»Als Riccio und ich von Barbarossa kamen.«, Prosper vergrub das Kinn in der Decke, »bin ich in einen Mann hineingerannt. Erst ist mir nur aufgefallen, dass er mich so komisch angestarrt hat, aber dann hab ich gemerkt, dass er mir folgt. Wir sind ihm entwischt, sind zum Canal Grande gerannt und mit einem Vaporetto ans andere Ufer gefahren, um ihn abzuhängen. Aber Riccio hat ihn erkannt. Er sagt, er ist ein Detektiv. Und wie es aussieht, ist er hinter mir her. Hinter mir und Bo.«
»Ein echter Detektiv?« Wespe schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich dachte, die gibt es nur in Büchern und Filmen. Ist Riccio ganz sicher?« Prosper nickte.
»Ja, aber vielleicht war er ja auch hinter Riccio her. Du weißt doch, dass er das Klauen nicht lassen kann.« »Nein.« Prosper seufzte und blickte hinauf zur Decke, wo die Dunkelheit in schwarzen Wolken hing. »Der war hinter mir her. Wie er mich angeguckt hat. der wird uns finden, und meine Tante sitzt bestimmt schon in irgendeinem von den feinen Hotels und wartet darauf, Bo mitzunehmen. Und mich stecken sie in irgendein Internat und ich seh Bo einmal im Monat und irgendwann nur noch im Sommer oder zu Weihnachten.« Übelkeit machte sich in seinem Magen breit, so schlimm, dass er die Arme verschränkte und sie fest gegen seinen Bauch presste. Er schloss die Augen, als könnte er die Angst so aussperren, aber das funktionierte natürlich nicht.
»Ach was, wie soll er euch denn hier finden?« Wespe legte Prosper die Hand auf den Rücken und sah ihn besorgt an. »Komm, mach dich jetzt nicht verrückt.« Prosper vergrub das Gesicht in den Händen. Hinten im Saal murmelte Riccio etwas im Schlaf. Er schlief oft unruhig. Als säße ihm jemand auf der Brust.
Prosper richtete sich wieder auf. »Sag nur Bo nichts, ja? Er soll weiter glauben, dass wir hier ganz sicher sind. Aber Mosca und Scipio müssen es erfahren. Schließlich könnt ihr alle reichlich Ärger kriegen, wenn dieser Schnüffler uns aufstöbert.«
»Ach was! Der wird uns nicht aufstöbern.« Wespe rieb sich die Nase. »Das ist ein gutes Versteck hier. Das allerbeste. Verflixt. Ich krieg schon wieder eine Erkältung. Kann Scipio statt Zuckerzangen und Silberlöffeln nicht zur Abwechslung mal einen besseren Heizofen klauen?«
Prosper gab ihr sein zerknülltes Taschentuch und sie putzte sich dankbar die Nase damit.
»Riccio will Bo die Haare färben, und ich soll mir das Gesicht schwarz malen, damit der Kerl uns nicht erkennt«, sagte Prosper. Wespe lachte leise. »Ich denk, es reicht, wenn ich dir die Haare stoppelkurz schneide, aber das mit Bo ist eine gute Idee. Wir erzählen ihm einfach, dass die alten Frauen ihm nicht mehr so oft den Kopf tätscheln, wenn er schwarze Haare hat. Das hasst er doch so.«
»Meinst du, er nimmt uns das ab?«
»Wenn nicht, dann muss Scipio ihm erzählen, dass man mit blonden Haaren kein berühmter Dieb werden kann. Bo würde versuchen zu fliegen, wenn Scipio es von ihm verlangte.«
»Stimmt.« Prosper lächelte, obwohl er spürte, wie ihn die Eifersucht mit spitzem Stachel stach.
»Scipio wird das mit dem Detektiv gefallen.« Wespe rieb sich fröstelnd die Arme. »Er wird höchstens enttäuscht sein, dass der Kerl nicht hinter ihm her ist. Das wäre doch eine spannende Aufgabe für einen Detektiv: herauszufinden, wo der Herr der Diebe
schläft. Lässt er sich vielleicht bei Morgengrauen von den Zinnen des Dogenpalastes herunter, nachdem er die Nacht in einem gemütlichen Kerker verbracht hat?
