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«Es ist alles in Ordnung, mein Kleiner, weine nicht. Alles ist in Ordnung…«

Mom! Ich schrie wortlos. Hilf mir!

Nicht jedes Zwiegespräch besteht aus Worten, und manchmal sagen Mütter mehr, als sie wissen, wenn Kinder weinen.

Sie streichelte meinen Kopf.»Mein Kleiner. Die Drachen sind in der Überzahl, und sie lügen. Du kannst wählen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Zwinge sie, Farbe zu bekennen, höre nicht auf ihre Vorschriften, mein Baby. Schließe die Augen, laß der Phantasie freien Lauf, erinnere dich, wer du bist, über den Raum, über die Zeit hinweg, du wurdest niemals geboren und stirbst niemals… «

Ich entspannte mich, ich war erleichtert.

«… und die physikalische Welt wird beim Sieg die Faust erheben — Siehe da! Tot! Alle werden schwören, daß dein kleiner Körper nicht mehr atmet und dein Puls nicht mehr zu fühlen ist, eine Schriftrolle wird unterschrieben, in der dein Sieg Tod genannt wird.«

Sie hob mich hoch.»Die andere Möglichkeit ist Siegen durch Verlieren. Ehe deine äußeren Schutzmauern fallen — da sie fallen müssen, wenn du am Leben bleiben willst —, schaffe dir einen inneren Bereich, in dem deine Wahrheit geschützt ist. Schütze dein unendliches Leben dadurch, daß du dir eine geeignete Spielstätte auswählst; sorge dafür, daß die Welt, die du kennst, für dich akzeptabel ist und deinen Erwartungen entspricht; deine Mission besteht darin, in den dramatischsten Augenblicken, die von deiner Entscheidung abhängen werden, in deiner spielerischen Art Liebe zu spenden. Die Drachen sind deine Freunde!«

Ich hörte meiner Mutter zu und merkte mir, was sie sagte. Ihre Rettungsleine verband mich sowohl mit dem Sonnenlicht, aus dem ich kam, als auch mit diesem Ort des sich verdunkelnden Glases und der Angriffe vor Anbruch des Tages.

Sie sah mir in die Augen, die immer größer wurden, als ich sie erstaunt anblickte.»Hast du die Wahrheit erfaßt?«fragte sie.»Gieße nun einen kristallenen Schild, stärker als Raum und Zeit, um den Mittelpunkt deines Seins, einen Schild, der durch nichts zerbrochen werden kann…«

Aber Mutter… Ich zwinkerte, lauschte… vergeblich. Selbst du bist Raum und Zeit. Du bist hier und nicht dort. Du bist jetzt bei mir, und eines Tages wirst du sterben…

«Das stimmt«, murmelte sie.»Höre auf deine Drachen. Ich bin ebenso wie du in der Raumzeit gefangen. Ich werde sterben, und deine Brüder und dein Vater werden dich auch für immer verlassen. Und du wirst allein sein. Mach dir keine Sorgen. Strecke deine Waffen. Laß deine Mauern einstürzen, die Steine zu Sand werden. Laß die Welt durch dich hindurch und über dich hinweg fließen, lerne ihre Lügen, schwimme in ihnen, leiste keinen Widerstand. Und insgeheim erinnere dich an das, was du sicher weggeschlossen hast, und eines Tages, in zwanzig Jahren, mein Kleiner, oder in sechzig Jahren, besinne dich auf deine Wahrheit und lache…«

Ich vertraute ihr, und wenige Tage nach meiner Geburt kapitulierte ich vor den Drachen und sah zu, wie Flutwellen so hoch wie ein blauer Berg meine Mauern umtosten: keine andere Wahl, keine Fragen, das Leben ist miserabel, kurz, unfair, es ist kein Sinn erkennbar, wir sind keine jungen Adler, die sich kühn in die Lüfte erheben, sondern Lemminge, die sich blindlings über die Klippen stürzen. Willkommen auf der blöden Erde.

«Hey, wow!«rief ich.»Es ist toll, hier zu sein!«

* * *

Das klingt schon besser. Meine Drachen schnauften, als sie es sich ganz in meiner Nähe bequem machten. Das Leben ist viel leichter, wenn du dich nicht widersetzt. Du sollst nicht zurückdenken, du mußt unendlich viel lernen…

Du willst uns nicht sehen — öffne deine Augen, jetzt.

Dein Körper ist so entspannt — spanne ihn an, jetzt.

Deine Gedanken schweifen in die Ferne — konzentriere dich, jetzt.

