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Nass geschwitzt fuhr Prosper hoch. Um ihn herum war es dunkel. Dunkel und kalt. Aber nicht so kalt wie in seinem Traum. Prosper tastete nach der Taschenlampe, die er immer neben seinem Kissen liegen hatte, und knipste sie an. Wespes Matratze war leer. Sie war nicht mehr da und Bo auch nicht. Erschrocken sprang Prosper auf, lief zu Riccios Matratze und zerrte den Schlafsack auf. Nichts als schmutzige Stofftiere. Und unter Moscas Decke lag nur sein Radio.

Sie waren fort. Alle fort. Mit Bo.

Prosper wusste sofort, wo sie waren. Trotzdem stolperte er durch die Dunkelheit zu dem Schrank, in dem Mosca alles gesammelt hatte, was sie für den Einbruch besorgt hatten: ein Seil, die Grundrisse, Wurst für die Hunde, Schuhcreme, um sich die Gesichter zu schwärzen - es war alles verschwunden.

Wieso haben sie Bo mitgenommen?, dachte Prosper verzweifelt, während er sich anzog. Wie konnte Wespe das zulassen?

Der Mond stand hoch über der Stadt, als Prosper aus dem Kino stolperte. Menschenleer lagen die Gassen da und über den Kanälen hing in grauweißen Schwaden der Nebel.

Prosper rannte. Seine Schritte hallten so laut auf dem Pflaster, dass er selbst erschrak. Er musste die anderen einholen, bevor sie über die Mauer kletterten, bevor sie sich in das fremde Haus schlichen. Bilder drängten sich in seinen Kopf, Bilder von Polizisten, die einen strampelnden Bo davontrugen, die Wespe und Mosca mitnahmen und Riccio ins Igelhaar griffen.

Die Accademia-Brücke war glitschig vom Nebel, und hoch über dem Canal Grande rutschte Prosper aus und schlug sich das Knie auf. Aber er rappelte sich wieder auf und rannte weiter, über leere Plätze, vorbei an schwarz in den Himmel ragenden Kirchen. Für ein paar wirre Augenblicke kam es Prosper vor, als wäre er aus der Zeit gefallen. Ohne Menschen sah die Stadt so alt aus, so ururalt. Als er den Ponte dei Pugni erreichte, bekam er kaum noch Luft. Keuchend stieg er die Stufen hinab, lehnte sich gegen die Brüstung und starrte auf die Fußabdrücke im steinernen Boden der Brücke. Von Riccio wusste er, dass hier früher jedes Jahr Faustkämpfe stattgefunden hatten, zwischen den Vertretern des Ost- und des Westteils der Stadt. Die Kämpfe hatten immer im Wasser geendet, und meist war es sehr blutig dabei zugegangen. Die Abdrücke hatten den kämpfenden Männern gezeigt, wo sie sich aufstellen mussten.

Prosper rang nach Atem und lief mit zitternden Beinen weiter. Nur noch durch die Gasse dort, dann stolperte er auf den Campo Santa Margherita. Das Haus von Ida Spavento lag auf der rechten Seite, fast am Ende des

Platzes. Keins der Fenster war erleuchtet. Prosper lief auf die Haustür zu und lauschte. Nichts. Natürlich nicht. Sie wollten ja über die Gartenmauer steigen. Prosper versuchte ruhiger zu atmen. Wenn der Eingang zu der Gasse, die dorthin führte, nur nicht so unheimlich ausgesehen hätte. Von dem steinernen Torbogen grinsten Fratzen auf Prosper herab, und als der Mond zwischen den Wolken hervorkam und alles in sein blasses Licht tauchte, schienen sie lebendig zu werden und Grimassen zu schneiden. Da kniff Prosper einfach die Augen zu und stolperte blind weiter, die Finger an der kalten Wand. Nur ein paar Schritte in die pechschwarze Finsternis und es wurde wieder heller. Die Gartenmauer der Casa Spavento erhob sich grau zwischen den eng stehenden Häusern, und obendrauf hockte eine dunkle Gestalt. Prosper spürte Wut und Erleichterung zugleich, als er sie entdeckte.

