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»Alles klar, das Geld haben wir, und er hat den Flügel«, sagte Scipio und klemmte sich die Tasche mit der Beute zwischen die Beine. »Es war noch eine Frau bei ihm. Und Sie hatten Recht, er segelt raus auf die Lagune.« »Dachte ich's mir doch.« Ida gab Giaco ein Zeichen, doch der hatte den Motor schon angeworfen und knatterte auf die Bucht hinaus. »Die rote Laterne hat er leider ausgemacht«, rief Mosca ihm durch den Motorenlärm zu, »aber das Boot ist zum Glück ganz gut zu erkennen.«

Giaco brummte etwas Unverständliches und hielt Kurs, als wäre nichts leichter, als bei Mondlicht einem fremden Boot zu folgen. »Habt ihr das Geld nachgezählt?«, fragte Ida. »So ungefähr«, sagte Scipio. »Es ist auf jeden Fall eine ganze Menge.«

»Kann ich auch mal durch das Fernglas sehen?«, fragte Mosca.

Ida reichte ihm den Feldstecher und zog sich den Schal enger um den Kopf. »Siehst du es?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Mosca. »Er kommt ziemlich langsam vorwärts, aber aus der Bucht ist er gleich raus.«

»Komm ihm nicht zu nah, Giaco!«, rief Ida nach vorn. Aber Giaco schüttelte den Kopf. »Keine Sorge,

Signora«, brummte er.

Sie ließen die Stadt hinter sich. Jedes Mal, wenn Prosper zurückblickte, kam sie ihm vor wie ein verlorener Schatz, der in der Dunkelheit schimmerte. Doch irgendwann war das Schimmern verschwunden und es umgab sie nichts als Nacht und Wasser. Das Knattern des Motors durchschnitt verräterisch die Stille, aber ab und zu drangen auch aus anderen Richtungen Motorengeräusche zu ihnen herüber. Sie waren nicht die Einzigen auf der Lagune, auch wenn es ihnen so vorkam. Immer wieder tauchten Lichter in der Dunkelheit auf, rot, grün und weiß, Positionslampen, wie auch Idas Boot sie hatte.

Aber selbst wenn der Conte ihr Boot bemerkt hätte, wie sollte er ahnen, dass er verfolgt wurde? Schließlich hatte er den Herrn der Diebe bezahlt.

Voll Unbehagen blickte Prosper über das Wasser, ein Meer aus Tinte, das irgendwo, kaum erkennbar, mit dem Dunkel des Himmels verschmolz. Bo und er waren noch nie hier draußen gewesen, obwohl die anderen ihnen viel von der Lagune erzählt hatten, von all den Inseln auf dem flachen Wasser, kleine schilfgesäumte Flecken Land mit Ruinen längst verfallener Dörfer und Festungen. Mit Obst- und Gemüsefeldern zur Versorgung der Stadt. Oder Klöstern und Spitälern, in die man früher die Kranken gebracht hatte, fort mit ihnen, fort übers schwarze Wasser.

Umsichtig lenkte der schweigsame Giaco das Boot an den bricole vorbei, hölzernen Pfählen, die überall aus dem Wasser ragten und mit ihren weiß markierten Seiten den Weg zwischen den Untiefen wiesen. Im Mondlicht waren sie manchmal kaum zu sehen.

»Da vorn liegt San Michele!«, flüsterte Mosca irgendwann. Langsam fuhren sie an den Mauern der Insel vorbei, auf der seit vielen hundert Jahren die Toten von Venedig begraben wurden. Als die

Friedhofsinsel wieder in der Nacht verschwand, nahm das Schiff des Conte Kurs nach Nordosten. Sie ließen Murano, die Glasinsel, hinter sich und fuhren weiter, immer tiefer hinein in das Gewirr von Inseln und grasbedeckten Eilanden. »Sind wir schon an der Insel vorbei, auf die sie früher die Pestkranken gebracht haben?«, fragte Riccio besorgt, als der Umriss eines verfallenen Hauses vorbeiglitt. In Venedig kannte er sich aus wie kein anderer von ihnen, aber hier zwischen den Inseln war er ein Fremder wie Prosper.

»Das ist doch lange her, Riccio«, murmelte Prosper und dachte, dass das Boot da vorne ewig so weitersegeln würde, ewig und immer. Hoffentlich schlief Bo noch, wenn er zurückkam, sonst würde Wespe eine schlimme Nacht erleben. Bo würde einen Höllenspektakel veranstalten, wenn er erfuhr, dass die anderen sich mit dem Conte trafen und Wespe ihn mit heißer Milch und einem Buch in den Schlaf gelullt hatte, damit sie sich ohne ihn fortschleichen konnten.