Du fühlst dich innerlich so sicher — laß deine Seele los, jetzt.

Sie redeten pausenlos auf mich ein.

Du träumst einen tiefen, gesunden Tagtraum. Jedes unserer Worte läßt dich tiefer und immer tiefer in den lauten, ruhelosen Tagtraum versinken. Wundere dich nicht, frage nicht.

Du denkst an etwas. Sprich es aus, und während du das tust, sinkst du immer tiefer…

«Ich danke euch«, sagte ich.»Ich habe soviel zu lernen!«

Gut. Ja. Sterbliche lernen gern, und unser Geschenk für dich ist, daß du immer gerne lernen wirst. Präge dir das bitte ein: Der Schein ist die Realität. Was du siehst, ist real. Was du berührst, ist real. Was du hörst und schmeckst und riechst, ist real. Was du denkst, ist nicht real, was du dir erhoffst, existiert nicht. Test Nummer Eins: Was ist die Realität?

«Der Schein ist die Realität«, antwortete ich.

Gut. Ein ausgezeichneter Schüler. Schlaf tief. Es ist so viel zu lernen:

Die Realität verändert sich mit der Zeit.

Atome bilden das Leben, beherrschen das Leben, beenden das Leben.

Schicksal ist Zufall.

Manche Menschen haben Glück, andere haben kein Glück.

Leben bedeutet zu siegen, zu erwerben, jemand zu werden; sterben bedeutet zu verlieren, zu verschwinden, niemand zu werden.

Test Nummer Zwei. Er ist etwas schwerer: Was verändert die Realität?

«Die Zeit«, antwortete ich.»Und der Raum.«

Zeit ist die richtige Antwort. Warum hast du Raum gesagt?

«Weil die Realität an verschiedenen Orten verschieden ist.«

Gut!» Zeit «ist die richtige Antwort. Aber» Raum «ist auch richtig. Du verstehst schon! Du denkst kreativ. Weißt du, was Kreativität ist?

«Ja. Nichts existiert, solange es nicht physikalisch, in Raum und Zeit, geschaffen ist. Bevor es geschaffen wird, ist es irreal. Wenn es vernichtet ist, ist es irreal. Alles wird geschaffen, alles wird vernichtet. Es ist alles eine Frage der Zeit.«

Was befindet sich jenseits des Raumes?

«Nichts.«

Was existiert nach der Zeit?

«Nichts.«

Deine Mutter wird dir das Gehen beibringen. Warum wirst du immer durch Tore gehen und niemals durch Wände?

«Wände sind Begrenzungen. Niemand geht durch Wände hindurch, weil Wände fest sind, und ich kann nicht durch Festkörper hindurchgehen, ohne zerstört zu werden. Mom und Dad gehen nicht durch Wände hindurch, und sie sind groß und stark. Niemand ist stärker als die Grenzen von Raum und Zeit, ich am allerwenigsten.«

Gut. Alles hat seine Grenzen. Rohstoffe sind begrenzt. Nahrung, Luft, Wasser, Wohnungen, Ideen sind in begrenztem Umfang vorhanden. Je mehr du verbrauchst, um so weniger ist für andere da. Andere sind älter, stärker und klüger als du, sie waren zuerst da, sie haben einen höheren Rang. Daher merke dir:

Kinder sind oft nicht zu sehen, und wenn sie doch gesehen werden, sind sie nicht zu hören. Kinder dürfen Erwachsene niemals stören.

Kinder denken nicht, und falls sie es trotzdem tun, kommt nichts Gescheites dabei heraus. Ein Kind ist nicht dazu in der Lage, sich etwas Neues, Anderes oder Wichtiges vorzustellen.

Störe nicht. Bedenke stets: Was werden die Leute sagen? Ärgere niemanden, denn du bist zarter als ein Spinngewebe, selbst Schwächlinge könnten dich in deinen ersten Lebensjahren mit bloßer Hand ins Jenseits befördern.

Stärke ist Macht.

Ein Wutausbruch ist die einzige Warnung, die du erhältst.

Angst bietet keinen Schutz.

Test: Welches ist die einzige Welt, die je existiert hat oder die je existieren wird?

«Die Welt, die ich mit meinen eigenen Augen sehe.«

Woher kommst du?

«Ich komme von nirgendwoher, ich gehe nirgendwohin. Es geschieht alles grundlos.«

Gut! Herkunft ist Glückssache. Der Körper ist eine Maschine; sie besteht aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und benötigt organischen Brennstoff. Der Körper beherrscht das Denken, das Denken ist eine ungeordnete elektrische Aktivität des Gehirns.