Schon vier Stunden später lag Ross in dem gepolsterten, sargähnlichen Behälter, und die funkelnden Augenlinsen der Robotschwester blickten auf ihn nieder.
Die Kälte hatte bereits einen Grad erreicht, daß er sie nicht mehr spürte und sogar glaubte, eine angenehme Wärme zu empfinden.
„Um es noch einmal zu betonen“, sagte Ross zum viertenmal, — „wenn ihr keine Spuren von Leben findet, dann möchte ich nicht mehr aufwachen. Ihr könntet mich doch nicht mehr retten; ich würde höchstens den Hungertod sterben.“
„Ich verstehe, Sir“, erwiderte die Robotschwester. „Haben Sie noch weitere Anweisungen, Sir?“
„Ja…“, setzte Ross an, doch schon wurde ihm die Zunge zu schwer, um den Satz noch zu Ende bringen zu können. Die Kälte drang jetzt in seine Blutgefäße ein. Er sah seltsame Bilder vor seinen Augen, die ihn aber nicht aufregten, so phantastisch sie auch sein mochten. Leider war kein Bild von Alice darunter.
„Bedaure, Sir“, sagte die Robotschwester.
Der Deckel wurde geschlossen und schnappte sanft ein. Die Kälte hüllte sein Bewußtsein in eisige Dunkelheit…
Doch tief in seinem Körper verborgen war noch immer etwas Wärme. Dann schien der Deckel auch nicht zu schließen, und der schmale Lichtstrahl wurde so stark, daß ihm die Augen schmerzten, obwohl er sie noch nicht einmal geöffnet hatte. Fehlerhaftes Material, dachte Ross, oder irgend jemand hat am falschen Knopf gedreht. Als seine Sicht klarer wurde, stand die Robotschwester neben ihm. Er war noch zu verärgert und enttäuscht, um die passenden Schimpfworte zu finden.
„Bewegen Sie sich nicht, Mister Ross“, sagte die Robotschwester. „Sie werden jetzt eine halbstündige Massage bekommen und anschließend wieder ohne Unterstützung gehen können. Sind Sie bereit?“
Du hättest diese Massage verdient, Schwester! dachte Ross grimmig und knirschte mit den Zähnen.
Die Massage war eine äußerst schmerzhafte Prozedur und die halbe Stunde die längste seines Lebens. Dann richtete ihn die Robotschwester auf, und er hatte endlich genügend Luft, um deutlich sprechen zu können.
„Was ist geschehen?… Warum habt ihr mich wieder aufgeweckt?“
„Bitte, stehen Sie jetzt auf, Mister Ross, und gehen Sie ein wenig herum“, befahl die Robotschwester, ohne auf seine Frage einzugehen.
Ross versuchte es und hatte keinerlei Schwierigkeiten.
„Ich schlage vor, wir fahren jetzt nach oben, Sir.“
„Sir?“ staunte Ross. „Dann bin ich also nicht mehr Patient? Ihr habt eine komische Einteilung. Fehlt mir nichts, steckt ihr mich ins Bett, bin ich dem Tod nahe, laßt ihr mich herumlaufen! Nun gut, ich bin wieder der Boß und möchte präzise Antworten haben.“
„Bitte, Sir.“
„Was habt ihr falsch gemacht?“
„Nichts, Sir.“
„Bei euch ist anscheinend eine Schraube locker! Ich meine, warum habt ihr den Unterkühlungsprozeß plötzlich gestoppt? Oder habt ihr vielleicht ein unterirdisches Lebensmitteldepot entdeckt?“
„Sie befanden sich im Tiefschlaf, Sir.“
„Zum Teufel, wie lange denn? Ich hatte ja noch nicht einmal bis zehn gezählt!“
„Sie haben dreiundvierzigtausend Jahre geschlafen, Sir.“
Ross hielt die Luft an. Er war nicht fähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Doch auf der Erdoberfläche erwartete ihn eine noch größere Überraschung.
12.
Die Sonne schien klar aus einem hellblauen Himmel, das grüne Gras rauschte im Wind. Ein einziges grünes Meer breitete sich vor Ross aus. Die fünf Meilen entfernten Berge flimmerten in der Hitze eines herrlichen Tages. Zuerst hatte Ross an Rußwolken gedacht, doch die Luft war frisch und rein und schmeckte wie köstlich klares Wasser.
Ross schloß die Augen, das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Noch glaubte er zu träumen und hatte Angst vor dem Erwachen. Aus der Wüste war eine Oase geworden.
