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Wespe warf Prosper einen erschrockenen Blick zu. »Davon weiß ich nichts«, stammelte sie. »Das, ähm, das könnte auch ein Irrtum gewesen sein. Gestern hat er nämlich eine neue Spur verfolgt. Ganz neu. Herr Getz glaubt jetzt, dass die Jungen nicht mehr hier sind, nicht mehr in Venedig, mein ich. Hallo?« Vom anderen Ende der Leitung kam nur Schweigen. Die drei Kinder in Victors Büro wagten sich kaum zu rühren. »Das ist ja sehr interessant!«, sagte Esther mit scharfer Stimme. »Aber ich würde diese Auskunft gerne von Herrn Getz persönlich bekommen. Holen Sie ihn bitte umgehend an den Apparat.« »Er, er.«, Wespe geriet ins Stottern, vor Aufregung vergaß sie, ihre Stimme zu verstellen, ». er ist nicht da. Ich bin nur seine Sekretärin. Er ist gerade wegen eines anderen Auftrags unterwegs.«

»Wer sind Sie?« Jetzt klang Esthers Stimme gereizt. »Meines Wissens hat Herr Getz überhaupt keine Sekretärin.«

»Natürlich hat er eine Sekretärin!« Wespe klang ehrlich entrüstet. »Was denken Sie denn, verdammt noch mal? Herr Getz wird Ihnen das Gleiche erzählen wie ich, aber er ist im Moment unterwegs. Versuchen Sie es in einer Woche noch mal.«

»Jetzt hören Sie mir mal zu, wer immer Sie sind.« Esthers Stimme wurde noch schneidender. »Ich habe Herrn Getz die Nachricht auch schon auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber es schadet nichts, wenn Sie es ihm noch einmal zusätzlich ausrichten. Mein Mann hat in zwei Tagen wieder geschäftlich in Venedig zu tun, und ich erwarte Herrn Getz am Dienstag im Sandwirth. Und zwar um Punkt drei Uhr. Schönen Tag noch.« Dann klickte es in der Leitung.

Mit bedrücktem Gesicht legte Wespe auf. »Ich glaub, das hab ich nicht so gut gemacht«, murmelte sie.

»Wir müssen weg«, sagte Prosper und brachte die Ordner, die er durchgesehen hatte, zurück an ihren Platz. Wespe warf ihm einen besorgten Blick zu. Dann lief sie zu Victors Regal und schob sich schnell noch ein paar Bücher unter den Pullover. »Mann, wäre es nicht toll, wenn jemand Nettes so wild hinter einem her wäre?« Riccio schob gedankenversunken die Zunge in seine Zahnlücke. »Irgendein netter, stinkreicher Onkel oder Opa, so wie in den Geschichten, die Wespe immer vorliest.«

»Esther ist reich«, sagte Prosper.

»Wirklich?« Riccio stopfte Victors Bärte in seinen Rucksack. Die falsche Nase steckte er auch ein. »Na, vielleicht fragst du sie dann mal, ob sie mich statt Bo nimmt? Viel größer bin ich ja nicht, und ans Nettsein stell ich keine großen Ansprüche. Solange sie mich nicht allzu oft verhaut.«

»So was tut sie nicht«, murmelte Prosper und durchsuchte noch einmal die Schubladen. »Was für ein Foto hat sie gemeint? Verdammt, ich wusste doch, dass der Kerl Bo beim Taubenfüttern fotografiert hat. Riccio, nimm die Kamera mit, vielleicht ist der Film noch drin.« Riccio hängte sich die Kamera um den Hals und stellte sich noch einmal vor Victors Spiegel. »Guten Tag, Signora Esther!«, sagte er und lächelte mit zusammengekniffenen Lippen, damit man seine Zahnlücke nicht sah. »Wollen Sie meine neue Mutter sein? Ich habe gehört, Sie schlagen nicht und Geld sollen Sie auch haben.«

»Vergiss es, Igelchen!«, sagte Wespe und schaute ihm über die Schulter. »Prospers Tante will einen hübschen kleinen Teddybären und keinen Igel mit schlechten Zähnen. Los, lasst uns hier verschwinden. Den Schildkrötenmann nehmen wir am besten auch erst mal mit, sonst müssen wir jeden Tag herkommen, solange der Schnüffler unser Gefangener ist.«

»Vielleicht ist Scipio ja inzwischen im Versteck aufgetaucht!«, sagte Riccio hoffnungsvoll, als sie Victors Wohnungstür hinter sich zuzogen.

»Vielleicht«, sagte Prosper.

Aber so recht glauben konnten sie das alle drei nicht.

Wut und Streit

Bo öffnete die Tür, als sie zurück ins Versteck kamen. »Wo ist Mosca?«, fragte Prosper. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht an die Tür gehen!«

»Musste ich aber, weil Mosca keine Zeit hat«, antwortete Bo. »Victor zeigt ihm nämlich gerade, wie man sein Radio repariert.« Dann hüpfte er pfeifend wieder davon.