»Du meinst San Lazzaro.« Ida Spavento warf ihren glühenden Zigarettenstummel über Bord. »Nein, die Insel liegt auf der anderen Seite der Stadt, aber so unheimlich, wie man sich erzählt, ist es dort gar nicht. Madonna, wenn die ganzen Spukgeschichten über die Lagune wahr wären.«

»Spukgeschichten?« Riccio blies sich in die eiskalten Hände. »Welche denn?«

Mosca lachte, aber sein Lachen klang nicht echt. Sie alle kannten solche Geschichten, Wespe hatte ihnen schon Dutzende erzählt. In ihrem Versteck, eingemummelt in warme Decken, machte es Spaß, sich etwas zu gruseln, aber hier draußen auf dem offenen Wasser, mitten in der Nacht, sah das schon anders aus. »Lass mal sehen, Mosca.« Riccio griff nach dem Fernglas, um auf andere Gedanken zu kommen. »Wie weit will der Kerl denn noch segeln? Wenn das so weitergeht, sind wir bald in Burano und steif gefroren wie Tiefkühlhähnchen.«

Weiter und weiter ging es durch die Dunkelheit. Sie alle spürten, wie sie schläfrig wurden, trotz der Kälte. Da pfiff Riccio plötzlich leise durch die Zähne. Er kniete sich hin, um besser sehen zu können. »Ich glaube, jetzt dreht er bei!«, raunte er aufgeregt. »Da, er steuert auf die Insel da zu! Keine Ahnung, welche das sein könnte. Erkennen Sie sie, Signora?«

Ida Spavento nahm ihm das Fernglas aus der Hand und spähte hindurch. Prosper beugte sich über ihre Schulter. Auch ohne Fernglas erkannte er zwei Laternen am Ufer, eine hohe Mauer und weiter entfernt, hinter schwarzen Zweigen, den Umriss eines Hauses. »Madonna, ich glaube, ich weiß, welche Insel das ist!« Idas Stimme klang etwas erschrocken. »Giaco, nicht näher! Mach den Motor aus. Und lösch die Positionslampen.«

Als der Motor verstummte, umfing sie die Stille so plötzlich, dass sie Prosper vorkam wie ein unsichtbares Tier, das im Dunkeln lauerte. Er hörte das Wasser der Lagune gegen die Bootswand schwappen, das Atmen von Mosca neben sich und, aus der Ferne, Stimmen, die über das Wasser klangen. »Ja, sie ist es!«, flüsterte Ida. »Die Isola Segreta, die Geheime Insel. Über sie gibt es wirklich unheimliche Geschichten. Die Vallaresso, eine der ältesten Familien der Stadt, hatten dort früher einen Landsitz, aber das ist lange her. Ich dachte, die Familie wäre fortgezogen und das Anwesen längst verfallen. Doch da habe ich mich wohl getäuscht.«

»Isola Segreta?« Mosca starrte zu den Lichtern hinüber. »Das ist doch die Insel, zu der keiner fährt.«

»Stimmt, es ist nicht leicht, einen Bootsführer zu finden, der das tut«, antwortete Ida, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen. »Die Insel gilt als verhext, es sollen schlimme Dinge auf ihr passiert sein. Dort soll das Karussell stehen? Das Karussell der Barmherzigen Schwestern?«

»Hört doch mal!«, hauchte Riccio. Hundegebell schallte übers Wasser, laut und bedrohlich. »Das müssen mehrere Hunde sein!«, flüsterte Mosca. »Und große dazu.«

»Reicht es Ihnen jetzt nicht, Signora?« Riccios Stimme klang schrill vor Angst. »Wir sind dem Conte gefolgt, bis zu dieser dreimal verfluchten Insel. Von mehr war bei dem Handel nicht die Rede, also sagen Sie dem schweigsamen Kerl da, dass er uns nach Hause fahren soll.«

Aber Ida antwortete nicht. Sie beobachtete die Insel immer noch durch ihr Fernglas. »Sie gehen an Land«, sagte sie leise. »Aha, so sieht euer Conte aus. Ich habe ihn mir nach eurer Beschreibung älter vorgestellt. Und das neben ihm.«, sie senkte die Stimme noch etwas mehr, ». das ist wohl die Frau, von der Scipio erzählt hat. Wer können die zwei nur sein? Wohnen auf der Insel doch noch Vallaresso?«

Mosca, Prosper und Scipio starrten ebenso gespannt wie Ida zu der Insel hinüber. Nur Riccio hockte mit finsterer Miene neben der Geldtasche und starrte Giacos breiten Rücken an, als könnte das seine Angst besänftigen.

»Da ist ein Bootssteg«, flüsterte Scipio, »und eine steinerne Treppe, die das Ufer hinaufführt, zu einem Tor in der Mauer.«