auf dem Gebiet der Musik besser als ich. Ich werde nie aufholen, was sie im Alter von zwölf Jahren gewußt, geschweige denn, was sie bis zum heutigen Tag gelernt hat. Ich könnte bis zum Ende meines Lebens üben und würde nie ein Instrument so gut beherrschen oder so einfühlsam spielen wie sie. Dagegen wird sie Flugzeuge wahrscheinlich niemals so gut fliegen wie ich. Sie begann damit erst zwanzig Jahre, nachdem ich mit dem Fliegen angefangen hatte, und sie kann mich nicht einholen.«
«Ist alles andere auch ungleich?«
«Alles. Ich habe nicht alles so gut im Griff wie sie, und sie hat nicht soviel Geduld wie ich. Sie kämpft um Dinge, die für sie wichtig sind, ich bin der kühle Beobachter. Ich bin egoistisch, was für mich bedeutet, nach Möglichkeit in meinem eigenen langfristigen Interesse zu handeln. Sie dagegen haßt Egoismus, denn das bedeutet für sie, daß man ein Verlangen trotz der Folgen sofort befriedigt. Manchmal erwartet sie von mir, daß ich meiner Auffassung von Recht in ihrem Interesse zuwiderhandle, und ist dann überrascht, wenn ich es nicht tue.«
«Ihr seid also anders«, sagte er.»Gilt das nicht für jeden Ehemann und jede Ehefrau?«
«Und fast jede Ehefrau und fast jeder Ehemann vergessen es. Wenn ich es vergesse und von Leslie erwarte, eigennützig zu sein, wenn sie es vergißt und von mir erwartet, alles so im Griff zu haben wie sie, so nehmen wir an, daß der andere in bezug auf die Fertigkeiten, die wir erworben haben, genauso gut ist wie wir. Die Ehe ist kein Wettkampf, um die Stärken des anderen zu übertreffen, sie ist eine Kooperation, die unserer Verschiedenheiten bedarf.«
«Aber manchmal macht es euch auch wahnsinnig, anders zu sein, da wette ich.«
«Nein. Es macht uns nur wahnsinnig, wenn wir vergessen, daß wir verschieden sind. Immer wenn ich glaubte, daß Leslie und ich eins wären, nur in zwei verschiedenen Körpern, daß sie wüßte, was ich in jeder Sekunde denke, und daß meine Wertvorstellungen und Prioritäten mit ihren genau übereinstimmten, dann kam es mir vor, als ob ich in einem Faß einen Wasserfall hinabfahren wollte. Eine Minute später hätte ich mich dann gefragt, weshalb ich plötzlich unten auf dem Fluß treibe und was diese kaputten Faßreifen und Dauben um mich herum zu bedeuten haben, während ich triefend wie ein nasser Schwamm aus dem Wasser klettere. Ich fühlte mich für alles schuldig, bis mir einfiel, daß wir verschieden sind.«