„Jedes Ding hat seine zwei Seiten“, meinte Ross nachdenklich. „Die Wahrheit ist, was du gesagt hast. Und wenn du lügst, dann ist es immer noch das, was du gesagt hast.“ Seine Stimme wurde plötzlich streng. „Aber eins solltest du dir in dein Elektronengehirn einprägen: ich wünsche keine Kriege, selbst wenn die Gründe vom rein logischen Standpunkt aus betrachtet noch so einleuchtend sind. Das ist ein Befehl!“
„Ich habe verstanden, Sir.“
„Und damit ihr nicht noch auf weitere dumme Gedanken kommt“, fuhr er ruhiger fort, „habe ich neue Arbeit für euch.“
„Wir sind darüber sehr glücklich, Sir.“
„Es ist eine Arbeit, die viel Zeit und Anstrengung kostet. Aber sie wird mir und euch viel mehr Freude machen, als jede Parade oder Kriegsspiele irgendwelcher Art.“
Ross plante den Bau eines riesigen Palastes. Das sollte der Palast aller Paläste sein, und die höchste Spitze sollte eine Meile hoch in den Himmel vorstoßen. Ein Palast — so groß, daß eine ganze Stadt darin Platz hatte…
Und alles an diesem Palast würde lichtdurchlässig sein, einen Blick in alle Himmelsrichtungen gestatten und gleichzeitig die Hitze abwehren. Das Material mußte so beschaffen sein, daß es ebenfalls die Sonnenstrahlen isolierte. Mit einem Wort, ein Palast der Superlative, wie es ihn noch nie gegeben hatte und nie wieder geben würde. Die Fundamente mußten tief in die Erde eingelassen werden, so daß der Palast auch gegen Erschütterungen gesichert war.
Vom architektonischen Standpunkt gesehen, mußte die Planung ein reines Vergnügen sein, denn der Phantasie waren keine Schranken gesetzt — und auf mögliche Fehler würden ihn die Roboter aufmerksam machen. Die Planung würde zweifellos eine längere Zeitspanne in Anspruch nehmen als der eigentliche Bau beziehungsweise die Inneneinrichtung. Dann wollte Ross auch noch Nachbildungen aller berühmten Skulpturen, Portale, Gemälde und Kunstschätzen der ganzen Welt haben. Ein Palast, wie er noch im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert üblich war, aber schöner als alle Paläste beider Jahrhunderte zusammen.
Ross wollte so rasch wie möglich in diesen Palast einziehen. Er war seines unterirdischen Daseins müde; sobald der Neubau bezugsfertig war, wollte er das Hospital schließen lassen.
Als er der Robotschwester seinen Plan ausführlich unterbreitet hatte, sagte sie: „Hinsichtlich der Innenausstattung können wir nur Kunstwerke herstellen, von denen die Forschungsroboter Bilder, Skizzen und Zeichnungen gefunden haben. Die genaue Kopie solcher Werke wird eine lange Zeit in Anspruch nehmen, denn es ist keine automatische Arbeit und setzt Experimente voraus. Wir werden die Gesetze der Architektur gründlich studieren müssen, um keinen Fehler zu machen.“
„Zeit spielt keine Rolle“, erwiderte Ross leichthin.
Er blieb viele Wochen wach und hielt sich fast ausschließlich in der Kontrollunterkunft auf. Von dort aus beobachtete er die grasgrünen Meereswellen und entwarf die Pläne zum Bau des Palastes. Diese Tätigkeit interessierte ihn noch stärker, als er anfangs angenommen hatte.
Möglich, daß ihn die Robotschwester für größenwahnsinnig hielt, denn sie tickte in dieser Zeit verdächtig oft. Wußte sie, daß es ihm im Grunde gar nicht so sehr auf den Palast mit der meilenhohen Turmspitze ankam?
Der Grund, weshalb er so rasch wie möglich aus dem Hospital heraus wollte, war anderweitig zu suchen. Denn in dem Palast war er, wenn er sich im Tiefschlaf befand, größeren Gefahren ausgesetzt als in den Räumen des unterirdischen Hospitals. Ein kleiner technischer Fehler, und er würde überhaupt nicht mehr erwachen — und das war sein Ziel!
Was nützte ihm der herrlichste Palast, wenn er ganz allein in der Welt war?
Als ihn die Robotschwester wieder einschläferte, dachte er noch an den gigantischen Halbmond und hoffte, daß ihn seine Robotscharen nicht allzusehr vermissen würden.
16.
Die Zeit verging.
