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»Wie großzügig!« Das Mädchen musterte ihn spöttisch. »Wieso denkst du, dass er euch jemals wieder gehen lässt? Das hier ist die Isola Segreta. Ihr kennt doch die Geschichten. Wer diese Insel betritt, kehrt nicht zurück. Los!« Sie zeigte ungeduldig auf den Weg, der links von ihnen zwischen den Büschen verschwand. »Dort entlang. Und versucht nicht wegzulaufen. Glaubt mir, meine Hunde sind schneller als ihr.« Die beiden Jungen zögerten.

»Tut, was ich sage!«, rief das Mädchen ärgerlich. »Oder ihr seid Hundefutter!«

»Bringst du uns zum Conte?«, fragte Scipio. »Sag schon!« Aber das Mädchen antwortete nicht, sondern gab den Hunden einen leisen Befehl. Ohne einen Laut trabten sie auf Prosper und Scipio zu.

»Komm schon, Scip«, sagte Prosper und griff nach Scipios Arm. Widerstrebend ließ Scipio sich mitziehen. Die Hunde blieben so dicht hinter den Jungen, dass sie ihren heißen Atem im Nacken spürten. Ab und zu blickte Scipio sich um, als überlegte er, ob es nicht doch einen Versuch wert war, sich in die Büsche zu schlagen, aber Prosper hielt ihn jedes Mal am Ärmel fest.

»Von einem Mädchen gefangen«, knurrte Scipio. »Mann, gut, dass Riccio und Mosca nicht hier sind.« »Wenn sie uns wirklich zum Conte bringt«, flüsterte Prosper, »dann droh ihm besser nicht mit der Polizei.

Wer weiß, was er sonst mit uns anstellt, klar?«

Scipio nickte nur und blickte sich mit düsterer Miene zu den Hunden um.

Nicht lange und sie wussten, wohin das Mädchen sie brachte. Zwischen den Bäumen tauchte das Haus auf, das Prosper von der Mauer aus gesehen hatte. Riesengroß war es, größer als das Haus von Scipios Vater. Doch selbst im Mondlicht, das den Dingen schmeichelt, wirkte es unbewohnt und verwahrlost. Der Putz bröckelte von den Mauern, die Läden vor den dunklen Fenstern hingen schief in den Angeln und das Dach war so löchrig, dass der Mond hindurchschien. Eine breite Treppe führte zum Eingang hinauf. Von der Brüstung beugten sich Engel, aber die Seeluft hatte ihre Steingesichter zernagt, bis sie ebenso unkenntlich waren wie das Wappen über dem Portal.

»O nein, nicht dort hinauf!«, sagte das Mädchen, als Scipio auf die Treppe zusteuerte. »Heute Nacht wird der Conte bestimmt nicht mehr mit euch reden. Ihr könnt den Rest der Nacht im alten Pferdestall verbringen. Dort entlang.« Ungeduldig wies sie auf ein flaches Gebäude neben dem Haus, aber Scipio blieb stehen. »Nein!«, sagte er und verschränkte trotzig die Arme. »Nur weil du diese Riesenkälber bei dir hast, denkst du, du kannst uns herumkommandieren. Aber ich will jetzt den Conte sprechen. Sofort.«

Das Mädchen schnalzte, und die Doggen stießen Scipio und Prosper die Schnauzen in den Bauch. Erschrocken wichen die Jungen bis an die unterste Treppenstufe zurück.

»Ihr sprecht heute Nacht mit niemandem mehr«, sagte das Mädchen mit scharfer Stimme. »Höchstens mit den Ratten im Stall. Der Conte schläft, er wird morgen früh entscheiden, was wir mit euch machen. Und darüber solltet ihr froh sein, denn so landet ihr nicht gleich jetzt in der Lagune.«

Scipio biss sich auf die Lippen vor Wut, aber die Hunde begannen wieder zu knurren und Prosper zog ihn schnell mit sich. »Mach, was sie sagt, Scip!«, flüsterte er, während sie auf den Stall zugingen, der genauso verwahrlost aussah wie das Haupthaus. »Wir haben noch die ganze Nacht Zeit, uns zu überlegen, wie wir hier rauskommen, aber das können wir nicht, wenn du Hundefutter bist. Und Karussell fahren kannst du dann auch nicht mehr.«

»Ja, ja, schon gut.« Scipio warf dem Mädchen einen finsteren Blick zu.

»Da rein, die Herren!«, sagte sie und öffnete die Stalltür. Stockfinster war es dahinter, und der Gestank, der ihnen entgegenschlug, war so beißend, dass Scipio angewidert das Gesicht verzog.

