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Aber da zog auch schon jemand den Vorhang vor dem Fensterchen zurück. Aus der Dunkelheit, die in dem Beichtstuhl herrschte, leuchteten zwei Augen, rund und hell, pupillenlos. Prosper schauderte und erkannte erst beim zweiten Blick, dass es Brillengläser waren, in denen sich das spärliche Licht spiegelte. »In einer Kirche sollte man ebenso wenig eine Maske tragen wie einen Hut«, sagte eine raue Stimme, die wie die eines sehr alten Mannes klang.

»In einem Beichtstuhl sollte man auch nicht über Diebstahl sprechen«, antwortete Scipio. »Und das wollen wir doch, oder?« Prosper glaubte ein leises Lachen zu hören. »Du bist also wirklich der Herr der

Diebe«, sagte der Fremde leise. »Nun gut, behalte die Maske auf, wenn du dein Gesicht nicht zeigen möchtest. Ich sehe auch so, dass du sehr jung bist.« Kerzengerade kniete Scipio sich hin. »Allerdings. Und Sie sind sehr alt, nach Ihrer Stimme zu urteilen. Spielt das Alter bei unserem Geschäft eine Rolle?«

Prosper und Mosca wechselten einen schnellen Blick. Scipio konnte es nicht ändern, dass er den Körper eines Kindes hatte, aber sich auszudrücken wie ein Erwachsener fiel ihm so leicht, dass es sie immer wieder mit Bewunderung erfüllte.

»Keineswegs«, antwortete der alte Mann leise. »Du musst mir mein Erstaunen über dein Alter verzeihen. Als Barbarossa mir vom Herrn der Diebe erzählte, stellte ich mir, zugegeben, keinen Jungen von zwölf oder dreizehn Jahren vor. Aber verstehe mich nicht falsch: Ich bin ganz deiner Meinung, dein Alter spielt in diesem Fall keine Rolle. Ich selbst musste schon mit acht Jahren wie ein Erwachsener arbeiten, obwohl mein Körper klein und schwach war. Das hat keinen interessiert.«

»In meinem Gewerbe ist ein kleinerer Körper sogar von Nutzen, Conte«, sagte Scipio. »So soll ich Sie doch nennen, oder?«

»So kannst du mich nennen, ja.« Der Mann im Beichtstuhl räusperte sich. »Wie Barbarossa dir berichtet hat, bin ich auf der Suche nach jemandem, der mir etwas besorgt, das ich seit Jahren gesucht und nun endlich gefunden habe. Bedauerlicherweise befindet sich dieser Gegenstand zurzeit im Besitz einer Fremden.« Der Alte räusperte sich noch einmal. Ganz nah kamen seine Brillengläser jetzt dem Fenster, und Prosper glaubte, den Umriss eines Gesichts zu erkennen. »Wenn du dich der >Herr der Diebe< nennst, bist du sicherlich schon einmal in eins der vornehmen Häuser dieser Stadt eingebrochen, ohne dass man dich dabei ertappt hat, richtig?«

»Natürlich.« Scipio rieb sich unauffällig die schmerzenden Knie. »Ich bin noch nie erwischt worden. Und von den vornehmen Häusern dieser Stadt kenne ich jedes zweite von innen. Ohne dass ich eingeladen worden wäre.«

»So, so.« Kräftige Finger, übersät von Altersflecken, rückten die Brille zurecht. »Gut, dann sind wir im Geschäft. Das Haus, das du für mich besuchen sollst, liegt am Campo Santa Margherita Nr. 423 und gehört einer Signora Ida Spavento. Es ist kein besonders prächtiges Haus, aber es verfügt immerhin über einen winzigen Garten, was, wie du sicher weißt, in Venedig einem Schatz gleichkommt. Ich werde dir in diesem Beichtstuhl einen Briefumschlag hinterlassen, in dem du alle Informationen findest, die du zur Erfüllung meines Auftrags benötigst: einen Grundriss der Casa Spavento, ein paar Erläuterungen zu dem Gegenstand, den du rauben sollst, sowie ein Foto von ihm.«

»Sehr gut.« Scipio nickte. »Das wird hilfreich sein und mir und meinen Helfern Arbeit sparen. Dann sollten wir jetzt über die Bezahlung sprechen.«

Wieder hörte Prosper den alten Mann leise lachen. »Ich sehe, du bist ein Geschäftsmann. Euer Lohn beträgt fünf Millionen Lire, zahlbar, sobald ihr mir eure Beute übergebt.« Mosca drückte Prospers Arm so fest, dass es schmerzte. Scipio sagte eine Weile gar nichts, und als er wieder sprach, klang seine Stimme belegt. »Fünf Millionen«, wiederholte er langsam. »Das klingt nach einem fairen Preis.«