Schläft er oben in den piombi, wo sie früher die Feinde Venedigs haben schwitzen lassen, oder unten in den ponti, wo sie verfault sind? Siehst du, jetzt hab ich dich zum Lächeln gebracht!« Mit zufriedenem Gesicht stand Wespe auf und zauste Prosper die Haare. »Morgen früh gibt es eine neue Frisur«, sagte sie, »und jetzt mach dir keine Sorgen mehr wegen diesem Detektiv.«
Prosper nickte. »Dann - meinst du nicht.«, fragte er zögernd, »dass wir euch in Gefahr bringen? Du meinst nicht, wir sollten besser weggehen, ich und Bo?« »Taubenmist!« Ungeduldig schüttelte Wespe den Kopf. »Wieso das denn? Nach Riccio hat oft genug die Polizei gesucht. Haben wir ihn deshalb etwa rausgeworfen? Nein. Und was ist mit Scipio? Bringt er uns nicht in Gefahr, so verrückt, wie er es inzwischen mit seinen Einbrüchen treibt?« Wespe zog Prosper von seinem Sitz hoch. »Komm, wir legen uns schlafen«, sagte sie. »Himmel, wie laut Mosca schnarcht.«
Prosper zog sich aus und kroch wieder zu Bo unter die Decke. Aber es dauerte noch lange, bis er einschlief.
Die Nachricht
Riccio ging gleich am nächsten Morgen zu Barbarossa, um ihm die Antwort des Herrn der Diebe zu bringen. So wie Scipio es ihm aufgetragen hatte.
»Er nimmt an? Gut, das wird meinen Kunden sehr freuen«, sagte der Rotbart mit zufriedenem Lächeln. »Aber ihr müsst etwas Geduld haben. Ihm eine Nachricht zukommen zu lassen ist nicht ganz einfach. Dieser Mann hat nicht einmal ein Telefon.« An den zwei darauf folgenden Tagen machte Riccio den Weg zu Barbarossas Laden umsonst, aber am dritten Tag hatte der Rotbart endlich die Nachricht, auf die sie gewartet hatten. »Mein Kunde will euch in der Basilika treffen, in der Basilica San Marco«, erklärte Barbarossa, während er vor dem Spiegel in seinem Büro stand und mit einer winzigen Schere an seinem Bart herumschnippelte. »Der Conte tut gern etwas geheimnisvoll, aber geschäftlich hat man keine Probleme mit ihm. Er hat mir schon ein paar sehr schöne Stücke verkauft und immer zu einem fairen Preis. Stellt ihm nur keine neugierigen Fragen, das kann er nicht leiden, verstanden?«
»Der Conte?«, fragte Riccio ehrfürchtig. »Heißt das, er ist ein echter Graf oder so was?«
»Allerdings. Ich hoffe, der Herr der Diebe weiß sich entsprechend zu benehmen.« Barbarossa zupfte sich mit wichtiger Miene ein Haar aus dem Nasenloch. »Wenn ihr den Conte trefft, werdet ihr sehen, dass es keinen Zweifel an seiner vornehmen Abstammung geben kann. Seinen Namen hat er mir bis heute nicht verraten, aber ich vermute, dass er ein Vallaresso ist. Einige Mitglieder dieser altehrwürdigen Familie sind nicht gerade vom Glück gesegnet. Man redet sogar von einem Fluch. Nun ja.« Der Rotbart trat etwas näher an den Spiegel heran und zupfte an einem besonders widerspenstigen Haar. »Sei es, wie es ist, dennoch gehören sie zu den alten Familien, du weißt schon, all diese Correr, Vendramin, Contarini, Venier, Loredan, Barbarigo und wie sie sonst noch alle heißen, die seit Jahrhunderten die Schicksale dieser Stadt lenken, ohne dass unsereiner je erfährt, was da so alles vor sich geht. Nicht wahr?«
Riccio nickte nur ehrfürchtig. Natürlich hatte er die Namen, die der Rotbart da so salbungsvoll aneinander gereiht hatte, schon gehört, er kannte die Paläste und Museen, die diese Namen trugen, aber über die Menschen, nach denen sie benannt waren, wusste er nichts.
Barbarossa trat einen Schritt zurück und musterte selbstzufrieden sein Spiegelbild. »Also, wie gesagt, sprecht ihn einfach nur mit >Conte< an, dann ist er zufrieden. Der Herr der Diebe wird sich bestimmt prächtig mit ihm verstehen, schließlich umgibt sich euer Anführer ja ebenfalls gern mit dem Schleier des Geheimnisvollen. Was bei seinem Beruf wohl auch ratsam ist. Stimmt's?« Riccio nickte noch einmal. Er konnte es nicht abwarten, dass der Dicke endlich wieder zur Sache kam und er den anderen die Nachricht bringen konnte, auf die sie warteten. Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen. »Wann? Wann sollen wir ihn in der Basilika treffen?«, fragte er, als Barbarossa noch einmal vor den Spiegel trat, um an seinen Augenbrauen herumzustutzen. »Morgen Nachmittag, Punkt drei. Der Conte wartet auf euch im ersten Beichtstuhl auf der linken Seite. Und keine Verspätung bitte! Dieser Mann ist immer mehr als pünktlich.«
»In Ordnung«, murmelte Riccio. »Drei Uhr, Beichtstuhl, pünktlich.« Er wandte sich zum Gehen.