Die Hitzeeinwirkung der siebenundneunzig Millionen Meilen entfernten Sonne wurde immer stärker und erbarmungsloser. Schließlich verschwanden auch die Eiskappen der Bergmassive, und die Meere kühlten sich nie mehr ab. Mit der steigenden Temperatur begann die Erde ihre Atmosphäre ins All abzugeben. Die Anziehungskraft des sich schon bedrohlich in Erdnähe befindlichen Mondes löste Flutwellen aus, die das Unterwassergras zwangen, sich in größere Meerestiefen zurückzuziehen. Das hatte anfangs weitere Wuchsveränderungen zur Folge, aber auf die Dauer nützte das nichts, weil sich die Meere und Ozeane in dampfende Wasserkessel verwandeln sollten.
Was der Atomkrieg angerichtet hatte, war nur ein kleines Vorspiel zu den späteren Ereignissen.
Nicht alle Stücke des Mondes bröckelten auf die Erde nieder, aber die Menge genügte, um den Meeresspiegel bis auf dreihundert Fuß ansteigen zu lassen. An vielen Stellen öffneten sich große Risse, aus denen heißer Dampf und flüssige Lava quollen. Dieses Bild dauerte Hunderte von Jahren, und die Erdoberfläche verlor völlig ihr ursprüngliches Aussehen. Die glühende Lava wurde in den fast schon luftleeren Raum geschleudert und bildete um die Erde ein Ringsystem, wie man es seit alter Zeit am Saturn beobachten konnte.
Als Ross erwachte, stellte er fest, daß sich die Grundmauern des Palastturms schon einhundert Fuß unter dem Meeresspiegel befanden. Die lokalen Geländeverhältnisse stimmten nicht mehr; Ross hätte kaum noch sagen können, wo er sich wirklich befand. Nachts war es genauso hell wie am Tag. Der glühende Ring um den Erdball überstrahlte mühelos das Licht der fernen Sterne und wirkte wie ein riesiger von höllischen Mächten geschaffener Regenbogen.
Jede Wasserwoge reflektierte das Licht. Ross hatte das Gefühl, als schwimme sein Turm auf einem Meer von leuchtendem Silber. Es war wie vor der Erschaffung der Welt. Überall Vulkane und kochende Wasserfontänen, die Meilenhöhe erreichten.
Ross hörte die Robotschwester und wandte sich nach ihr um. „Warum steht mein Palast eigentlich noch?“ fragte er bitter.
Schon nach den ersten drei Worten der Erklärung konnte er der Robotschwester nicht mehr folgen. Sie führte physikalische und mathematische Formeln an, die für Ross nur unbekannte Größen waren. Er hörte nur etwas von magnetischen Kräftefeldern, Kohäsion, Kapillarität und so weiter.
„Was ist mit dem Gras?“ erkundigte sich Ross.
„Leider war das Seegras nicht in der Lage, die Katastrophe zu überleben, Sir“, war die erwartete Antwort.
„Schlimm“, murmelte Ross, — „zu schlimm. Aber dagegen kann man eben nichts machen. Und daß es noch schlimmer kommt, brauchst du mir gar nicht erst zu sagen.“
Langes Schweigen.
Dann schlug die Robotschwester vor, einen Spaziergang im Palast zu machen. Er war einverstanden. Nicht weil er Lust dazu verspürte, geschweige Neugier, sondern nur um den Robotern einen Gefallen zu tun, die diesen Wunderpalast erbaut hatten. Ansonst fühlte er sich einfach entsetzlich elend.
Es war wirklich der Palast aller Paläste geworden, ein Bauwerk der Superlative, das Milliarden Werte präsentierte. Es war ungeheuer in seiner Ausdehnung und mit erlesenem Geschmack eingerichtet, was die Bequemlichkeit anbetraf. Die Roboter hatten alle nur denkbaren Fachbücher über Innenarchitektur gewälzt und jeweils das beste und teuerste herausgesucht. Wie ein Museum mit luxuriösen Aufenthaltsräumen, dachte Ross sarkastisch.
Doch er war gewaltig beeindruckt. Nur einen Fehler hatte der Palast. Ross nannte ihn der Robotschwester nicht, und sie hätte in diesem Fall wohl auch kaum Abhilfe schaffen können: die Wände des Palastes isolierten ihn nicht vor der Angst, die auf ihn einstürmte. Sie saß ihm im Nacken und schüttelte ihn. Sie blickte ihm über die Schulter, wenn er ein Bild betrachtete oder vor einem Spiegel stand. Merkwürdig, daß die Gesichter der Menschen auf den Bildern alle einen Stich ins Grüne hatten, obwohl sie sonst durchaus normal aussahen.