»Da rein?«, rief er. »Willst du uns umbringen?«

»Soll ich euch die Hunde als Gesellschaft dalassen?«, fragte das Mädchen und schob den Doggen die Hände zwischen die Zähne. »Nun komm schon, Scip«, sagte Prosper und zog Scipio in den dunklen Stall. Ein paar Ratten huschten davon, als das Mädchen mit der Taschenlampe hinter ihnen herleuchtete. »Irgendwo dahinten müssten noch alte Säcke liegen«, sagte sie. »Für eine Nacht dürften die als Betten genügen. Die Ratten sind nicht besonders hungrig, es gibt hier genug für sie zu fressen, also werden sie euch heute Nacht wohl nicht stören. Macht euch nicht die Mühe, nach einem Fluchtweg zu suchen. Es gibt keinen, außerdem werde ich die Hunde vor dem Stall lassen. Buona notte!«

Dann schloss sie die Tür. Prosper hörte, wie sie den Riegel vorschob. In dem Stall war es so dunkel, dass er seine eigenen Hände nicht sehen konnte. Nur durch einen Spalt in der Tür sickerte das Mondlicht.

»Prop!«, flüsterte Scipio neben ihm. »Hast du Angst vor Ratten? Ich hab eine Scheißangst vor ihnen.« »Ich hab mich an sie gewöhnt, im Kino waren ständig welche«, flüsterte Prosper und lauschte in die Dunkelheit. Er hörte, wie das Mädchen draußen mit den Hunden sprach, leise, mit fast zärtlicher Stimme.

»Sehr tröstlich«, murmelte Scipio. Und zuckte so heftig zusammen, als etwas hinter ihm raschelte, dass er Prosper fast umstieß. Sie hörten, wie sich die Schritte des Mädchens entfernten und die Hunde es sich schnaufend vor dem Stall bequem machten. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, suchten sie nach den Säcken, von denen das Mädchen gesprochen hatte. Aber als Scipio eine Ratte über den Fuß huschte, beschlossen sie, doch lieber nicht auf dem Boden zu schlafen. Sie fanden zwei Holzfässer, auf die sie sich setzten, die Rücken gegen die kalte Mauer gelehnt.

»Er muss uns einfach darauf fahren lassen!«, sagte Scipio irgendwann in die Stille hinein. »Schon, weil er uns so reingelegt hat.«

»Hm«, brummte Prosper.

Er versuchte sich nicht auszumalen, was der Conte sonst noch alles mit ihnen machen könnte. Und dann musste er plötzlich wieder an Bo denken. Zum ersten Mal, seit er in Scipios Boot gesprungen war. Und er fragte sich, ob er seinen kleinen Bruder jemals wieder sehen würde. Es wurde eine endlos lange Nacht, und die Gedanken von Prosper und Scipio waren bald schwärzer als die Dunkelheit in dem stinkenden Stall.

Ein Anruf in der Nacht

Es war schon nach Mitternacht, als Victor das Telefon schrillen hörte. Er zog sich das Kissen über den Kopf, aber es klingelte und klingelte, bis Victor fluchend aus seinem warmen Bett kroch und ins Büro tappte. Dort stolperte er im Dunkeln über die Schildkrötenkiste. »Wer, zum Teufel, ist da?«, knurrte er in den Hörer, während er sich den schmerzenden Zeh rieb.

»Er ist schon wieder weggelaufen!« Esther Hartliebs Stimme klang so atemlos, dass Victor sie im ersten Moment kaum verstand. »Aber das eine sage ich Ihnen, diesmal nehmen wir ihn nicht zurück! Nein. Die Tischdecke hat der kleine Teufel heruntergerissen, im feinsten Restaurant der Stadt, und während wir dasaßen, mit den Nudeln auf dem Schoß, ist er davongerannt!« Victor hörte sie schluchzen. »Mein Mann hat immer gesagt, dass der Junge nicht zu uns passt, dass er wie meine Schwester ist, aber er sah doch aus wie ein Engel! Man hat uns aus dem Hotel geworfen, weil er so geschrien hat, dass man uns verdächtigt hat, ihn zu schlagen. Können Sie sich das vorstellen? Erst hat er kein Wort gesprochen und bloß stumm in der Ecke gesessen und dann plötzlich diese Tobsuchtsanfälle, nur weil ich versucht habe, ihm saubere Socken anzuziehen. Meinen Mann hat er sogar gebissen! Er hat mit seinem Taschenmesser Löcher in die Vorhänge geschnitten, Kaffee vom Balkon gegossen.«, Esther Hartlieb schnappte nach Luft, »... mein Mann und ich fliegen am Montag nach Hause zurück, wie geplant. Sollten meine Neffen in nächster Zeit von der Polizei aufgegriffen werden, dann veranlassen Sie bitte in unserem Namen, dass sie ins Waisenhaus gebracht werden. Es soll einige gute Einrichtungen hier in der Stadt geben. Haben Sie gehört, Signor Getz? Signor Getz.«