»Mehr könnte ich dir nicht zahlen, selbst wenn ich wollte«, antwortete der Conte. »Und du wirst sehen, dass das, was du mir stehlen sollst, nur für mich von Wert ist, da es weder aus Gold noch aus Silber ist, sondern nur aus Holz. Also, sind wir uns einig?«

Scipio holte scharf Luft. »Ja«, sagte er. »Wir sind uns einig. Wann sollen wir Ihnen die Beute übergeben?« »Oh, wenn deine Diebeskunst es möglich macht, so schnell es geht. Ich bin ein alter Mann und würde das Ende meiner langen Suche gern noch erleben. Ich habe keinen anderen Wunsch in diesem Leben mehr, als das in Händen zu halten, was du für mich rauben sollst.« Wie viel Sehnsucht aus seiner Stimme klang. Was ist es?, dachte Prosper. Was kann so wunderbar sein, dass man sich so sehr danach sehnt? Es war doch nur irgendein Gegenstand, den sie für den alten Mann stehlen sollten. Nichts Lebendiges. Konnte man sich nach etwas Totem so sehr sehnen?

Scipio nickte, während er nachdenklich in das dunkle Fenster starrte. »Wie soll ich Ihnen melden, dass ich Erfolg hatte?«, fragte er. »Barbarossa hat gesagt, dass Sie nur schwer zu erreichen sind.«

»Das stimmt.« Ein Räuspern kam aus der Dunkelheit. »Doch du wirst alles, was du brauchst, in diesem Beichtstuhl finden, sobald ich gegangen bin. Wenn ich gleich den Vorhang wieder vor das Fenster ziehe, zählt bitte bis fünfzig, bevor ihr holt, was ich für euch zurücklasse. Auch ich wahre gern mein Geheimnis, aber mir hilft dabei keine Maske. Gebt mir Nachricht von eurem Erfolg, und ihr werdet am nächsten Tag bei Barbarossa meine Antwort finden, in der ich euch mitteile, wann wir Beute gegen Diebeslohn tauschen. Den Ort sage ich dir lieber schon jetzt, Barbarossa öffnet zu gerne fremde Briefe, und diesen Handel möchte ich ohne ihn abwickeln. Merk es dir also gut: Wir werden uns an der Sacca della Misericordia wieder treffen, der kleinen Bucht im Norden der Stadt. Wo genau, wirst du noch erfahren. Falls du die Sacca nicht kennst, du findest sie auf jedem Stadtplan von Venedig. Ich wünsche dir Glück, Herr der Diebe. Mein Herz sehnt sich schon so lange nach dem, was du mir rauben sollst, dass es müde ist von all der Sehnsucht.«

Mit einem Ruck zog der Conte den Vorhang vor dem kleinen Fenster zu. Scipio richtete sich auf und lauschte. Eine Gruppe Touristen schob sich füßescharrend am Beichtstuhl vorbei, während ein Führer ihnen mit gedämpfter Stimme die Mosaiken über ihren Köpfen erklärte.

»Achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig!«, sagte Mosca, als die Gruppe sich endlich entfernte und die Stimme des Reiseführers nur noch leise zu ihnen herüberdrang.

Scipio warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Dann musst du aber schnell gezählt haben«, sagte er und schlug den Vorhang zurück. Vorsichtig, einer nach dem anderen, traten sie wieder ins Freie. »Sieh du nach, Prosper«, flüsterte Scipio, während er und Mosca sich als Schutzschild vor den Beichtstuhl stellten. Zögernd öffnete Prosper die Tür, die für den Priester gedacht war, und schlüpfte in den dunklen Verschlag. Auf der schmalen Sitzbank unter dem Fenster fand er einen versiegelten Briefumschlag und einen Korb mit geflochtenem Deckel. Als Prosper den Korb hochhob, raschelte es darin. Fast hätte er ihn vor Schreck fallen lassen. Scipio und Mosca blickten ziemlich erstaunt drein, als er mit seinem Fund aus dem Beichtstuhl kam. »Ein Korb? Was ist denn dadrin?«, flüsterte Mosca argwöhnisch. »Auf jeden Fall raschelt es.« Prosper hob vorsichtig den Deckel an, aber Mosca drückte ihn mit erschrockenem Gesicht wieder herunter. »Warte!«, zischte er. »Es raschelt? Vielleicht ist da eine Schlange drin?«

»Eine Schlange?«, spottete Scipio. »Wieso sollte der Conte uns eine Schlange geben? Auf so was kommst du nur durch die Geschichten, die Wespe euch ständig vorliest.« Er legte das Ohr an den Korbdeckel. »Stimmt, es raschelt. Aber da klopft auch was«, murmelte er. »Hat schon mal jemand von einer klopfenden Schlange gehört?«

Scipio runzelte die Stirn und öffnete den Deckel gerade so weit, dass er hineinlugen konnte. »Verflixt!«, sagte er und klappte den Korb schnell wieder zu. »Es ist eine Taube.«