Die Tür zum Männerklo stand offen, als Prosper, Wespe und Riccio dort ankamen, und sie hörten Mosca lachen. »Ich fass es nicht!«, schimpfte Riccio und baute sich in der offenen Tür auf. »Was zum Teufel treibst du da, Mosca? Stellst du dir das unter Wachehalten vor? Wer hat dir gesagt, dass du ihn losbinden sollst?« Erschrocken drehte Mosca sich zu ihm um. Er kniete neben Victor auf der Decke und reichte ihm gerade einen Schraubenzieher aus seiner Werkzeugkiste. »Reg dich ab, Riccio. Er hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass er nicht wegläuft«, sagte er. »Victor hat eine Menge Ahnung von Radios, ich glaub, er kriegt es wieder hin.«

»Scheiß auf dein Radio!«, rief Riccio. »Und scheiß auf sein Ehrenwort. Der Kerl wird sofort wieder gefesselt.« »Hör mal zu, Igelchen.« Victor kam steifbeinig auf die Füße. »Auf mein Ehrenwort scheißt man nicht einfach, verstanden? Ich weiß nicht, wie du es hältst, aber auf die Ehrenworte von Victor Getz kann man sich hundertprozentig verlassen.«

»Genau.« Bo stellte sich vor Victor, als wolle er ihn beschützen. »Er ist nämlich jetzt unser Freund.« »Freund?« Riccio schnappte nach Luft. »Ja, bist du denn total verrückt geworden, du Baby? Er ist unser Gefangener, unser Feind!«

»Hör auf, Riccio!«, sagte Wespe. »Die Fesseln sind Blödsinn, wir können ihn genauso gut einschließen. Um aus dem Klofenster zu klettern, ist er ja wohl zu dick und zu groß, oder?« Riccio antwortete nicht. Mit düsterer Miene verschränkte er die Arme vor der schmalen Brust. »Ihr werdet schon sehen, was Scipio dazu sagt!«, drohte er. »Auf den hört ihr ja vielleicht.« »Wenn er irgendwann wieder auftaucht«, sagte Prosper. »Wieso, ich denk, ihr habt euch mit ihm getroffen?« Erstaunt richtete Mosca sich auf.

»Mehr als zwei Stunden haben wir vor dem Kiosk gewartet«, sagte Wespe. »Aber er ist nicht gekommen.«

»So, so«, brummte Victor und hockte sich wieder neben das Radio. »So, so, so. Aber meine Schildkröte habt ihr hoffentlich nicht vergessen.«

»Nein. Wir haben sie sogar mitgebracht.« Prosper guckte ihn an. »Was sollte dieses >so, so, so< heißen?« Victor zuckte die Achseln und zog eine Schraube fest. »Na los, raus damit!«, fuhr Riccio ihn an. »Sonst hat deine Schildkröte das letzte Mal was zu fressen gekriegt!« Bedrohlich langsam drehte Victor sich zu ihm um. »Du bist ja wirklich ein reizendes Bürschchen«, knurrte er. »Was wisst ihr eigentlich über euren Anführer?«

Wespe machte den Mund auf, aber Victor hob die Hand. »Ja, ja, er ist gar nicht euer Anführer. Schon begriffen. Aber das war nicht meine Frage. Noch mal, was wisst ihr über ihn?« Die Kinder sahen sich an.

»Wieso, was sollen wir schon über ihn wissen?« Mosca lehnte sich gegen die geflieste Wand. »Wir reden alle nicht viel über das, was früher war. Scipio ist im Waisenhaus aufgewachsen, genau wie Riccio, das hat er uns mal erzählt, aber mit acht Jahren ist er weggelaufen, und seitdem schlägt er sich allein durch. Eine Zeit lang hat sich ein alter Juwelendieb um ihn gekümmert, der hat ihm alles beigebracht, was man so zum Leben braucht. Als der Alte gestorben ist, hat Scipio die schönste Gondel gestohlen, die am Canal Grande lag, hat den alten Dieb reingelegt und raus auf die Lagune treiben lassen. Und seitdem geht er gern seine eigenen Wege.«

»Und nennt sich der Herr der Diebe«, sagte Victor. »Er lebt also vom Stehlen und ihr auch.«

»Das werden wir dir gerade erzählen!«, spottete Riccio. »Und wenn es so wäre? Du würdest Scipio nie erwischen, selbst wenn du es hundertmal versuchst. Er ist der Herr der Diebe. Keiner kann ihm was vormachen. Barbarossa hat uns letztes Mal vierhunderttausend Lire für seine Beute bezahlt! Da staunst du, was?« Mosca stieß ihm warnend den Ellbogen in die Seite, aber zu spät. »So, so, Barbarossa, der alte Fuchs.« Victor nickte. »Den kennt ihr also auch. Wisst ihr was? Ich wette meine Schildkröten gegen das Radio hier, dass ich euch sagen kann, wo Scipio die Sachen gestohlen hat.«