Der strahlende Himmel und das tiefblaue Meer flossen am Horizont zusammen; die weißen Schäfchen wölken schienen aus dem Wasser emporzusteigen. Das Wasser in der Bucht war von weißen Schaumkronen bedeckt, und die Wellen rollten wie flüssiger Schnee über den Ufersand, der jetzt ein klares Gelb zeigte.
Ross fühlte, daß seine Augen feucht wurden, und das lag nicht nur am Wind. Ja, so sah die Erde aus, wie er sie in Erinnerung hatte.
„Es hat etwas länger gedauert“, hörte er die Stimme der Robotschwester hinter sich. „Als wir die ersten Graskeime feststellten, haben wir sie sofort mit einem licht- und luftdurchlässigen Überzug bedeckt und gepflegt. Dann waren sie kräftig genug, um auch auf der Erdoberfläche und ohne besondern Schutz weiterzuwachsen. Lange Regenfälle haben die Asche aus der Atmosphäre gespült, so daß die Gräser nicht mehr erstickten. Sie sind außerdem widerstandsfähiger geworden und haben sich der veränderten Beschaffenheit des Erdbodens angepaßt. Staub, Ruß und Asche wurden vom Meer und der Erde aufgesogen. Die immer klarer werdende Luft und die Wärme der Sonnenstrahlen beschleunigte das Wachstum der Gräser. Die grüne Fläche dehnte sich immer weiter aus, denn das Gras hatte keine natürlichen Feinde oder andere Pflanzen. So breitete es sich über die ganze Erde. Aber es dauerte noch einige Jahrtausende, bis wir Getreideähren gezüchtet hatten. Das gelang uns erst vor wenigen Jahren. Damit ist das Nahrungsmittelproblem gelöst.“
„Ich danke euch“, murmelte Ross. Er konnte seinen Blick nicht von dem hellen, gelben Sand des Strandes reißen. Wind, Regen und Salzwasser hatten die von Menschenhand verpestete Welt wieder gereinigt. Dazu war nur ein wenig Zeit erforderlich… dreiundvierzigtausend Jahre!
Auch die Gespenster der Vergangenheit waren tot. Solange es eine freie, grüne Natur gab, würde sich Ross nie mehr so einsam fühlen. Er schauderte nur bei dem Gedanken, wieder in das unterirdische Hospital zurückkehren zu müssen, und die Robotschwester bestätigte seine finstere Vermutung.
„Ihre gegenwärtige physische Kondition erfordert Ruhe. Sie sind nicht so schwach, um als Patient behandelt zu werden, doch eine sofortige Wiederaufnahme der Arbeit könnte Komplikationen nach sich ziehen. Ich schlage darum vor, daß Sie sich nicht um unsere Arbeiten kümmern und einen kurzen Urlaub nehmen.“
„Unter Urlaub verstehe ich Arbeit, Schwester“, konterte Ross.
Ob er nicht wüßte, daß das ein großer Unterschied sei? fragte die Robotschwester.
„Natürlich“, sagte Ross, „aber bei der Arbeit kann ich mich immer noch am besten entspannen.“
„Sie brauchen Ruhe“, war die Antwort, „und Arbeit bedeutet Bewegung.“
„Du bist mächtig klug, Schwester“, murmelte er.
Ross hörte ein Geräusch, das ihn zunächst an ein Gewitter erinnerte. Doch dieses Rollen riß nicht ab. Er blickte wild herum und dann in den Himmel. Ein schmaler Silberpfeil zeichnete weiße Girlanden in den hellblauen Himmel. Er beobachtete den Kondensstreifen, der plötzlich einen Knick beschrieb. Eine jähe Richtungsänderung bei einer derartigen Geschwindigkeit hätte kein Mensch durchführen oder überstehen können. Das geschoßähnliche Luftfahrzeug verlor an Höhe, zog eine tiefe Schleife über dem Tal und zischte wieder auf das Meer hinaus. Es hatte wenigstens die dreifache Schallgeschwindigkeit, und Ross hörte den Motorenlärm erst, als es längst außer Sichtweite war. Dann kam es wieder, zog die gleiche Schleife und setzte zur Landung an. Dann erstarb der Düsenlärm, und es stand still und glänzend da.
Die Düsenaggregate waren vertikal angebracht, und Ross konnte sich nicht entsinnen, eine solche Bauart vorgeschlagen zu haben. Dieses Modell mußten die Roboter von sich aus entwickelt haben, wahrscheinlich nach der Lektüre einschlägiger Werke.