Die Knie zitterten ihm, das Atmen schmerzte. Seine Schritte hallten laut durch die Stille. Erschrocken blickte die Gestalt auf der Mauer zu ihm herunter. Es war Wespe, er erkannte sie trotz ihres geschwärzten Gesichts.

»Wo ist Bo?«, stieß Prosper hervor und hielt sich die schmerzenden Seiten. »Warum habt ihr ihn mitgenommen? Hol ihn sofort zurück!«

»Beruhige dich!«, zischte Wespe zu ihm hinunter. »Wir haben ihn nicht mitgenommen! Er ist uns einfach nachgeschlichen. Und dann hat er gedroht, dass er den ganzen Campo Santa Margherita wachschreit, wenn wir ihm nicht über die Mauer helfen! Was sollten wir denn machen? Du weißt doch, wie stur er sein kann.«

»Er ist schon drin?« Prosper erstickte fast an seiner Angst. »Fang!« Wespe warf ihm das Seil zu, das sie gerade eingeholt hatte. Ohne nachzudenken schlang Prosper sich das Ende um sein Handgelenk und kletterte zu ihr hinauf. Die Mauer war hoch und schartig und er schürfte sich die Hände an den Steinen wund. Als er sich endlich über den Sims zog, holte Wespe das Seil wortlos ein und half ihm, sich in den fremden Garten hinunterzulassen. Sein Mund war trocken vor Angst, als er den Fuß der Mauer erreichte. Wespe warf ihm das Seilende zu und sprang ihm nach.

Trockenes Laub raschelte unter ihren Schuhen, als sie an winterkahlen Beeten und leeren Blumenkübeln vorbei zum Haus schlichen. Mosca und Riccio machten sich schon an der Küchentür zu schaffen. Mosca war kaum zu entdecken in der Dunkelheit und Riccio hatte sich das Gesicht geschwärzt wie Wespe. Bo versteckte sich erschrocken hinter Moscas Rücken, als er Prosper sah. »Ich hätte dich bei Esther lassen sollen!«, zischte Prosper. »Verdammt, was hast du dir dabei gedacht, Bo?« Bo biss sich auf die Lippen. »Ich wollte aber mit«, murmelte er. »Wir beide verschwinden hier wieder«, sagte Prosper leise. »Komm mit.« Er versuchte Bo hinter Moscas Rücken hervorzuziehen, aber Bo schlüpfte ihm unter den Fingern weg. »Nein, ich bleib hier!«, rief er so laut, dass Mosca ihm erschrocken die Hand auf den Mund presste. Riccio und Wespe guckten besorgt zu den Fenstern im obersten Stock hinauf, aber sie blieben dunkel. »Lass ihn, Prosper, bitte!«, flüsterte Wespe. »Es wird schon alles gut gehen.«

Langsam nahm Mosca seine Hand von Bos Mund. »Mach das nicht noch mal, klar?«, raunte er. »Ich dachte, ich fall tot um vor Schreck.«

»Sind die Hunde da?«, fragte Prosper.

Wespe schüttelte den Kopf. »Gehört haben wir sie jedenfalls noch nicht«, flüsterte sie.

Riccio kniete sich mit einem Seufzer wieder vor die Küchentür. Mosca leuchtete ihm mit seiner Taschenlampe. »Verdammt, das Schloss ist so rostig, dass es klemmt!«, schimpfte Riccio leise. »Ach, deshalb brauchen sie keinen Riegel«, murmelte Mosca. Wespe beugte sich zu Prosper, der mit dem Rücken an der Mauer des fremden Hauses lehnte und zum Mond hinaufstarrte. »Du brauchst nicht mit reinzukommen«, flüsterte sie. »Ich pass schon auf Bo auf.«

»Wenn Bo reingeht, geh ich auch«, antwortete Prosper. Mit einem Stoßgebet stieß Riccio die Tür auf. Mosca und er schlüpften als Erste hinein, dann Bo, dann Wespe. Nur Prosper zögerte einen Moment, doch dann folgte er den anderen. Die Geräusche eines fremden Hauses umfingen sie. Eine Uhr tickte, der Kühlschrank brummte. Mit einem Gemisch aus Scham und Neugier schlichen sie weiter. »Macht die Tür zu!«, flüsterte Mosca.